Bilanz Umwelthauptstadt Hamburg 2011: guter Ansatz verspielt

Heute zog die Umwelthauptstadt Hamburg Umweltverbände-Initiative, kurz UHU-Initiative, Bilanz des Jahres 2011, in dem Hamburg den Titel “European Green Capital” getragen hat. Neben einigen positiven Aspekten sehen die Umweltverbände in diesem Jahr vor allem viele verpasste Chancen in den Bereichen Natur- und Umweltschutz sowie nachhaltiger Verkehr.

“Es war zwar nicht der gegenwärtige Senat, der sich für die Auszeichnung als Umwelthauptstadt beworben hat”, zieht ALEXANDER PORSCHKE, Sprecher der UHU-Initiative und Vorsitzender des NABU Hamburg Bilanz. “Aber er hat bei der Umsetzung keine gute Figur gemacht. Um es klar zu sagen: Ein derart schwaches Bild im Natur- und Umweltschutz hat Hamburg nicht verdient.” Die Stadtoberen hätten sich in dem Titel “Umwelthauptstadt Hamburg” gesonnt, aber nichts getan, um Hamburg im Umweltbereich wirklich weiter zu bringen – im Gegenteil: “In vielen Bereichen wurde zurück gerudert”, ist Dr. HANS-HELMUT POPPENDIECK, Vorsitzender des Botanischen Vereins, verärgert. “Wir Hamburger Umweltverbände haben deutlich gespürt, dass dem Senat im Gegensatz zu den Hamburger Bürgern das Engagement für die Umwelt nicht wirklich am Herzen liegt.” Unter dem Strich habe der Titel “Umwelthauptstadt Hamburg” dem Natur- und Umweltschutz viel weniger gebracht als er versprochen hat. SUSANNE ELFFERDING, Vorstand
des ADFC Hamburg: “Andere Städte können eines von Hamburg lernen: Den Titel Umwelthauptstadt sollten sie nicht im Feuerwerk der Events verpuffen lassen, sondern ihn im Gegensatz zu Hamburg für reale Fortschritte nutzen!”

Die Verbände richten sich unter anderem gegen die Demontage von Natur- und Umweltschutz in den Bezirken. PORSCHKE: “Die Auflösung der Naturschutzreferate in den Bezirken hat die Effektivität des Naturschutzes in Hamburg entscheidend geschwächt. Das Forstamt bei der Wirtschaftsbehörde zu belassen, zeugt ebenfalls von keinerlei Einsicht in die Funktionen des Waldes.” Seiner Ansicht nach gehört die zentrale Forstverwaltung in die Umweltbehörde. Die UHU-Initiative kritisiert außerdem, dass der Natur- und Umweltschutz in der Landschaftsplanung nicht ausreichend berücksichtigt wird. Eine verstärkte Bautätigkeit brauche eine kluge, zentrale und aufs Ganze bezogenen Planung der Stadtentwicklung, so der UHU-Sprecher. Diese sei jetzt aber kaum noch möglich: “Die Landschaftsplanung wird größtenteils an die Bezirke delegiert. Die wenigen Mitarbeiter, die in der BSU verbleiben, sind nahezu handlungsunfähig.”

Enttäuschend war aus Sicht der Verbände außerdem das scheinheilige Engagement des Senats für den Baumschutz. POPPENDIECK: “Die vom neuen Senat offensichtlich als eigener Beitrag gemeinte Aktion zur Sammlung von Geld für zusätzlichen Baumersatz “Mein Baum – meine Stadt” offenbart das problematische Verständnis im Rathaus.” Denn die verstärkte Pflanzaktion im Umwelthauptstadtjahr wird die Verluste der Vergangenheit nicht ausgleichen können. “Der Senat schmückt sich hier mit fremden Federn”, meint Poppendieck. “Die vielen hundert Bürger, die zusätzlich zu ihren Steuern großzügig gespendet haben, haben damit deutlich gemacht, dass sie mehr Einsatz für Hamburgs Umwelt sehen wollen.” Ihnen verspricht der Senat, “großzügig” den gleichen Betrag für einen gepflanzten Baum dazu zu legen. Tatsächlich hat der Senat jedoch nur Mittel aus dem Klimaschutzetat in den Baumpflanzetat umgeschichtet, ohne zusätzliches Geld einzusetzen.

