In Hamburg brüten so viele Vögel wie noch nie. Aber: Haussperling und Star kommen erstmals in einer Großstadt auf die Rote Liste gefährdeter Arten
Hamburg wächst, auch am Himmel. In Hamburg brüten 151 heimische Vogelarten mit einem Gesamtbestand von rund 450.000 Brutpaaren – das ist so viel wie in keiner anderen deutschen Großstadt. Vor zehn Jahren lag der Gesamtbestand noch bei 415.000 Brutpaaren. Ursache ist der Zuzug zahlreicher Waldvögel in die Stadt. Das sind Ergebnisse aus der Roten Liste gefährdeter Brutvögel, einem umfangreichen Monitoring, das die Umweltbehörde heute vorgestellt hat.
Der Bericht zeigt Wohl und Weh in der Vogelwelt auf: Etwa ein Viertel aller hier regelmäßig brütenden heimischen Vogelarten gilt mindestens als gefährdet, beispielsweise Rebhuhn oder Feldlerche. Zwölf Arten stehen auf der „Vorwarnliste“, etwa Weißstorch, Saatkrähe oder Nachtigall. Aus der Vorwarnliste herausgefallen sind z.B. Blaukehlchen, Grünspecht und Rauchschwalbe. Zwei Drittel der Vogelarten gelten als ungefährdet (z.B. Amsel, Kranich oder Mäusebussard). Gegenüber der letzten Roten Liste von 2007 müssen weitere sieben Arten in Hamburg als ausgestorben gelten, unter anderem Brachvogel, Haubenlerche und Zwergseeschwalbe.
Andererseits kamen neue Arten hinzu. So haben sich mit dem Seeadler und dem Raufußkauz zwei neue Brutvogelarten in Hamburg dauerhaft niedergelassen. Weitere positive Nachricht: Die Population des Mittelspechts hat sich seit 2007 vervierfacht. Deswegen konnte auch er aus der Liste der gefährdeten Arten entlassen werden. Ursachen sind eine naturnahe Forstwirtschaft, abwechslungsreiche Laubwaldbestände und ein hoher Totholzanteil.
Der Bestand des streng geschützten Eisvogels wuchs in den vergangenen zehn Jahren um 60 %. Auch er konnte die Rote Liste verlassen – die verbesserte Wasserqualität der Alster und ihrer Nebenflüsse sind hier die Ursache. Weitere gefährdete Vogelarten der Roten Liste sind oftmals Spezialisten, wie die Rohrdommel – inzwischen in Hamburg als Brutvogel ausgestorben – das Tüpfelsumpfhuhn und die Wasserralle, die auf intakte besondere Lebensräume angewiesen sind. Diesen Arten kann nur geholfen werden, indem ihre Habitate vor Zerstörung oder Verschlechterung dauerhaft geschützt werden. In Neuland z.B. konnte der Bestandsschwund des Kiebitz durch ein weitläufiges, gezieltes Wassermanagement erfolgreich gestoppt werden.
Umweltsenator Jens Kerstan: „In Hamburg leben mehr als 151 Brutvogelarten. So viele wie in keiner anderen deutschen Großstadt. Noch! Bei aller Freude über die große Zahl an Brutvögeln blicken wir mit Sorge auf den dramatischen Schwund bei einzelnen Arten. Die Artenvielfalt bei den Brutvögeln wollen und müssen wir bewahren. Wichtig dafür ist es, für einen funktionierenden Biotopverbund zu sorgen, in dem Vögel und andere Tiere innerhalb verschiedener Grün- und Naturbereiche gut wandern und wechseln können. Wir stellen das sicher, indem wir fast ein Viertel der Landesfläche im Biotopverbund festgeschrieben haben und unsere wertvollsten Flächen als Naturschutzgebiete sichern. Und was unbedingt hervorzuheben ist: Die solide Datenbasis für die aktuelle Erhebung verdanken wir vor allem dem Engagement der Naturschutzverbände und vieler Ehrenamtlicher.“
Bei einigen Arten sind die Bestände seit 2007 um mehr als 90 % zurückgegangen: Beutelmeise, Rebhuhn, Sandregenpfeifer u.a. – diese Arten kommen nur noch mit Einzelpaaren vor und stehen kurz vor dem Verschwinden. Einige ehemals häufige auftretende Arten zeigen besonders starke Bestandsverluste: Trauerschnäpper (450 Brutpaare (BP) -> 200 BP), Kiebitz (650 BP -> 300 BP), Fitis (4.600 BP -> 2.200 BP)
Mit großem Abstand am meisten Brutpaare verloren hat der Haussperling, der bis in die 1980er Jahre noch die mit Abstand häufigste Brutvogelart in der Stadt war, ein „Allerweltsvogel“. Von 29.000 BP zur Zeit der 3. Fassung der Roten Liste Mitte der 2000er Jahre sind noch maximal 16.000 BP übrig geblieben, seit der ersten Atlaskartierung Ende der 1990er Jahre hat die Art sogar mehr als 50 % ihres Bestandes verloren. Beim Star sank die Zahl in den letzten 15 Jahren um 45 % (-5.200 Brutpaare). Als erste deutsche Großstadt hat Hamburg den Star und den Haussperling nun auf die Stufe der gefährdeten Vogelarten gesetzt. Die Ursachen für den Rückgang sind vielfältig.
