„Der Flughafen muss den Menschen sagen, welche Zusatzbelastungen er ihnen noch aufbürden will“

Sommerinterview mit dem Luftfahrtexperten Martin Mosel
In dieser Woche hat das Hamburger Abendblatt den derzeitigen Geschäftsführer des Hamburger Verkehrsflughafens, Michael Eggenschwiler, interviewt und in bemerkenswert unkritischer Weise dem Flughafen-Chef ausgedehnten Spielraum zwischen Wunsch und Wirklichkeit eingeräumt. Objektivität und Faktentreue sind in diesem Spannungsfeld leider wesentlich zu kurz gekommen.

 

Der Initiativkreis Klima- und Fluglärmschutz im Luftverkehr für Hamburg und Schleswig-Holstein (IK) hat sich mit dem Luftfahrtexperten Martin Mosel zur Entwicklung des innerstädtisch gelegenen Flughafenstandortes getroffen und ihn gleichsam Fragen zur Passagierluftfahrt im allgemeinen sowie speziell in Hamburg gestellt.

Martin Mosel (53) lebt in Lemsahl-Mellingstedt am Rande des Naturschutzgebiets Wittmoor, direkt in der An- bzw. Abflugschneise. Ohne Fluglärm wäre dies ein beschaulicher Stadtteil zwischen Poppenbüttel und Duvenstedt, der zu den Hamburger Walddörfern gehört. Vor sechs Jahren ist Martin Mosel aufgrund der stetig zunehmenden Belastung durch die startenden und landenden Flugzeuge aktiv geworden. Heute ist er Sprecher einer länderübergreifenden Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein. Beim Umweltverband BUND hat er zusammen mit anderen engagierten Bürgern den Arbeitskreis Luftverkehr gegründet. Martin Mosel gehört zu den Initiatoren der Volkspetition „Nachts ist Ruhe“ für ein konsequentes Nachtflugverbot ab 22 Uhr. Als Sprecher des Arbeitskreises Luftverkehr ist er auch auf Bundesebene aktiv und Mitglied in verschiedenen Gremien, Verbänden und Ausschüssen. In dieser Funktion berät er auch die Bundesregierung in Fragen zu Belastungen durch Lärm- und Luftemissionen im Luftverkehr.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Mosel, als Sie das Interview mit Michael Eggenschwiler im Abendblatt gelesen oder im Podcast gehört haben, was haben Sie als erstes gedacht?

Nun ja, ich weiß um das besondere Verhältnis von Flughafenbetreiber und insbesondere dem Wirtschaftsteil des Abendblattes und bin in der Folge diesbezüglichen Kummer gewohnt. Als langjähriger Leser war mir aber aufgefallen, dass gerade in der jüngeren Vergangenheit ein gewisser Wandel in der Berichterstattung zum Luftverkehr in Hamburg eingetreten ist Kritischere Zwischentöne wurden jüngst vor allem im Zusammenhang mit der Klimaschädlichkeit des Fliegens zugelassen.
Herr Eggenschwiler spricht von einem geradezu intimen Verhältnis der Hamburger zum Flughafen.

Einerseits müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass acht von zehn Hamburgerinnen und Hamburger den Flughafen nutzen ohne selber unter den negativen Auswirkungen des Luftverkehrs leiden zu müssen. Andererseits sind rund 250.000 Menschen in Hamburg und dem Umland von gesundheitsschädigendem Fluglärm betroffen. Die fluglärminduzierten immateriellen Gesundheitsschäden, verursacht durch den Betrieb des Helmut Schmidt-Airports, belaufen sich auf fast 25 Millionen Euro pro Jahr. Das entspricht annähernd dem Betrag, den Hamburg als Hauptanteilseigner vom Flughafenbetreiber pro Jahr überwiesen bekommt. Etwas verkürzt betrachtet, lässt sich somit feststellen, dass der monetäre Gewinn der Stadt auf Kosten der Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger erwirtschaftet wird.

Aber Herr Eggenschwiler betont auch immer wieder die große Mobilität der Hamburgerinnen und Hamburger…

Aus seiner besonderen Sicht ist das nachvollziehbar, bedient Herr Eggenschwiler doch mit dem Flughafen das preisgetriebene Mobilitätsinteresse einer zunehmend eventorientierten Bevölkerung. Das immer wieder beschworene „Bedürfnis zu Fliegen“ ist ein Märchen der Luftverkehrswirtschaft, um die vielfältigen Privilegien, die der Branche zu Teil werden, nicht zu verlieren.