Einen eklatanten Mangel sieht die UHU-Initiative bei dem Engagement des Senats für die Stärkung des Radverkehrs in Hamburg. ELFFERDING: “Wir hatten vom SPD-Senat das konsequente Vorantreiben der ´Radverkehrsstrategie für Hamburg´ erwartet.” Für den Radverkehr hätte das vor allem den Ausbau von mindestens drei Velorouten und die Anlage von mindestens 50km neuer Radfahrstreifen, in erster Linie auf den Hauptverkehrsachsen der Stadt, bedeutet. “Begleitend dazu sollte die Stadt offensiv mit einer Kampagne ´Pro Rad´ mehr Hamburgerinnen und Hamburger für den Umstieg hin zur umweltfreundlichen Mobilität begeistern”, so Elfferding. Das würde zusammen mit einer Entschleunigung des Autoverkehrs nicht nur eine echte Chancengleichheit und Erhöhung der Verkehrssicherheit für alle unabhängig von Einkommen und Alter bedeuten, sondern der Stadt auch helfen, eine Millionenstrafe aufgrund der Nichteinhaltung der Luftreinhaltungsrichtlinie zu vermeiden. Dadurch, dass die Planungen für die Stadt  bahn eingestellt und sowohl Citymaut als auch Umweltzone mit einem Denkverbot belegt wurden und die Öffentlichkeitsarbeit zu wenig sichtbar ist, ist die Stadt meilenweit von einer zeitgemäßen Verkehrswende entfernt. Die UHU-Initiative kritisiert außerdem, dass die Landstromversorgung für Kreuzfahrschiffe nicht vorangetrieben wird. “Dies ist eine zukunftsblinde Umweltpolitik des Hamburger Senats im Jahr der Umwelthauptstadt”, erklärt Elfferding.

Als “überwiegend positiv” bewertet dagegen die UHU-Initiative den Zug der Ideen, wenn auch darin die Anliegen der Umweltverbände nicht angemessen repräsentiert waren, die Einbeziehung unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure, das Engagement der Bürger sowie die intensivierte Zusammenarbeit der Umweltverbände. “Doch für eine ambitioniert gestartete Umwelthauptstadt Hamburg ist das einfach zu wenig und geht nur marginal über PR hinaus”, so Alexander PORSCHKE abschließend. “Unsere Stadt hat hier eindeutig einen guten Ansatz verspielt!”

In der UHU-Initiative arbeiten der NABU, der ADFC, der Naturschutzverband GÖP, der Botanische Verein, die Naturwacht und der VCD zusammen. Weitere Informationen gibt es unter www.NABU-Hamburg.de/umwelthauptstadt
UHU_Abschlussbilanz_Tabelle
Pressemitteilung NABU Hamburg

BUND: Umwelthauptstadt Hamburg – Chance vertan

Zum Ablauf des Green-Capital-Jahres in Hamburg zieht der BUND eine ernüchternde Bilanz. Die Stadt habe weder die im Rahmen der Bewerbung abgegebenen Zusagen für einen besseren Umweltschutz in Hamburg umgesetzt, noch habe sie es geschafft, die  Ideen für eine ökologischere Lebensweise in der Bevölkerung zu platzieren. Das Motto „Die ganze Stadt macht mit!“ sei auf ganzer Linie gescheitert. „Hamburg hat die Chance vertan, den von der EU-Kommission vergebenen Titel mit Leben zu füllen. Vielmehr hat die SPD nach der Regierungsübernahme den Eindruck vermittelt, dass der Umweltschutz in Hamburg ein nachrangiges Politikfeld ist und im Zweifel wirtschaftliche Interessen vorgehen“, fasst Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg, die Kritik seines Verbandes zusammen.

Als besonders gravierendes Beispiel nennt der BUND die zentralen Zusagen zum Klimaschutz und der Luft- und Lärmbelastung in Hamburg. Waren die Einführung der Stadtbahn und die Prüfung einer Umweltzone und City-Maut noch zentraler Bestandteil der Bewerbung um die Hauptstadttitel, hat der neue SPD-Senat genau diese Projekte abgeräumt – ohne echte Alternativen aufzuzeigen. „Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den in anderen Städten bewährten Instrumenten hat nie stattgefunden“, so Manfred Braasch. Vielmehr habe der Bürgermeister seinen Wirtschaftssenator Werner Horch sofort „zurückgepfiffen“, als dieser laut über geeignete Instrumente nachdachte, um die Problematik der Luftbelastung in Hamburg zu entschärfen.
Auch beim größten Emittenten von Stickoxiden (NO2), dem Hamburger Hafen, ist der Senat deutlich im Verzug. Obwohl bereits seit Mitte Juli ein Gutachten des Germanischen Lloyd zur Realisierbarkeit einer Landstromanbindung für Kreuzfahrtschiffe vorliegt und sogar die Reedereien ihre Unterstützung anbieten, blieb der Senat bisher untätig. Die Folge sei, dass die Stadt aufgrund der hohen Grenzwertüberschreitungen bei Stickstoffdioxiden mit einem Vertragsverletzungsverfahren der EU rechnen müsse. Weit entfernt von den Zusagen der Bewerbung ist die Stadt auch bei der Reduzierung der CO2-Emissionen. Hier hatte die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt explizit das Klimaschutzkonzept genannt, das vorgibt, von 2007 bis zum Jahr 2012 zwei Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Nach einer Berechnung des BUND lag Hamburg Anfang 2011 erst bei einer Einsparung von 970.000 Tonnen, es somit unrealistisch, dass in nur zwei Jahren nochmals rund eine Mio. Tonnen CO2 eingespart werden.

