Als „zu einseitig, zu langfristig und in Teilen ungeeignet“ kritisierten die Umweltverbände BUND und NABU heute den Entwurf für die 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Hamburg. Die Neuauflage war nötig geworden, weil die seit 2010 geltenden Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) dauerhaft überschritten werden und der BUND im Jahr 2014 erfolgreich eine Fortschreibung des Plans aus dem Jahr 2012 vor Gericht eingeklagt hatte.
Wenn der Hamburger Senat bis zum 30. Juni 2017 keinen neuen Luftreinhalteplan verabschiedet, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro fällig.
Die Verbände kritisieren insbesondere, dass auch mit den jetzt neu vorgeschlagenen Maßnahmen die Grenzwerte in einigen Hamburger Stadtteilen erst im Jahr 2025 eingehalten werden sollen. Damit wären die gesetzlichen Vorgaben zum Schutz der menschlichen Gesundheit erst 15 Jahre nach deren Einführung im Jahr 2010 erreicht.
Doch selbst die Modellrechnungen für diesen unbefriedigenden Zeitplan sind aus Sicht der Verbände zweifelhaft. So wurden offensichtlich wichtige „Korrekturfaktoren“ für die Ermittlung des realen Stickoxidausstoßes von Dieselfahrzeugen der Klasse Euro 4 und 5 nicht berücksichtigt. Die verwendeten Modelle zeigen zudem eine deutliche Abweichung zu den in den letzten zwei Jahren ermittelten Werten an den Hamburger Luftmessstationen.
„Der neue Luftreinhalteplan wird zwar Verbesserungen bringen, die Prognosemodelle werfen jedoch Fragen auf, die die Fachbehörden dringend beantworten müssen. Wenn die Modelle nicht stimmen, brechen die ohnehin unbefriedigenden Aussagen zum Erreichen der Grenzwerte wie ein Kartenhaus zusammen“, so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg. Der BUND kritisiert außerdem, dass der neue Luftreinhalteplan nicht wie vom Hamburger Verwaltungsgericht gefordert, „die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionswertes für NO2 in Höhe von 40 µg/m3 enthält“. Der Zeitraum bis 2025 entspreche auch bei großzügiger Auslegung nicht den Vorgaben des Gerichts und sei damit nicht geeignet, die Menschen in angemessener Zeit vor Stickstoffdioxid zu schützen.
Der NABU Hamburg nimmt die hafenbezogenen Emissionen ins Visier und sieht in diesem Bereich erschreckend hohe Belastungen für die Elbanwohner sowie inhaltliche Defizite im Entwurf des neuen Luftreinhalteplans. Während im letzten Plan von 2012 noch gesundheits- und umweltschädlicher Feinstaub berücksichtigt worden sei, betrachtet der neue Entwurf einzig die Stickoxide.
„Statt einen tauglichen Luftreinhalteplan mit wirkungsvollen Gesamtmaßnahmen vorzustellen, präsentiert der Senat einen reinen Klageabwendungsplan“, sagt Malte Siegert, Leiter Umweltpolitik beim NABU Hamburg. Die Stickoxid-Emissionen des Hafens würden nur hinsichtlich ihrer Einflüsse auf die vier hochbelasteten Straßenzüge bewertet, an denen die Hansestadt zum Handeln verklagt worden sei. Wenn selbst nach Aussage des Senats 80 Prozent der gesundheitsschädlichen Stickoxidemissionen aus Hafen und Seeschifffahrt kämen, fehlt nach Einschätzung des NABU eine Gesamtbewertung der Auswirkungen auf die hoch belasteten Stadtteile Altona, Neustadt und Hafencity. Dass gasförmige Stickoxide in der Luft obendrein die Feinstaubbelastung erhöhten, bleibe unberücksichtigt.
Offensichtlich habe der Senat wenig Interesse, neben Stickoxiden ehrlich mit der Hamburger Luftbelastung durch Schwefeldioxid, Feinstaub und krebserregenden Ruß umzugehen. Aus europaweiten Studien (Air Quality Report 2015) könne man ableiten, dass allein in Hamburg jährlich rund 1.200 Menschen vorzeitig an den Folgen von Feinstaub (PM 2,5) und rund 220 an Stickoxiden vorzeitig sterben. Das sei ein Vielfaches der Todesopfer, die der Hamburger Straßenverkehr fordere. „Eine genaue Gefahrenberechnung der Gesundheitsrisiken der Hamburger Luftverschmutzung ist überfällig“, sagt Siegert.
Der BUND und der NABU fordern deshalb wirkungsvolle Maßnahmen, um die Stickoxidemissionen aus dem Hafen und dem Straßenverkehr deutlich zu reduzieren. Dazu gehören insbesondere
– den Einsatz Hamburgs für die Einführung einer „Blauen Plakette“ auf Bundesebene. Eine solche berücksichtigt explizit den Schadstoff Stickstoffdioxid in Umweltzonen.
– großflächige Luftreinhaltezonen auf Grundlage der Hamburger Straßenverkehrsordnung mit Durchfahrtsverboten für Dieselfahrzeuge bis Ende des Jahres 2017.
