100 Tage rot-grüne Regierung mitten in der Corona-Pandemie stehen eindeutig im Fokus der Krisenbewältigung. Der NABU Hamburg wagt dennoch eine erste Naturschutzbilanz und stellt die Frage: Wie wird sich die Krise auch auf die ökologischen Vorhaben in der Stadt auswirken?
Die 100-Tage-Bilanz betrachtet die Themen Stadtentwicklung, Verkehr, Natur- und Artenschutz sowie Aspekte des Klimaschutzes. Es ist positiv zu bewerten, dass trotz Krisensituation, einige Vereinbarungen aus dem neuen Koalitionsvertrag bereits auf den Weg gebracht wurden. Bei vielen anderen Zielen hat der NABU Hamburg die Sorge, dass diese in der Umsetzung auf der Agenda nach hinten rutschen könnten. Denn unklar ist aktuell, in welchem Maß sich die Krise auf die Finanzierung zahlreicher Vorhaben in den kommenden Jahren auswirken wird. Müssen gewollte Projekte in die Zukunft geschoben werden? Wird es Einsparungen im Umwelt- und Naturschutz geben? Momentan fehlen hierzu noch öffentliche belastbare Zahlen und Einschätzungen, in welchen Bereichen der amtierende Senat unter Umständen Änderungen vornehmen muss.
„Wir möchten natürlich vermeiden, dass mit Verweis auf die schwächelnde Wirtschaft in den wichtigen Bereichen Klima, Natur- und Artenschutz zukünftig weniger Engagement gezeigt wird. Die Krise ist, zugegeben, historisch und wird den Handlungsspielraum einschränken. Sie bietet jedoch auch definitiv Chancen, die Hansestadt Hamburg nachhaltiger zu gestalten und ökonomisch wie ökologisch zukunftsfähiger zu machen“, sagt Malte Siegert, der neu gewählte Vorsitzende des NABU Landesverbands Hamburg.
Naturschutz
Mit Spannung erwartet der NABU, wie es mit dem Vollhöfner Wald weitergeht. Die Ankündigung im Koalitionsvertrag ihn unter Naturschutz zu stellen, war das Ziel unserer Kampagne „Völli bleibt“ und ist ein großer Erfolg für die Natur unserer Stadt. Ein Verlust anderer wertvoller Grünflächen, wie um die Altenwerder Kirche, ist aber als Bedingung hierfür inakzeptabel. Immerhin wurde mittlerweile das Betretungsverbot des Vollhöfner Waldes wieder aufgehoben.
Stadtentwicklung und Artenschutz
Ebenfalls positiv ist das im Koalitionsvertrag aufgenommene Programm zur „Steigerung der Biodiversität im besiedelten Bereich“, bei dem Freiflächen für Natur- und Artenschutz entwickelt und Anreize zur Gestaltung naturnaher privater Gärten gegeben werden sollen. Dafür wäre das vom NABU geforderte und im Koalitionsvertrag vereinbarte „Bündnis für Hamburgs Grün“ geeignet: private Akteure und der Senat verständigen sich im Bündnis auf mehr gemeinsame Maßnahmen, nichtstädtische Flächen ökologischer auszurichten. Hier fehlt es noch an Schwung. Ebenfalls müsste die Umsetzung der Vereinbarungen zur Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ beschleunigt werden. Aktuell stockt dort der Prozess zwischen Senat und den Bezirken.
Mit Sorge beobachtet der NABU die Entwicklungen im Süderelberaum. Zahlreiche Infrastruktur- und Bauprojekte, wie z.B. Fischbeker Reethen, die geplante Erweiterung des Daimlerwerks, die aktuell im Bau befindliche Autobahn A26 West sowie die in Planung befindliche A26 Ost, bedrohen einen wertvollen Naturraum: den Moorgürtel. Er ist Heimat vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Die vielen Bauprojekte werden bedeutende Lebensräume wie Moore und extensives Grünland zerstören und für viele Arten eine unüberwindbare Barriere darstellen.
Klimaschutz
Der Moorgürtel ist darüber hinaus der größte Kohlenstoffspeicher unserer Stadt und spielt damit für unsere Klimabilanz eine entscheidende Rolle. Leider wurde das bislang nicht erkannt, denn Moorschutz wird im aktuellen Hamburger Klimaplan gar nicht erwähnt. Das ist grob fahrlässig, denn degradierte Moore verursachen Treibhausgasemissionen. Die Politik muss deshalb im doppelten Sinne auf den Süderelberaum blicken: für den Natur- und den Klimaschutz.
Verkehr
Positiv bewertet der NABU hingegen das Tempo der neu eingerichteten Verkehrsbehörde. Verheißungsvolle Ansätze gibt es beim Umbau des Busbestandes hin zu einer emissionsfreien Flotte sowie dem beschworenen Ausbau von U- und S-Bahnnetz. Auch der unter der alten Koalition ins Stocken geratenen Ausbau des Radwegenetzes nimmt sichtbar Fahrt auf. Allerdings fehlt nach Auffassung des NABU noch etwas der Mut, den Straßenverkehr insgesamt stärker zurückzudrängen. Zwar ist die Verkehrsberuhigung des Jungfernstiegs ein erster positiver Schritt zu einer Neuaufteilung von Flächen im Innenstadtbereich. Wichtig wäre aber auch, an neuralgischen Punkten, wie der östlichen Außenalster, dem deutlich wachsenden Fahrradverkehr mehr Fläche auf der Straße zuzugestehen.
Unbeantwortet lässt der Senat die Frage, wie es zukünftig mit dem Hamburger Hafen weitergehen soll. Abnehmende Mengen beim Containerumschlag fordern neues Denken. Ebenso braucht es neue Konzepte zur Flächennutzung, den Umgang mit der Elbe und den nach wie vor erheblichen Emissionen der Schiffe. Landstromanlagen für Kreuz- und Handelsschifffahrt auszubauen und die Abnahme verbindlich zu machen, sollte nach Auffassung des NABU zum Schutz von Mensch und Umwelt weiterhin Priorität haben.
„Keine Frage, die Herausforderungen für den aktuellen Senat sind gewaltig. Doch trotz der Corona-Krise werden jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt, auch was ökologische Veränderungen angeht. Wir wollen als NABU-Landesverband vermeiden, dass der Zug in den nächsten fünf Jahren in die falsche Richtung abbiegt.“
Pressemitteilung des NABU Hamburg