In den letzten Jahren und besonders im letzten Sommer ist die steigende Anzahl an Verspätungen im Flugverkehr nach 23 Uhr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. 2018 war im negativen Sinn ein Rekordjahr. Nun meldet der Flughafenbetreiber für das erste Halbjahr einen deutlichen Rückgang derartiger Flüge. Wie bewerten Sie diesen mutmaßlich positiven Trend?

Der Flughafenbetreiber spielt mit gezinkten Karten. Wir müssen beachten, von welchem Übermaß die Verspätungszahlen herkommen. Allein das Malusjahr 2018 als Bezug heranzuziehen und sich auf einem weiterhin viel zu hohen Niveau auszuruhen, ist unseriös und respektlos gegenüber den Betroffenen von nächtlichem Fluglärm. Die Lage ist nach wie vor chaotisch. Trotz der rückläufigen Zahlen markiert das erste Halbjahr 2019 noch immer die zweithöchsten Werte bei den Starts und Landungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit nach 23 Uhr. Und die eigentliche Belastungsphase während der Ferienzeit beginnt gerade erst.

Der Flughafenbetreiber spricht aber von großen Bemühungen, um das Verspätungsniveau in diesem Jahr deutlich zu senken.

Gerade der vorgebrachte Aktionismus zeigt uns deutlich, dass mit vergleichsweise einfachen Managementmaßnahmen nächtlich verspätete Starts und Landungen unterbunden werden können. Nach der geltenden Flughafenordnung sind vermeidbare Flüge nach 23 Uhr nicht gestattet. Im vergangenen Jahr waren rund 80 % der außerhalb der Betriebszeit stattgefundenen Flugbewegungen unzulässig. Konsequenzen für die Zustands- und Handlungsstörer hat es jedoch nicht gegeben.

Der BUND hat mit seiner Forderung nach einem Nachtflugverbot ab 22 Uhr und seine hierauf gerichtete Petition keinen Erfolg gehabt. Nach langer und intensiver Befassung im Umweltausschuss sowie auffällig kurzer Diskussion in der Hamburgischen Bürgerschaft wurde das Schutzanliegen abgelehnt. Wie ist Ihre Position?

Zunächst einmal sind die Umstände, wie es zu der Ablehnung der Volkspetition gekommen ist, als dubios zu bezeichnen: Seitens Verwaltung und Belastungsverursacher wurde mit unzutreffenden Behauptungen den Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft ein Fehlbild der Entscheidungsbefugnis im Hinblick auf die Betriebsgenehmigung vorgetragen. Der ablehnende Beschluss ist letztlich auf der Grundlage falscher Tatsachenbehauptungen getroffen worden. Festzuhalten ist jedoch, dass die Einführung und Umsetzung eines konsequenten Nachtflugverbotes gleichsam zielführend wie verhältnismäßig ist. Betroffen wären lediglich 6 Prozent der bisherigen Betriebszeit und nur 3 Prozent der Flugbewegungen. Hieraus eine angebliche Gefährdung des Flughafenstandortes ableiten zu wollen, ist absurd. Sehr zum Leid der Bevölkerung gilt in Hamburg weiterhin, dass die Nacht immer mehr zum Tag gemacht wird. Im vergangenen Jahr fanden während der regulären Nachtruhe zwischen 22 Uhr und 6 Uhr insgesamt 8.660 Starts und Landungen statt. Ein neuer Negativ-Allzeitrekord. Seit dem Jahr 2011 stellt dies eine Steigerung von 68 Prozent dar. Gäbe es ein Nachtflugverbot, könnten die betroffenen Bürgerinnen und Bürger endlich acht Stunden fluglärmfrei schlafen, so wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit langem fordert.

Themenwechsel. Seit einem guten halben Jahr gibt es mit „Fridays for Future“ eine neue, mittlerweile weltweite Umweltbewegung. Jeden Freitag gehen tausende Schüler, Studenten und junge Erwachsene auf die Straße und prangern eine verfehlte Klimapolitik an. Die Klimalast durch das Fliegen ist dabei ein wesentlicher Kritikpunkt. Welchen Einfluss hat dieser Protest auf Ihre ehrenamtliche Arbeit?