– Die Ausweitung von Tempo 30/40 auf Hamburger Hauptverkehrsstraßen.
– Die Erhöhung von Parkgebühren, um die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu fördern sowie eine weitere Verbesserung des Parkraummanagements.
– den frühzeitigeren Einsatz von emissionsarmen Bussen.
– Den weiteren Ausbau und die verbindliche Nutzung des Landstromangebots im Hamburger Hafen. Dieses ist derzeit freiwillig und die Verursacher können sich über ein erhöhtes Hafengeld „freikaufen“.
– Den Einsatz Hamburgs auf Bundes- und EU-Ebene für wirksame Grenzwerte auch bei den krebserregenden ultrafeinen Partikeln aus der Dieselverbrennung.
Die Umweltverbände BUND und NABU werden ihre Stellungnahmen zum neuen Luftreinhalteplan am heutigen Donnerstag bei der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BUE) abgeben und bieten betroffenen Hamburgerinnen und Hamburgern an, sie bei eigenen Stellungnahmen zu unterstützen. Die Einwendungsfrist für Bürger und Verbände endet am 23. Juni 2017.
Mehr Infos: http://bund-hamburg.bund.net/index.php?id=50888
Pressemitteilung BUND und NABU HH
Umweltbehörde stimmt Mehrbelastung zu – Schadstoffausstoß im Luftverkehr soll bis 2020 um 56 Prozent steigen!
Der von Umweltbehörde und Senat vorgelegte Entwurf der zweiten Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Hamburg vom 08.05.17 weist grobe fachliche und rechnerische Mängel auf.
Im Teilaspekt „Luftverkehr“ (Kap. 5.1.3; S. 38 ff.) werden die flugverkehrsbezogenen Emissionen (Landing Take Off Zyklen – LTO) fälschlicherweise nur unterhalb von 300 m dem Flughafen zugehörig zugeordnet. Richtigerweise sind jedoch nach der ICAO (die Internationale Zivilluftfahrtorganisation) Emissionen unterhalb von ca. 900 m (3.000 ft.) dem Hamburger Flughafen zuzuordnen.
Die dem Luftreinhalteplan der Umweltbehörde zugrunde liegenden Daten der flugverkehrsbezogenen Emissionen (LTO-Zyklen und APU-Emissionen) basieren nicht auf echten Messergebnissen, sondern auf einer numerischen Simulation mit dem Flughafen eigenem Programm LASPORT. Es fehlt jegliche Transparenz bzgl. der Parametrisierung dieses Programms. Ebenso werden keinerlei Aussagen zur Validität der Simulationsergebnisse vorgestellt. Kurzum: Das Zahlenwerk der Umweltbehörde steht unter dem großen Vorbehalt der unabhängigen Überprüfbarkeit durch Dritte.
Im vorgelegten Luftreinhalteplan existiert kein Maßnahmenpaket zur Reduzierung der Luftverkehrsbelastungen. Im Gegenteil: Vom Bezugsjahr 2014 mit einem flugverkehrsbezogenen Schadstoffausstoß von 442 t NOx pro Jahr wird eine Emissionssteigerung innerhalb weniger Jahre bis 2020 um 56 Prozent auf dann 689 t NOx pro Jahr prognostiziert, ohne dass auch nur eine einzige Gegenmaßnahme im Luftreinhalteplan aufgeführt wird.
Für das Prognosejahr 2025 wird dann unbegründet von einem 0-Prozent Emissionszuwachs gegenüber dem Prognosejahr 2020 ausgegangen. Die jährlichen Zuwachsraten im Luftverkehr betragen jedoch durchschnittlich fünf Prozent. Für die Umweltbehörde ist das offensichtlich kein Anlass dieses in die langfristige Prognose einzurechnen. Während es eine quantifizierende Gesamtdarstellung der bestehenden NOx-Belastungsarten der Jahre 2012 – 2014 gibt (Tabelle 21), fehlt eine derartige Zusammenstellung für die Prognosezeiträume 2020 und 2025.
„Die Umweltbehörde beaufschlagt die Bevölkerung mit zusätzlichen flugverkehrsbedingten Schadstoffemissionen. Dieser sogenannte Luftreinhalteplan ist insbesondere in seinem Teilaspekt Luftverkehr ein Spiegelbild der mangelhaften Umweltpolitik des regierenden Senats. Eine kritische Befassung mit dem Emissionsträger Luftverkehr fehlt in Gänze. Ohne dass auch nur eine einzige Gegenmaßnahme im Luftreinhalteplan aufgeführt wird, lässt sie den Schadstoffausstoß massiv steigen. Im Gegensatz zu den anderen motorbezogenen Verkehrs-arten gibt es kein einziges Maßnahmenpaket zur Reduzierung dieser Emissionsart. Das ist ein Skandal! Außerdem stellt sich die Frage, ob der Emissionszuschlag mit den bekanntgewordenen Ausbauplänen am Flughafen in Verbindung steht“, fasst Martin Mosel, Sprecher der Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein (BAW) die Gesamtsituation zusammen.
Pressemitteilung BAW Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein