Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert alle Städte und Gemeinden auf, zum Schutz von Menschenleben und Umwelt sowie für mehr Aufenthaltsqualität wo immer möglich Tempo 30 einzuführen. Ein neues Rechtsgutachten, das der Umwelt- und Verbraucherschutzverband in Auftrag gegeben hat, zeigt: Kommunen in Deutschland haben diverse Möglichkeiten zur Einführung von Tempo 30 – sie müssten sie nur konsequent umsetzen.
Vor allem die europäische Regelung zur Lärmaktionsplanung, die ab Juni 2022 von den Gemeinden durchzuführen ist, entfaltet neue Wucht: Für die Aufnahme von Tempo 30 in den Lärmaktionsplan gibt es keine verbindlichen Grenzwerte. Die Kommunen haben damit große Handlungsspielräume, um Ihre Bevölkerung vor Lärm zu schützen.
In einem ersten Schritt hat die DUH deswegen Anträge an die 165 Städte des Bündnisses „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ verschickt, die mehr Möglichkeiten zur Anordnung von Tempo 30 einfordern. Deren Ziel, das Straßenverkehrsrecht zu ändern, ist aus Sicht der DUH zwar richtig und wichtig. Man dürfe deshalb aber nicht abwarten, sondern müsse alle jetzt schon bestehenden Spielräume nutzen. Mit ihren Anträgen will die DUH den Städten die bislang ungenutzten Möglichkeiten aufzeigen und den Druck erhöhen, diese auch auszuschöpfen. Zudem ruft die DUH Bürgerinnen und Bürger auf, selbst aktiv zu werden: Unter www.duh.de/tempo30-jetzt können sie Tempo 30 für konkrete Straßen beantragen und so ihre Stadtverwaltung zum Handeln bewegen.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Tempo 30 ist eine zentrale Maßnahme für weniger Verkehrstote und Verletzte, bessere Luft, weniger Lärm und mehr Klimaschutz in unseren Städten. Paris, Barcelona, Brüssel und hunderte weitere europäische Kommunen machen es vor – und der Erfolg gibt ihnen Recht: Nach der Einführung von Tempo 30 gibt es weniger Unfälle, weniger Lärm und Luftschadstoffe. In Deutschland hingegen wird regelmäßig das enge Korsett des Straßenverkehrsrechts als Grund angeführt, warum weiterreichende Anordnungen von Tempo 30 nicht möglich seien. Unser Rechtsgutachten entlarvt das als falsch! Wir fordern die Städte auf, bestehende Möglichkeiten zu nutzen und nicht auf eine Überarbeitung des Straßenverkehrsrechts zu warten oder sich dahinter zu verstecken.“
Die Vorteile von Tempo 30 sind lange nachgewiesen. In Brüssel etwa hat sich die Zahl der Verkehrstoten seit Inkrafttreten der Regelung Anfang 2021 mehr als halbiert, die Lärmbelastung hat sich um bis zu 4,8 dB(A) reduziert. Es ist mehrfach nachgewiesen, dass Tempo 30 auf die Lärmbelastung den gleichen Effekt hat wie eine Halbierung des Kfz-Aufkommens. In Berlin zeigt sich darüber hinaus der positive Effekt auf die Luftqualität: An fünf untersuchten Hauptstraßen sind die Werte für gesundheitsschädliches Stickstoffdioxid seit Einführung von Tempo 30 im Jahresmittel um bis zu 8 Prozent gesunken. Da die tatsächliche Geschwindigkeit im Stadtverkehr aufgrund von Ampeln, Querungshilfen, abbiegenden Fahrzeugen und Parkvorgängen sowieso deutlich niedriger liegt, hat Tempo 30 kaum Auswirkungen auf die Reisezeiten, kann aber bei entsprechender Anpassung der Ampelschaltungen den Verkehrsfluss erheblich verbessern.
Bislang machen Kommunen – wenn überhaupt – vor allem im Nebenstraßennetz von ihrem Recht Gebrauch, großräumig Tempo 30 einzuführen. Laut Rechtsgutachten der DUH gibt es aber im Zeichen von Verkehrssicherheit und Lärmschutz bereits jetzt Handlungsspielräume, um streckenbezogen Tempo 30 auf Hauptstraßen anzuordnen. Dasselbe gilt für besonders sensible Bereiche wie Bade- oder heilklimatische Kurorte. Vor allem über die Erstellung eines Lärmaktionsplans kann Tempo 30 auch großräumig und strategisch umgesetzt werden, da die europäische Umgebungslärm-Richtlinie – anders als das deutsche Lärmschutzrecht – planerische Ansätze zum vorbeugenden und vorsorgenden Umweltschutz enthält. Darüber hinaus ließe sich mit Zustimmung der zuständigen Straßenverkehrsbehörde eine großräumige Anordnung von Tempo 30 auch als Modellversuch realisieren.
Eine Reform des Straßenverkehrsrechts ist aus Sicht der DUH trotzdem notwendig, um bundesweit eine Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 innerorts festzulegen. Mit einer zeitnahen Umsetzung ist jedoch nicht zu rechnen: Erst kürzlich hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die drei Jahre lang die Auswirkungen von Tempo 30 prüfen soll. Umso wichtiger ist, dass die Kommunen jetzt selbst handeln, so der Umwelt- und Verbraucherschutzverband.
Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe
Mehr Infos: www.duh.de/tempo30