Wir haben die CO2-Last des Hamburger Flughafens berechnet. Basierend auf Daten des Deutschen Fluglärmdienstes (DFLD), mit dem wir eng zusammen arbeiten, wurde für das vergangene Jahr im Zusammenhang mit dem Betrieb des Helmut Schmidt-Airports ein CO2-Äquivalent von zwei Millionen Tonnen pro Jahr ermittelt. Dies entspricht mehr als einem Drittel der Klimalast des Steinkohlekraftwerks in Hamburg-Moorburg! Kurz gesagt: Fliegen ist die neue Kohle. Den Forderungen von „Fridays for Future“ nach einem Verbot von Kurzstreckenflügen, dem Ende der Steuerbefreiung von Kerosin sowie einer angemessenen Bepreisung der Kohlenstoffdioxidemissionen schließen wir uns vollumfänglich an.

Können Sie beziffern, welcher Klimaschaden durch den Flughafenbetrieb entstanden ist?

Ja. Das Umweltbundesamt hat die Klimafolgeschäden mit 180 Euro pro Tonne CO2 bewertet. Dies bedeutet, dass der Hamburger Verkehrsflughafen im Jahr 2018 einen Klimaschaden von 360 Millionen Euro verursacht hat. Ein Preis, den die Menschen zu zahlen haben, deren Lebensgrundlage aufgrund des klimawandelbedingten Meeresspiegelanstiegs sowie infolge der großflächigen Verwüstung zerstört wird. Im Flugticket wird das Elend der betroffenen Menschen mit null Euro eingepreist.

Aber der Einzelne kann doch durch eine Kompensationszahlung seine persönliche CO2-Last ausgleichen?

Eine Ablasszahlung für den CO2-Ausstoß beruhigt vielleicht kurzfristig das Gewissen, ändert aber an der eigenen CO2-Emission nichts. Wer fliegt, schädigt die Umwelt und das Klima weit überproportional. Dies muss heutzutage jedem bewusst sein. Wirkliche Abhilfe schafft nur ein konsequenter Paradigmenwechsel. Die Menschen müssen umweltbewusster und nachhaltiger reisen; vor allem weniger fliegen.

Michael Eggenschwiler hat dagegen angekündigt, das Wachstum am Standort weiter zu forcieren. Er rechnet mit einem jährlichen Anstieg bei der Passagieranzahl von zweieinhalb Prozent. Auf was müssen sich die Menschen in den An- und Abflugschneisen in den kommenden Jahren einstellen?

Ich fordere Herrn Eggenschwiler auf, der betroffenen Bevölkerung in Hamburg und dem Umland endlich die Wahrheit zu sagen! Um den avisierten Passagierzuwachs von 8,4 Millionen auf dann insgesamt 26 Millionen Passagiere pro Jahr in 2035 realisieren zu können, sind mindestens 56.000 zusätzliche Starts und Landungen pro Jahr erforderlich. Dies bedeutet einen Anstieg bei den Starts und Landnungen von über 30 Prozent gegenüber heute. Allen muss doch klar sein, dass der aktuell stattfindende massive Flughafenausbau – es werden immerhin insgesamt mehr als eine halbe Milliarde Euro verbaut – zu einer wesentlichen Mehrbelastung der Bevölkerung durch die zusätzlichen Flugbewegungen führt.

Im Zusammenhang mit dem Flughafenausbau wird immer wieder über eine mögliche Entkreuzung der beiden bestehenden Start- und Landebahnen gesprochen. Was wissen Sie darüber?

Sie sprechen ein sehr kritisches Thema an. Unsere diesbezüglichen Nachfragen bei denen, die hierüber Bescheid wissen müssen, blieben bisher unbeantwortet. Auffällig ist allerdings, dass es keinerlei verbindliche Dementi seitens der Politik und Verwaltung sowie des Flughafenbetreibers auf eine diesbezügliche Berichterstattung in den Medien gab. Anstelle dessen mehren sich die Anzeichen, dass ein räumlich und zeitlich unabhängiger Zweibahnenbetrieb geschaffen werden soll. Dies würde zu einer immensen Zusatzbelastung der bereits jetzt im Übermaß betroffenen Bürgerinnen und Bürgern in Hamburg und Schleswig-Holstein führen.

Leider ist die Zeit schon um, dabei sind noch so viele Fragen offen. Aber wir denken, dass sich in Kürze eine weitere Gelegenheit bietet, um dieses spannende Gespräch fortzusetzten?
Dazu stehe ich gerne bereit. Ich danke Ihnen für Ihr umfassendes Interesse an dem Thema und die Gelegenheit einzelne Punkte klar zu stellen.

Das Interview führte Tobias Freising. – Vorabmeldung zu einem Interview in der Sommer-Ausgabe der „Flugtönenden Repliken“ (Erscheinungstag: 07.07.2019)

Pressemitteilung Initiativkreis Klima- und Fluglärmschutz im Luftverkehr für Hamburg und Schleswig-Holstein

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