Die Sanierung alter Gebäude und der Neubau energetisch verbrauchsarmer Wohnhäuser mit dichten Fassaden führen offensichtlich zu einem Verlust an Brutstätten für die überwiegend an Gebäuden brütenden Arten. Abhilfe würden künstliche Nistkästen schaffen. Aber auch Nahrungsmangel zur Brutzeit, insbesondere an Insekten für die Aufzucht der Jungvögel, spielt eine wichtige Rolle.
Eine andere Ursache ist die veränderte Gartennutzung. Ehemals blüten- und damit insektenreiche Pflanzen und Flächen für Gemüse- und Obstanbau sind artenärmeren und sauberen Ziergärten und pflegeleichten Grünanlagen gewichen. Was hilft sind Gründächer, grünfassaden-reiche Gewerbehallen Bauten, die Grünanlage und Artenschutz gleich mitdenken.
Rote Liste:
2007 hat die Umweltbehörde zuletzt ihren Monitoringbericht zur Entwicklung der Brutvögel in Hamburg vorgelegt. Die mittlerweile 4. Rote Liste Vögel entstand als Gutachterauftrag der Umweltbehörde. Ihr liegen auch sämtliche ehrenamtlich im Arbeitskreis Vogelschutzwarte erhobenen Daten zugrunde. Die ehrenamtlich tätigen Vogelkundler erheben seit Jahrzehnten systematisch Daten, ohne die viele Maßnahmen des Naturschutzes, wie die Ausweisung von Schutzgebieten, dortige Maßnahmen oder die Erstellung der Roten Liste selbst nicht möglich wären.
Pressemitteilung der Behörde für Umwelt und Energie
Zur Roten Liste gefährdeter Brutvogelarten: NABU-Hamburg fordert mehr Schutz für Gebäudebrüter und Feldvögel
Heute stellte Umweltsenator Jens Kerstan auf der Landespressekonferenz die Rote Liste der gefährdeten Brutvogelarten vor. Die Liste gibt Aufschluss über den Zustand der heimischen Vogelwelt und lässt Rückschlüsse zu, warum bestimmte Arten immer weniger werden. Marco Sommerfeld, Ornithologe beim NABU Hamburg, erklärt, welche Arten besonders gefährdet sind und welche Maßnahmen für ihren Schutz wichtig sind.
Es klingt erst einmal gut, dass nicht mehr Vogelarten als vorher auf der Roten Liste zu finden sind. Beunruhigt sind wir aber über die starke Reduzierung der Brutpaare insgesamt. Während früher gefährdete Arten von der Roten Liste entlassen werden konnte, rücken jetzt einst häufige Arten in den Fokus des Artenschutzes. Insbesondere beim Haussperling und beim Star gibt es eine drastische Reduzierung der Brutpaarzahlen.
Der Haussperling leidet sehr unter der Versiegelung von wilden Ecken in Hamburg. Er ist ebenso ein typischer Gebäudebrüter und durch vermehrte energetische Sanierungen von Gebäuden verliert er hier seine Brutplätze. Der NABU Hamburg plädiert dafür weiterhin die Brutplätze an Gebäuden zu erhalten und bei Verlust Ersatz zu schaffen. Dies gilt insbesondere für Gebäudebrüter wie Mauersegler, Dohle, Hausrotschwanz und Haussperling.
Der Star brütet sowohl an Gebäuden wie auch in Baumhöhlen. Sein Rückgang um 40 % in den letzten beiden Jahrzehnten sind mehr als besorgniserregend. Da er auch an Gebäuden brütet, sind gerade Sanierungen der Dachbereiche eine Gefahr für die Brutstätten. Für den „Vogel des Jahres“ hat der NABU 2018 in Grünanlagen im gesamten Stadtgebiet Nistkästen für den Star angebracht. Diese wurden erfolgreich angenommen, was leider auch gleichzeitig bedeutet, dass höhlenreiche Bäume nicht mehr ausreichend vorhanden sind. Höhlen als natürliche Brutplätze sind meistens nur in alten Bäumen zu finden. In Hinblick auf den Starenbestand zeigen die Ergebnisse der Roten Liste also, dass alte Bäume in der Stadt unbedingt zu erhalten sind und der Baumbestand so geschützt werden muss, dass er altern kann.
