Hamburgs Radfahrer*innen fühlen sich nicht sicher – Fahrradclub startet bundesweite Kampagne #MehrPlatzFürsRad
Mehr Frust als Lust: Erneut erhält Hamburg ein mieses Zeugnis von seinen Radfahrer*innen ausgestellt. Die Gesamtnote für’s Radfahren in der Hansestadt verschlechtertsich gegenüber 2016 noch einmal leicht von 4,19 auf 4,21 (»ausreichend«). Damit verbesserte sich zwar Hamburg um 6 Plätze auf Platz 25 von 39 deutschen Großstädten. Allerdings nicht, weil sich das Klima in Hamburg verbesserte, sondern weil es sich in den anderen Städten verschlechterte.
Die Freude und das Sicherheitsgefühl beim Radfahren haben sich bundesweit verschlechtert. Die Ergebnisse des neuesten ADFC-Fahrradklima-Tests, der weltweit größten Umfrage zur Zufriedenheit von Radfahrenden, sind ernüchternd. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) startet deshalb seine bundesweite Kampagne #MehrPlatzFürsRad und fordert deutlich mehr Platz und insgesamt bessere Bedingungen für den Radverkehr in den Städten.
Das Fahrrad- und Verkehrsklima, also die Wahrnehmung der Radverkehrsbedingungen, verschlechtert sich kontinuierlich in Hamburg: 2014 bewerteten es die Radfahrer*innen noch mit der Note 3,7, zwei Jahre später mit 3,8 und jetzt in 2018 mit einer glatten 4,0. Auch das Sicherheitsgefühl wird für Hamburg wie schon 2016 mit 4,7 sehr schlecht bewertet. So kann es nicht gelingen, mehr Menschen für das Fahrrad zu begeistern. Die meisten Befragten würden insbesondere auch Kinder nicht mit gutem Gefühl allein mit dem Rad in Hamburg fahren lassen.
BEMÜHUNGEN DES SENATS KOMMEN NICHT AN
ADFC-Sprecher Dirk Lau: „Die seit 2016 verstärkten Bemühungen des rot-grünen Senats, den Radverkehr zu fördern, kommen bei den allermeisten Hamburger Radfahrer*innen nicht an.« Zwar gebe es inzwischen in den Behörden mittlerweile viele Planer*innen, die mit guten Ideen den Radverkehr voranbringen wollen. »Dem steht jedoch der mangelnde Mut und Wille des Senats zur Verkehrswende entgegen, um Hamburg klima- und fahrradfreundlich umzubauen«. Sehr viele Menschen fühlten sich nach wie vor nicht ausreichend geschützt auf den Straßen, die Radwege würden als unkomfortabel, zu schmal und nicht sicher empfunden. Die großen Erwartungen, die durch das städtische »Bündnis für den Radverkehr« von 2016 geweckt worden waren, hätten sich bislang nicht erfüllt. »Das Bündnis wird nicht als der große Wurf wahrgenommen, der Hamburg zur Fahrradstadt machen wird.“
Bemerkenswert ist, dass sich die Anzahl der Hamburger*innen, die an der bundesweiten Befragung teilgenommen haben, gegenüber 2016 noch einmal nahezu verdoppelt hat auf jetzt 4213 Menschen. »Das zeigt, wie sehr das Thema den Menschen unter den Nägeln brennt«, so Lau. Zwar sei unverkennbar, dass der Senat deutlich mehr für den Radverkehr tue als noch vor fünf oder zehn Jahren. Lau: „Doch diese Bemühungen reichen bei Weitem nicht aus, wenn die Stadt will, dass noch mehr Menschen aufs Rad steigen«. Das Gefühl, sicher unterwegs zu sein, sei dazu unerlässlich. Viele infrastrukturelle Verkehrsmaßnahmen des Senats seien aber unverändert autozentriert, nach wie vor plane und baue Hamburg für einen wachsenden Autoverkehr in der Stadt statt dem Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr die Priorität und mehr Platz zu geben. »Wir brauchen aber einen radikalen Wandel in der Verkehrspolitik, weniger privaten Autoverkehr in der Stadt, um Hamburg zu einer Vorzeigemetropole mit moderner, klimafreundlicher Mobilität, sauberer Luft, weniger Lärm, attraktiven Vierteln und sicheren Radwegen zu machen.«
AUFREGER: FALSCHPARKER, AMPELSCHALTUNGEN UND RADWEGBREITEN
Der zu lasche Umgang der Stadt mit Falschparker*innen auf Hamburgs Radwegen ist mittlerweile das Problem, das Radfahrer*innen am stärksten stört. Hier steht Hamburg mit der Note 5,3 besonders schlecht da (Bundesdurchschnitt: 4,5). Ebenfalls mit mangelhaft und schlechter bewertet wurden die Oberflächen, Breite und Reinigung von Radwegen, Ampelschaltungen und die Führung des Radverkehrs an Baustellen. „Was Radfahrer*innen tagtäglich auf Hamburger Straßen erleben, macht nicht Lust aufs Rad, sondern sorgt für Frust!“, sagt Johanna Drescher, Büroleiterin des ADFC Hamburg.