Im Bereich des Naturschutzes sei die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt immerhin dabei, laufende Vorgänge abzuarbeiten. So habe die BSU das Naturschutzgebiet Rodenbeker Quellental um 37 Hektar erweitert und die Ausweisung der Elbinsel Wilhelmsburg als Landschaftsschutzgebiet soll mit 750 Hektar sogar üppiger ausfallen als in der Bewerbung angekündigt. Das Verfahren hierzu hat die Behörde im Sommer 2011 eröffnet. Als grundsätzlich gutes und richtiges Projekt der Umwelthauptstadt sieht der BUND die Aktion „Mein Baum – meine Stadt“ Allerdings verlöre die Stadt jährlich netto rund 2.000 Straßenbäume, die nicht nachgepflanzt würden, so dass das Projekt gerade mal den Verlust des Jahres 2011 ausgleichen konnte. Umso wichtiger sei es, hier endlich eine Trendumkehr einzuleiten und auch für die kommenden Jahre dafür zu sorgen, dass ausreichend Bäume nachgepflanzt werden.

Daneben gab es im Laufe des Jahres viele bunte Veranstaltungen, in denen Politik und Wirtschaft vorrangig versucht haben, ihr Umwelt-Image aufzupolieren. Selbst die aufwändig inszenierten Umweltdialoge hinterließen bislang keine sichtbaren Ergebnisse. Ob sich dies durch den für das Frühjahr 2012 geplanten „Auswertungs-Dialog“ noch ändern wird, bleibt fraglich. Dagegen wurde das direkte Engagement der Hamburger Bevölkerung für eine Energiewende in Hamburg nicht gewürdigt. Insbesondere der Erste Bürgermeister hat eines der erfolgreichsten Volksbegehren in der Geschichte Hamburgs ignoriert und vorläufig Fakten geschaffen. Heraus gekommen ist eine zweifelhafte Vereinbarung mit den derzeitigen Netzbetreibern E.on und Vattenfall, die auf jeden Fall dazu dienen wird, den beiden Unternehmen für die nächsten 20 Jahre den Markt abzusichern. Insgesamt ist die Bilanz des Green-Capital-Jahres aus Sicht des BUND eindeutig negativ. „Die Aktivitäten im PR-Bereich stehen im krassen Missverhältnis zur Bereitschaft, die ernsten Probleme zum Beispiel in der Verkehrs- oder Klimaschutzpolitik anzupacken. Aus heutiger Sicht hat Hamburg den Preis nicht mehr verdient“, so der Umweltverband.
Pressemitteilung BUND Hamburg

GAL: „Umweltfeindlichster Senat seit 30 Jahren“

Heute haben die Umweltverbände ihre Bilanz zum Umwelthauptstadt-Jahr 2011 gezogen. Das Fazit fällt ernüchternd aus – ebenso wie das Urteil der der GAL-Fraktion. Wichtige Umwelt- und Klimaschutzprojekte wurden abgeblasen oder vertagt. Der SPD-Senat hat eine große Chance für Hamburg verschenkt und den Umwelthaupt-Titel durch seine Politik des Nichtstuns nachhaltig beschädigt.
Jens Kerstan, umweltpolitischer Sprecher und Vorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion, erklärt: „Niemand hätte sich vorstellen können, dass eine Umwelthauptstadt die Verpflichtung durch diesen Titel so wenig ernst nehmen würde wie Hamburg unter SPD-Führung. Der Senat hätte den Titel ehrlicherweise von sich aus zurückgeben sollen.

Die SPD hat etliche Maßnahmen abgeblasen, die Hamburg im Klima- und Umweltschutz vorangebracht hätten. Weder Stadtbahn, noch Umweltzone oder Citymaut, noch ein Recycling- oder Parkraumkonzept soll es geben – all dies waren Maßnahmen, die bei der Bewerbung den Ausschlag für Hamburg gegeben hatten.
Eine Umwelthauptstadt muss auch für ihren Titel und ihre Projekte werben. Der ,Zug der Ideen‘, den die SPD zunächst scharf kritisiert hatte, hat den Umwelthauptstadt-Titel und unsere Stadt in ganz Europa bekannt gemacht. Nur in Hamburg hat der Senat es versäumt, den Titel mit Leben und Identifikation zu füllen. Wo die Substanz gestrichen wird, kann auch die beste Werbung die Glaubwürdigkeit nicht zurückholen.

Als wir Grüne im Senat waren, haben wir den Titel nach Hamburg geholt. Jetzt unter SPD-Regierung hat Hamburg den umweltfeindlichsten Senat seit mindestens 30 Jahren. Die SPD hat alle Chancen verschenkt, die mit dem Titel verbunden waren. Der Senat schadet damit Hamburg und er schadet dem Ansehen des Titels in Europa.“
Pressemitteilung GAL-Bürgerschaftsfraktion

Foto: Pressekonferenz der UHU-Verbände: Bernd Quellmalz (NABU), Dr. Hans-Helmut Poppendiek (Botanischer Verein), Alexander Porschke (NABU), Susanne Elfferding (ADFC, von links)
(c) Ilka Duge

 

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