Nicht nur Bäume, sondern auch extensiv genutztes Grünland sind extrem wichtig für den Fortbestand von Brutvögeln. Die aktuell veröffentlichte Rote Liste zeigt, dass die Reduzierung ehemals häufiger Brutvogelarten auch auf den Verlust von geeigneten Lebensräumen zurückzuführen ist. Der starke Rückgang der Feldvögel wie Rebhuhn, Kiebitz und Feldlerche ist die Folge von Zerstörung ihrer Habitate und Intensivierung der Landwirtschaft. Statt diese bedrohten Feldvogelarten zu schützen und zu fördern, plant Hamburg zum Beispiel ein Neubaugebiet wie Oberbillwerder mit einer Fläche von 130 ha. Betroffen von diesem Projekt sind über 90 Brutstandorte von Feldlerchen, Wiesenschafstelzen, Wiesenpieper, Kiebitzen und Wachtelkönige. Schon jetzt ist klar: Für Feldlerchen und Wiesenschafstelzen können im Gebiet keine ausreichenden Ausweichlebensräume geschaffen werden.
Deshalb fordert der NABU Hamburg von der Politik, den Artenschutz ernst zu nehmen und dort Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wo die Arten noch Vorkommen haben. Dies gilt auch für Naturschutz- und Vogelschutzgebiete. Durch die großflächige Bebauung des Wohngebiets Neugraben haben vermutlich nur 2-3 Rebhuhn-Paare überlebt. Maßnahmen zum Schutz ihrer Lebensräume müssen daher sehr schnell umgesetzt werden. Mit vielfältiger, insektenreicher Blühstreifen oder der Anlage von Brachen müssen attraktive Flächen geschaffen werden, wo die Vögel ungestört brüten können. In Hamburg kommen Rebhühner nur noch im Gebiet Geestrand bei Neugraben vor.
Generell müssen Grünflächen unbedingt erhalten bleiben und bei Bauvorhaben stärker berücksichtigt werden. Selbst kleine Grünräume bieten Platz für Sträucher und Gebüsche, die u.a. für den Haussperling ein wichtiger Lebensraum sind.
Pressemitteilung NABU Hamburg
Spatz in Gefahr: Neue Rote Liste der Hamburger Brutvögel mit erschreckenden Tendenzen / Verstärkte Bautätigkeit gefährdet viele Vogelarten
Die Ergebnisse der heute vorgestellten „Roten Liste gefährdeter Brutvogelarten“ sieht der BUND als deutlichen Beleg dafür, dass die Flächenpolitik des Hamburger Senats den Naturschutz nicht ausreichend berücksichtigt. Seit der letzten Bestandsaufnahme im Jahr 2007 sind sechs weitere Vogelarten ausgestorben, vor allem Wiesenvögel wie der Kiebitz im starken Abwärtstrend und selbst Allerweltsarten wie Haussperling, Star und Fitis (Laubsänger) mussten neu als gefährdet einstuft werden.
„Die neue Rote Liste belegt, dass es vielen Vogelarten in den letzten Jahren schlechter geht. Die Wachsende Stadt geht mehr und mehr auf Kosten der Nahrungsgrundlagen und Nistmöglichkeiten für die Vogelwelt und es fehlt an extensiv bewirtschafteten Grünlandflächen. Ohne eine grundlegende Umkehr vor allem in der Siedlungspolitik werden viele weitere Arten aus Hamburg verschwinden“, so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg.
Als besonders besorgniserregend stuft der BUND Hamburg die Gefährdung von Allerweltsarten wie Star, Haussperling und Fitis ein. Diese drei Vogelarten, die noch vor zehn Jahren überall in Hamburg anzutreffen waren, sind deutlich auf dem Rückzug. So ist der Bestand an Haussperlingen fast um die Hälfte eingebrochen. Dass selbst solche Arten mittlerweile als gefährdet gelten, gibt es laut Auskunft der BUE in keiner anderen Großstadt.
Der BUND Hamburg fordert vom Senat, die Flächenvernichtung einzustellen und den Biotopverbund zu stärken. Die Vereinbarung der Regierungsparteien, innerhalb des zweiten grünen Rings eine „Netto-Null-Flächenpolitik“ zu betreiben, müsse auf ganz Hamburg übertragen werden. Derzeit gilt, dass für eine Flächeninanspruchnahme im zweiten grünen Ring eine Fläche an anderer Stelle im zweiten Grünen Ring entsiegelt werden soll.
Der BUND appelliert aber auch an die Bevölkerung, in ihren Gärten und auf Balkonen etwas für Insekten zu tun, die wiederum eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Vogelarten sind. Gärten dürften nicht nach dem Gebot „möglichst pflegeleicht und immergrün“ gestaltet werden.
Pressemitteilung BUND HH