EuGH-Urteil gegen Deutschland: NABU fordert verbindlichen Aktionsplan zum Erhalt bedrohter Lebensräume in Schutzgebieten
Der Zustand des artenreichen Grünlands im Natura 2000-Schutzgebietsnetz verschlechtert sich bundesweit immer weiter. Daher wurde Deutschland heute vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt. Ihr Urteil begründen die Richter*innen damit, dass hierzulande keine effektiven Schutzmaßnahmen getroffen werden, um diese Verschlechterung abzuwenden. Durch die Umwandlung von Grünland in Acker sowie zu starke Düngung und häufiges Mähen sind seit 2006 etliche Flachland- und Berg-Mähwiesen verloren gegangen.
Sollte Deutschland seinen Verpflichtungen jetzt nicht nachkommen, drohen empfindliche Geldstrafen. Bereits im September vergangenen Jahres wurde Deutschland vom EuGH verurteilt, da es in seinen Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebieten gegen EU-Naturschutzrecht verstoßen hat.
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Wieder wird Deutschland vor dem EuGH verurteilt, weil es seine Schutzgebiete dramatisch vernachlässigt. Es ist ein alarmierender Weckruf für den Naturschutz hierzulande, der weit über den konkreten Fall hinausgeht. Wo sollen gefährdete Arten überleben und bedrohte Lebensräume erhalten werden, wenn nicht in unseren Schutzgebieten? Wenn Deutschland die wachsende Bedrohung für unsere biologische Vielfalt wirklich ernstnimmt, muss es jetzt schleunigst handeln. Die Mängel sind bekannt, die notwendigen und rechtlich gebotenen Maßnahmen sind klar. Jetzt braucht es den nötigen Mut und Willen, die für unser Überleben wichtigen Lebensräume zu schützen.”
Der NABU fordert Bund und Länder auf, dem Artenverlust in Schutzgebieten in Deutschland entschieden entgegenzutreten. Konkret fordert er einen durch den Bund koordinierten Aktionsplan Schutzgebiete mit verbindlichen und spezifischen Zielen und Maßnahmen für alle Natura 2000-Gebiete. Hierfür müssen Bund und Länder die notwendigen Finanzmittel bereitstellen. Für die Agrarlandschaft ist deswegen auch in der EU-Agrarpolitik eine attraktive Honorierung von gesellschaftlichen Leistungen wie dem Schutz von artenreichen Wiesen dringend nötig.
Raphael Weyland, NABU-Büroleiter in Brüssel ergänzt: “Seit mehr als 30 Jahren vernetzt Natura 2000 Schutzgebiete in ganz Europa und garantiert so den Austausch unserer vielfältigen Arten. Doch hierzulande weist das Netz etliche Löcher auf, nicht nur bei Mähwiesen. Auf den unzureichenden Grünland-Schutz haben wir bereits 2014 mit einer Beschwerde an die EU-Kommission hingewiesen, die dieses Verfahren ins Rollen brachte. Wir können es uns nicht länger leisten, dem Verlust unserer Arten und Ökosysteme tatenlos zuzusehen. Denn mit jeder verlorenen Fläche verschwinden auch immer mehr heimische Tier- und Pflanzenarten. Dieser Verlust kommt unserer Natur und damit uns selbst teuer zu stehen.“
Hintergrund Natura 2000
Natura 2000 ist international das größte Schutzgebietsnetzwerk und ein wichtiges Instrument, um den voranschreitenden Artenschwund zu stoppen. Von der nordischen Tundra bis zu den Stränden des Mittelmeers, von den Alpengipfeln bis ins Wattenmeer umfasst Natura 2000 die wertvollsten noch erhaltenen Naturschätze der EU. Über 27.000 Flächen zählen europaweit zum Schutzgebietsnetzwerk – auch artenreiches Grünland, für das Deutschland auch eine europäische Verantwortung trägt. Es ist mit seiner Vielzahl an Kräutern und blühenden Pflanzen ein wichtiger Lebensraum bedrohter Tierarten, wie zum Beispiel den Schmetterlingen Großer Feuerfalter und Heller Wiesenknopf-Ameisenbläuling. Natura 2000 bildet außerdem ein wichtiges Gerüst, um die globalen Schutzgebietsverpflichtungen zu erfüllen, wie die kürzlich vom NABU veröffentlichte Schutzgebietsstudie zeigt.
Hintergrund Vertragsverletzungsverfahren
Durch die EU-Naturschutzrichtlinien sind die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Natura 2000-Schutzgebiete aufzubauen und zu sichern. Diesen Verpflichtungen ist Deutschland bei seinem artenreichen Grünland systematisch nicht nachgekommen, weshalb der NABU 2014 eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht hat. In Folge hat die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, das nun zu dem EuGH-Urteil führte (Rechtssache C-47/23). Dort wird bemängelt, dass Deutschland trotz kontinuierlicher Verschlechterung seines Zustands und dem Verschwinden von Wiesen nur unzureichende Erhaltungs- und Widerherstellungsmaßnahmen durchführt. Beispielsweise gibt es in vielen Schutzgebiete keine Gebote oder Regelungen zur Mahd oder Düngung, um die Mähwiesen zu schützen. Darüber hinaus werden Landwirtinnen und Landwirte nicht ausreichend für ihre Pflege entlohnt und beratend begleitet.
Pressemitteilung NABU
Bundesregierung trägt systematisch zum Artensterben bei:
Deutsche Umwelthilfe fordert konsequenten Schutz naturnaher Wiesen und Weiden
Deutschland hat es über Jahre versäumt, die artenreichen Lebensräume der Flachland-Mähwiesen und Berg-Mähwiesen ausreichend zu schützen. Zu diesem Ergebnis kam das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die deutsche Bundesregierung heute. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert zum Erhalt der Biodiversität dringend ein konsequentes Umsteuern.
Dazu Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer:
„Statt ressourcenschonende Anbauweisen zu fördern, subventioniert Deutschland seit Jahrzehnten den immer intensiveren Anbau von Futtermitteln für die industrielle Tierhaltung. Artenreiche Blühwiesen werden dadurch immer stärker von Futtergras verdrängt, Versiegelung, Nutzungsaufgabe und Überdüngung hingegen viel zu wenig eingedämmt. Diese völlig falsche Priorisierung hat fatale Folgen für den Arten- und Klimaschutz. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs steht die Bundesregierung nun in der Pflicht: Wir brauchen dringend ein Umdenken zum Schutz von Grünland. Naturschutzorientierte Beweidung kombiniert mit schonenden Mahd-Verfahren wirkt sich nicht nur positiv auf die Biodiversität aus, sondern dient auch als Schlüssel für Klimaanpassung und natürlichen Wasserrückhalt. Wir fordern die Bundesregierung auf, eine konsequente Förderungspolitik für ressourcenschonende Bewirtschaftung und naturnahe Weidelandschaften aufzubauen. Die Biodiversität im Grünland muss endlich gestärkt werden, statt sie zu zerstören.“
Hintergrund:
Das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesregierung wurde bereits 2019 eingeleitet. Laut dem Europäischen Gerichtshof verstößt Deutschland gegen Artikel 6 der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (FFH-Richtlinie) und trägt damit systematisch und anhaltend zur Verschlechterung der Lebensräume bei. Aus dem Schlussantrag des zuständigen Generalanwalts geht das enorme Ausmaß des Flächenverlustes hervor: Zwischen 2006 und 2017 beläuft sich das Gesamtdefizit auf knapp 11.000 Hektar Flachland-Mähwiesen und 360 Hektar Berg-Mähwiesen.
Pressemitteilung DUH