Analyse von Tanker-Routen

EU ist Drehscheibe für Russlands LNG-Exporte
Neue urgewald-Recherchen belegen, in welchem Umfang EU-Mitglieder wie Belgien, Frankreich, die Niederlande und Spanien zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine weiterhin Lieferungen von Flüssiggas (LNG) aus Russland ermöglichen. 15 eisbrechende LNG-Tanker transportieren in regelmäßigen Abständen russisches Gas zu LNG-Importterminals in den vier genannten EU-Ländern.

Wie die Auswertung der Handelsschiffsdatenbank kpler[1] zeigt, ist Russlands größter LNG-Exporthafen Sabetta, der vom russischen Unternehmen Novatek auf der sibirischen Yamal-Halbinsel betrieben wird, nahezu komplett abhängig von Exporten nach Europa. Über das Thema berichtet aktuell auch tagesschau.de[2] mit Verweis auf einen Beitrag im ARD-Magazin Monitor in der Sendung heute Abend (7.3.).

Die Recherche zeigt: Vor allem die europäischen Häfen Zeebrugge (Belgien), Montoir und Dunkerque (Frankreich), Bilbao und Mugardos (Spanien) sowie Rotterdam (Niederlande) dienen als Anlaufstellen für LNG-Lieferungen aus Yamal. Zeebrugge und Montoir sind außerdem wichtige Drehscheiben für den Weiter-Export etwa in die Türkei, nach China oder Taiwan.[3] Seit Beginn der russischen Invasion am 24.02.2022 wurden insgesamt 34 Millionen Tonnen LNG aus Yamal in EU-Häfen angeliefert oder in EU-Gewässern umgeladen. Dies entspricht mehr als der Hälfte des deutschen Gasverbrauchs im Jahr 2023.[4] Davon wurden mindestens 6,6 Millionen Tonnen, also rund 20 Prozent der Gesamtlieferungen, nachweislich über Europa ins außereuropäische Ausland verschifft.

Russlands LNG-Vorzeigeprojekt Yamal hängt zum einen vom Zugang zu EU-Häfen ab, zum anderen von 15 Eisbrecher-LNG-Tankern der sogenannten Arc7-Klasse, die eigens für Yamal gebaut wurden. In den Wintermonaten kann das Yamal-LNG nur von diesen Schiffen exportiert werden. Die Datenanalyse zeigt: Ganzjährig erfolgen fast 90 Prozent aller Yamal-Exporte mit diesen Arc7-Tankern. Das Ab- oder Umladen in EU-Gewässern ist daher für Russland von vitaler Bedeutung, weil diese Spezialschiffe sonst deutlich längere Transportrouten in Kauf nehmen müssten. Während die Fahrt von Yamal nach Zeebrugge sechs bis sieben Tage dauert, beträgt die Reisezeit in die nächstgelegenen Häfen der Türkei mindestens zwei Wochen.

Oleh Savitskyi von der ukrainischen Umweltorganisation Razom We Stand[5] kommentiert: „Das LNG-Geschäft ist Russland sehr wichtig. Es ist eine bedeutende Einnahmequelle für Putins brutalen Krieg gegen die Ukraine. Gleichzeitig soll es für politische Erpressung des Westens genutzt werden. Doch die EU braucht kein russisches Flüssiggas für ihre Energiesicherheit. Wir fordern den Europäischen Rat auf, gezielte Sanktionen zu verabschieden und Russlands schmutzige LNG-Lieferungen zu stoppen.“

Sebastian Rötters, Energie-Campaigner und kpler-Datenanalyst bei urgewald, ergänzt: „Auch zwei Jahre nach Beginn des Angriffskriegs ist die EU zentrale Drehscheibe für Russlands Flüssiggasgeschäft. Doch obwohl Russland hier deutlich abhängiger von der EU ist als umgekehrt, verbieten die Mitgliedsstaaten nicht einmal das Umladen des LNG auf andere Schiffe in ihren Gewässern und Re-Exporte aus der EU in Richtung Asien. Die deutsche Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die EU den Import von russischem LNG komplett verbietet und Schiffe sanktioniert, die russische LNG-Häfen anlaufen. In der Folge kämen die Exporte von Yamal praktisch zum Erliegen, weil Novatek schlicht die Alternativen bei Abnehmern und Tankern fehlen. Neue Arc7-Tanker sind aufgrund von US-Sanktionen nicht in Sicht. Diesen wirkungsvollen Hebel muss die EU endlich benutzen.“

Die mögliche Ausweitung der EU-Sanktionen auf LNG-Importe war auch ein Thema auf dem EU-Energieministertreffen am Montag.[6] Vergangene Woche Freitag verschickten außerdem mehr als 60 Abgeordnete des Europäischen Parlaments einen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in dem sie ein vollständiges Verbot von Gaseinfuhren aus Russland forderten.[7]

Wie wichtig der LNG-Handel mit Europa als Einnahmequelle für Russland ist, zeigt eine Studie des auf den Energiesektor spezialisierten Instituts IEEFA: EU-Länder haben im Jahr 2023 demnach 8,1 Mrd. Euro für Russlands LNG-Lieferungen bezahlt.[8]

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[1] Vgl. https://www.kpler.com

[2] Vgl. https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/russland-fluessiggas-lng-eu-100.html

[3] Hier gibt es zwei Varianten: Das direkte Umladen von einem Schiff auf ein anderes („Ship-to-ship transfer“) oder aber die Zwischenlagerung in einem LNG-Tank in Zeebrugge mit anschließendem Re-Export.

[4] Vgl. https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Gasversorgung/a_Gasversorgung_2023/start.html

[5] Vgl. https://razomwestand.org/en

[6] Vgl. https://montelnews.com/news/d4b4174c-9fd2-43b5-a33c-c2af0c889db8/lithuania-to-push-russian-lng-ban-to-eu-ministers-on-monday

[7] Vgl. https://cloud.urgewald.org/index.php/s/WEF6wYoYBjBMLMn

[8] Vgl. https://ieefa.org/european-lng-tracker

Pressemitteilung www.urgewald.org

Siehe auch: https://www.ardmediathek.de/video/monitor/aktuelle-folge-monitor/das-erste/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLXNvcGhvcmEtYmJiNzcwMmUtZWU1OC00OTlkLTlhMzEtNjQyNjAyMWFkZjFl

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