Brisantes Duell: Klimaschutz gegen Artenvielfalt?

Ausbau der Bahntrasse im Ahrensburg-Stellmoor-Meiendorfer-Tunneltal
Am 22.5. haben alle Parteien der Ahrensburger Stadtverordnetenversammlung einstimmig den Antrag angenommen hat, gemeinsam eine Einwendung gegen den Bahnausbau einzubringen.

 

S4-Ausbau bedroht das Ökosystem Tunneltal

Es ist nicht nur ein komplexes und langwieriges Projekt, sondern auch ein sehr kontrovers diskutiertes: der Ausbau der Trasse für die künftige S-Bahnlinie 4 zwischen Hamburg und Bad Oldesloe sowie den wachsenden Güterverkehr. So begrüßenswert die Verlagerung des Personen- und Schwerverkehrs auf die Schiene auch ist, so umstritten ist die Streckenführung: Sie ist ausgerechnet im länderübergreifenden und an Volksdorf grenzenden Naturschutzgebiet Ahrensburg-Stellmoor-Meiendorfer Tunneltal geplant!

Geht es nach den Plänen der Bahn, dann sollen noch in diesem Jahrzehnt die ersten S-Bahnen von Hamburg über Ahrensburg und Bargteheide bis Bad Oldesloe fahren und rund 250.000 Menschen in der Metropolregion die neue Linie 4 nutzen. Umweltschützern bereitet das allerdings ernste Sorgen, denn sie sehen das landschaftliche Juwel Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal mit seiner vielfältigen Flora und Fauna als eindeutigen Verlierer dieser Infrastrukturmaßnahme.

Grundsätzlich begrüßen die Verteidiger des Tunneltals den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, aber – so die Forderung – er dürfe nicht zu einer Verschlechterung der Situation innerhalb der Schutzgebiete führen. Zu den großen Risiken, die mit dem Ausbau der Bahntrasse und dem dadurch wachsenden Zugverkehr verbunden sind, zählt nicht nur der viergleisige Ausbau der Bahntrasse, sondern auch die Errichtung zweier geplanter Brückenbauwerke sowie die kilometerlangen Lärmschutzwände im Bereich des Naturschutzgebietes. Diese Maßnahmen zerschneiden sowohl einen lokalen, ökologisch wertvollen Lebensraum als auch den überregionalen Biotop-Verbund. Wissenschaftliche Experten und engagierte Umweltschützer fordern, den zusammenhängenden Naturraums Stellmoorer Tunneltal (auf Hamburg-Meiendorfer Seite) und Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal (auf dem Gebiet Schleswig-Holsteins) zu respektieren. Das durch die Eiszeit geprägte Tunneltal ist heute Lebensraum vieler seltener Arten wie Kammmolch, Königslibelle oder Sumpfveilchen – darüber hinaus eine archäologische Fundstätte von Weltrang – ist Flora-Fauna-Habitat und gehört aus gutem Grunde zum Netzwerk NATURA 2000, was ihm den höchsten Schutzstatus auf europäischer Ebene verleiht. Gerade die Artenvielfalt ist von hoher Bedeutung. „Wir haben uns sehr lange auf den Klimawandel fokussiert“, räumte der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Matthias Glaubrecht in einem Interview mit dem NDR ein. „Tatsächlich aber steht mit den Arten, die wir an die Biodiversitätskrise verlieren, unsere eigene Lebensgrundlage auf dem Spiel. Das Artensterben ist eine globale Bedrohung, deren Dynamik und Dimension wir bisher eigentlich noch nicht richtig erkannt haben.“

Größtes Risiko für Pflanzen- und Tierarten ist der Verlust von Lebensräumen. Und das S4-Projekt in seiner jetzigen Form zeigt, wie fragil selbst die Ausweisung von Naturschutzgebieten ist, denn bauliche Eingriffe sind durchaus auch auf sensiblen Flächen möglich. Das Argument, hier den klimaschonenden Nahverkehr zu fördern, halten Kritiker für einen Etikettenschwindel; sie vermuten eher wirtschaftliche Interessen als Motiv für den massiven Ausbau. Seit Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher im vergangenen Jahr verlauten ließ, dass er den Bau von Windkraftanlagen sogar in Naturschutzgebieten für möglich halte, scheint diese Sorge nicht ganz unberechtigt.

Noch ist das Planfeststellungsverfahren für die S4 nicht abgeschlossen und die Naturschützer kämpfen weiter um kluge Entscheidungen. Im Sinne eines effizienten und zukunftsorientierten Schienenverkehrs fordern sie, dass verstärkt über Ausweichrouten für den Güterverkehr nachgedacht wird, die in Richtung Osten und Süden weiträumig um Hamburg herumführen. Das könnte nicht nur die Elbbrücken entlasten, sondern würde auch den ökologisch fragwürdigen Ausbau im Tunneltal überflüssig machen. Die vorhandenen Gleise sind für den Fern- und Güterverkehr sowie für den ÖPNV ausreichend.

Artensterben und Klimawandel gegeneinander auszuspielen, kann nicht die Lösung sein; es sind zwei Seiten derselben Medaille und gelten als die größten Herausforderungen unserer Zeit. Wissenschaftler wie der Professor für Diversität Matthias Glaubrecht haben glücklicherweise ihren Glauben nicht verloren, dass diese Probleme zu bewältigen seien: Große internationale Symposien wie zuletzt die Artenschutzkonferenz in Montreal würden belegen, dass die Politik sich der Notwendigkeit globaler Lösungen bewusst sei. „Wir haben heute Erkenntnisse, die wir vor Jahren noch nicht hatten“, betonte Glaubrecht in einem Radiointerview. „Wir sollten hoffnungsvoll sein und den globalen Weg, der jetzt beschritten wird, unterstützen. Das bedeutet natürlich auch, dass wir unsere eigenen Flächen schützen müssen.“

Weitreichende Informationen:
www.buergerinitiative-bahnstrecke-hh-hl.de
www.tunneltal.de
www.s-bahn-4.de

Pressemitteilung Dietrich Raeck, Volksdorf

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