MIT DEM RAD ZUR SCHULE? NUR MIT SCHLECHTEM GEFÜHL
Als besonders alarmierend bezeichnet es der Fahrradclub, dass die Verhältnisse für Rad fahrende Kinder als ungenügend bewertet werden. In den Großstädten sind 85 Prozent der Befragten der Meinung, man könne Kinder nicht mit gutem Gefühl alleine zur Schule fahren lassen. Besonders schlecht beurteilt werden die Sicherheit (4,6) und die Nutzbarkeit der Radwege und -Spuren mit Kinderanhänger oder Transportrad (4,8). Johanna Drescher: „Wenn ich mit meiner fünfjährigen Tochter unterwegs bin, merke ich besonders deutlich, wie wenig Platz dem Radverkehr in Hamburg eingeräumt wird. Die Kreuzungen sind so zugeparkt, dass sie kaum selbstständig erkennen kann, ob der Weg frei ist. Und auf den schmalen Gehwegen ist sie oft Fußgänger*innen im Weg. Wir brauchen dringend qualitative und sichere Radwege für alle Generationen.“ Denn auch das »Elterntaxi«-Chaos vor Schulen gibt es nicht zuletzt auch aus dem Grund, weil viele Eltern glauben, dass ihre Kinder nur im Auto sicher seien.
ADFC FORDERT #MehrPlatzFürsRad
Das Unsicherheitsgefühl vieler Radfahrer*innen auf den vorhandenen Wegen und die Unzufriedenheit mit dem schleppenden Ausbau der Radinfrastruktur insgesamt sind laut Fahrrad-Club die wichtigsten Hemmnisse dafür, dass die Zahl von Menschen auf dem Rad nicht – wie politisch von allen Parteien auf dem Papier gewünscht – deutlich wächst, sondern nur kaum merklich steigt. Der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr (Modal Split) liegt aktuell bundesweit bei 11 Prozent und in Hamburg bei 15 Prozent. Möglich und sinnvoll wären 30 Prozent, wie in den Niederlanden, oder etwa 50 Prozent, wie in Städten wie Kopenhagen oder Amsterdam. Dafür ist es nach Auffassung des ADFC zwingend nötig, dass die Städte dem Radverkehr – im Verbund mit anderen klimafreundlichen Verkehrsmitteln wie vor allem dem öffentlichen Nah- und Fußverkehr – viel mehr Platz im Straßenraum zu geben. Mit der bundesweiten Mitmachkampagne #MehrPlatzFürsRad stellt der ADFC im 40. Jahr seines Bestehens diese Forderung in den Mittelpunkt. Am 9. April werden Fahrradaktivist*innen in fast allen Bundesländern mit markantem orange-weißem ADFC-Flatterband breite Selfmade-Radwege anlegen – verbunden mit der Botschaft: Das ist die Infrastruktur, die Radfahrer*innen brauchen! Mehr Informationen auf www.mehrplatzfuersrad.de.
*HINTERGRUND ZUM ADFC-FAHRRADKLIMA-TEST*
Der ADFC-Fahrradklima-Test ist die größte Umfrage zur Zufriedenheit der Radfahrenden weltweit. Im Herbst 2018 wurden bundesweit per Online-Umfrage 32 Fragen zur Fahrradfreundlichkeit gestellt – beispielsweise, ob das Radfahren Spaß oder Stress bedeutet, ob Radwege von Falschparkern freigehalten werden und ob sich das Radfahren auch für Familien mit Kindern sicher anfühlt. Mehr als 170.000 Bürgerinnen und Bürger haben bei diesem Durchgang mitgemacht und die Situation in 683 Städten und Gemeinden beurteilt. Nur 15 Prozent der Teilnehmenden sind ADFC-Mitglieder. Am 9. April 2019 wird die Rangliste der fahrradfreundlichsten Städte in sechs Größenklassen vorgestellt. Städte haben durch die Einzelbewertungen die Möglichkeit, gezielt zu erfahren, wo es gut läuft – und wo es Verbesserungspotenzial bei der Fahrradfreundlichkeit gibt. Der Fahrradklima-Test findet zum achten Mal statt. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) fördert den ADFC-Fahrradklima-Test 2018 aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP).
Pressemitteilung Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club, Landesverband Hamburg e. V.
Fahrrad-Klima-Test
Bill: „Ansporn, noch mehr für den Radverkehr zu tun“
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) hat heute seinen „Fahrrad-Klima-Test 2018“ veröffentlicht. Die Grüne Bürgerschaftsfraktion sieht dies als Ansporn, noch mehr für den Radverkehr in unserer Stadt zu tun.
Dazu Martin Bill, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion: „Wir arbeiten daran, Hamburg zur Fahrradstadt zu machen. Und das kommt bei vielen Menschen gut an. Die Anzahl der Radlerinnen und Radler ist seit dem Jahr 2011 um 80 Prozent gestiegen. Das nehmen wir als Beleg dafür, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben, und als Ansporn, weiter zu machen. Klar ist: Mittelfristig wollen wir auch im Ranking des ADFC spürbar aufsteigen. Klar ist aber auch, dass dies nicht von heute auf morgen geht. Vor allem dann nicht, wenn zuvor viele Jahre lang keine Radwege gebaut oder instandgesetzt wurden. Dieser Klimatest zeigt zu Recht, dass nach wie vor viel zu tun ist. Hierzu laden wir alle gesellschaftlichen Kräfte ein, sich zu beteiligen und freuen uns über jeden, der dieses Anliegen unterstützt.“
Pressemitteilung GRÜNE Bürgerschaftsfraktion Hamburg