ADFC-Kritik an Verkehrsplänen in der Innenstadt

Koalition in Hamburg-Mitte will die Autostadt zurück – nicht mit uns!
FDP, SPD und CDU wollen den Ausbau der Velorouten im Bezirk Hamburg-Mitte stoppen. Fahrradclub fordert: Verkehrswende gelingt nur, wenn der Straßenraum neu aufgeteilt wird – und Kfz-Parkstände wegfallen.

 

Auf Antrag der FDP-, SPD- und CDU-Fraktion hat die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte beschlossen, die Stadt möge bei zukünftigen Planungen von Straßenräumen auch die Bedürfnisse des motorisierten Individualverkehrs „angemessen“ berücksichtigen und dies vor allem in Bezug auf den Erhalt und Ausbau von Parkständen.

„An diesem Beschluss irritieren zwei Dinge: zum einen, dass die SPD als Koalitionspartner des aktuell regierenden Senats beteiligt ist, zum anderen die primär ideologisch basierte Forderung nach Erhalt und Ausbau von Flächen für den ruhenden Kfz-Verkehr im öffentlichen Straßenraum“, sagt Cajus Pruin vom Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Hamburg.

SPD, CDU und FDP in Hamburg-Mitte würden damit die notwendigen Transformationen verhindern, die für eine funktionierende Verkehrswende erforderlich sind. Pruin: „Gleichzeitig argumentieren sie bewusst verzerrend, indem sie den Eindruck erwecken, Hamburgs Autofahrer:innen würden überproportional durch den Veloroutenausbau benachteiligt.“ Das Gegenteil ist der Fall – wie der Faktencheck des Fahrradclubs zeigt: Der motorisierte Individualverkehr verbraucht mit Abstand den größten Anteil an Fläche in der Stadt – im Vergleich zum Radverkehr immerhin das Zehnfache. (Einen Faktencheck zur Verteilung des Straßenraums finden Sie unter https://hamburg.adfc.de/artikel/koalition-in-hamburg-mitte-will-die-autostadt-zurueck-nicht-mit-uns )

Ziel des Hamburger Senats ist es daher, die zur Verfügung stehenden Flächen gerecht und vor allen Dingen nachhaltig im Sinne einer wissenschaftlich anerkannten, notwendigen Verkehrswende und einer CO2-Reduktion im Sektor Verkehr umzuverteilen. „Zum überproportional hohen Flächenverbrauch des Autoverkehrs kommt die gleichzeitig abnehmende Nutzung dieses Verkehrsmittels“, so Pruin. „Das private Auto wird am Tag durchschnittlich nur eine Stunde lang genutzt, 23 Stunden steht es und nimmt dem tatsächlichen Verkehr Platz weg.”

Als Konsequenz müssen die öffentlichen Flächen für den ökologischen Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr massiv ausgebaut werden – und das kann nur zu Lasten des privaten, individuellen Autoverkehrs gelingen, um diesen gleichzeitig weniger attraktiv zu machen. Dadurch gewinnt zugleich der Wirtschafts- und gewerblicher Lieferverkehr, aber auch der des Rettungswesens oder von Taxis. Die Umwandlung von Kfz-Parkständen zu (kontrollierten) Lieferzonen wird etwa den Entwicklungen im Bereich der Dienstleistungen wie Liefer- und Paketdiensten gerecht.

Fazit: „SPD, CDU und FDP in Hamburg-Mitte ignorieren die aktuellen Erkenntnisse von Verkehrsexpert:innen und fordern ein Beibehalten des Status Quos, der das eigene Auto im Mittelpunkt hat“, kritisiert Pruin. „Der Beschluss der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte ist ein Rückschritt zur autozentrierten Verkehrspolitik des letzten Jahrhunderts. Ein Radwegestopp wie in Berlin ist mit uns nicht zu machen.“ Der Fahrradclub fordert dagegen mehr Platz und Sicherheit für alle Menschen. Pruin: „Die umweltfreundlichen Verkehrsmittel müssen klar priorisiert werden. Denn: Öffentlicher Stadtraum ist knapp und kostbar. Hier Flächen zum Abstellen von privaten Autos bereitzustellen – zum Teil sogar kostenlos – ist ungerecht der Mehrheit von Menschen gegenüber, die den Straßenraum gern gemeinschaftlich nutzen wollen: für Sport, Stadtgrün oder einfach um sich entspannt dort aufzuhalten.“


Fahrradclub: Hamburgs Magistralen jetzt fit für die Mobilitätswende machen!

Der Senat will bei der Sanierung der Willy-Brandt-Straße und Ludwig-Erhard-Straße die autogerechte Straßenaufteilung nicht ändern. ADFC fordert breite und sichere Radfahrstreifen auf Hamburgs Magistralen.

Auf der Abschlusskundgebung der diesjährigen Hamburger Fahrradsternfahrt am 18. Juni 2023 mitten auf der Willy-Brandt-Straße sprach Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) von der Notwendigkeit der Verkehrswende und versprach den Teilnehmer:innen bessere Bedingungen für den Radverkehr. „Die jetzt veröffentlichten Pläne für die Sanierung eben dieser Magistrale, der früheren Ost-West-Straße, stehen dem allerdings diametral entgegen“, kritisiert Tom Jakobi vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in Hamburg.

Laut den Plänen will die Stadt die Fahrbahn ab Ende Juli und die „Nebenflächen“, wie Fuß- und Radwege abwertend bezeichnet werden, ab Oktober 2023 unabhängig voneinander sanieren. Dabei soll sich der heute existierende Straßenquerschnitt in der Ludwig-Erhard- und Willy-Brandt-Straße mit bis zu sieben Streifen für den Kfz-Verkehr aber nicht verändern.

„Es ist ja ganz nett, dass der Untergrund der Rad- und Gehwege durch die Sanierung vielleicht etwas weniger holprig wird“, sagt Jakobi. „Aber hier werden im Jahr 2023 bestehende Radwege mit einer Breite von teilweise nur 1,25 Meter saniert, die so gefährlich sind, dass sie im Neubau heute so gar nicht mehr genehmigt werden dürften.“ Skandalös sei, dass der Platz für den Autoverkehr auf der rund 20 Meter breiten Fahrbahn unangetastet bleibt. „Eine solche Sanierung schreibt die autogerechte Gestaltung von Hamburgs Magistralen wie der Willy-Brandt-Straße für die nächsten zehn Jahre fest – Ziele wie die Mobilitätswende und der Klimaschutz fallen dabei hinten runter“, so Jakobi.

Der Fahrradclub fordert daher Hamburgs Verkehrssenator auf, diesen Murks-Entwurf zu stoppen. „Wenn es Anjes Tjarks ernst meint mit dem, was er uns auf der Sternfahrt versprochen hat, kann er es jetzt beweisen und die äußeren Kfz-Fahrstreifen in der Willy-Brandt-Straße in breite Radwege umwandeln – so wie es einer Verkehrswende gerecht würde!“

Pressemitteilungen des ADFC Hamburg (20.+25.7.)

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