DUH veröffentlicht interne Dokumente zum Diesel-Skandal

Audi, VW, Daimler und BMW gaben bereits 2006 Abschalteinrichtungen in Auftrag – trotz rechtlicher Warnungen
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) veröffentlicht heute in einer Pressekonferenz interne Dokumente aus dem Dieselgate-Betrugskartell Audi, BMW, DaimlerChrysler (DC), VW und Bosch. Diese zeigen die aktive Rolle der Dieselkonzerne bei der Beauftragung der Betrugssoftware – trotz nachgewiesener Kenntnis über die rechtlichen Probleme. Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband hat die Unterlagen im Sommer 2022 aus dem Umfeld der Automobilindustrie zugespielt bekommen.

 

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Die von uns bereits an die Staatsanwaltschaft Stuttgart weitergeleiteten Unterlagen weiten den größten Industrieskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte aus. Nicht einzelne VW-Ingenieure, sondern die Profitgier der vier größten Automobilunternehmen Deutschlands führte zur Entwicklung von insgesamt 44 unterschiedlichen Varianten der Betrugssoftware. Damit ist der letzte Beweis erbracht, dass Dieselgate nicht durch einzelne VW-Ingenieure ohne Kenntnis des Vorstandes zustande kam. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Auftragsarbeit von Bosch für die vier größten Automobilunternehmen in Deutschland.“

Dr. Axel Friedrich, Internationaler Verkehrsexperte: „Nach meiner Einschätzung lässt sich die Feststellung von Gerichten eines Verbotsirrtums der Pkw-Hersteller nicht mehr halten. Das eröffnet für Pkw-Besitzer neue Möglichkeiten des Schadenersatzes. Es ist ein Skandal, dass diese Daten so lange zurückgehalten wurden.“

Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger bewertet die Unterlagen wie folgt: „Die Dokumente sind der rauchende Colt. Vor allem die Präsentation aus dem Oktober 2015 zeigt, dass man bei Bosch wusste, was man in rechtlicher Hinsicht tat. Zu den Funktionen wird jeweils mitgeteilt, warum diese ‚potenziell kritisch‘ sind. Dies beweist ein hohes Unrechtsbewusstsein. Niemand wird sich nun damit herausreden können, dass man nicht wusste, was man tat. Die Dokumente räumen selbst ein, dass die aktuell immer noch verwendeten Thermofenster aus Bauteilschutzgründen nicht erforderlich waren. Wir werden diese Dokumente daher auch dem Verwaltungsgericht Schleswig vorlegen, welches in Kürze über die millionenfach verwendeten temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen entscheiden wird.“

Die der DUH vorliegenden Protokolle bis zurück ins Jahr 2006 weisen aus, dass alle Beteiligte über die rechtlichen Probleme informiert waren. Unterlagen von November 2009 verweisen mit Hinweis auf ein Protokoll vom 14. September 2006 unter Teilnahme von Bosch, Audi, VW, DC und BMW auf den Wunsch der Bosch-Kunden nach einer Funktion, die in bestimmten Betriebsbereichen auf geringere Umsätze der Harnstoffdosierung erreicht. Weiter wird in den Protokollen als Beispiel explizit die temperaturabhängige Umschaltung vom Prüfmodus in den realen Straßenmodus genannt – mit anderen Worten genau jene Funktion, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuletzt in seiner Entscheidung vom 8. November 2022 zu einem Verfahren der DUH gegen das Kraftfahrt-Bundesamt als illegal bewertet hat. Dabei weist Bosch in den Verhandlungen mit seinen Kunden bereits zu diesem Zeitpunkt wiederholt darauf hin, dass Applikationen dieser Art nicht mit den rechtlichen Vorgaben in Einklang stehen.

Das Protokoll vermerkt mehrfach, dass die „Produktparameter (…) Auswirkungen auf (…) die Einhaltung behördlicher Vorschriften haben können“. In einem Diagramm zum „Funktionsprinzip Dosierung“ wird deutlich dargestellt, dass neben der normalen „Vorsteuerung“ der Harnstoffdosierung eine „Alternative“ Vorsteuerung programmiert und die „Umschaltung“ beispielsweise nach der Lufttemperatur erfolgt.

Unmissverständlich weist das Dokument auf eine Folie aus einem Arbeitskreis Audi, VW, BMW, DC und Bosch vom 14. September 2006 hin, in der vermerkt ist, dass die „Auswirkungen auf die Einhaltung behördlicher Vorschriften (…) haben kann“. Sie schließt mit der klaren Aufforderung an die vier Dieselkonzerne: „Applikationsverantwortung sowie Rechtfertigung der Funktion selbst liegt beim Kunden“. Um jeden Zweifel zu zerstreuen, was damit gemeint ist, folgt eine Folie „Beispiel: Reaktion US-Behörden“, in der einer Umschaltfunktion bei Benzinemissionen zwischen Labor und Fahrbetrieb eines vorsätzlichen Betrugs von Toyota im Jahr 2002 in den USA zu einer Millionenstrafe und einer verfügten Nachrüstung aller betroffener 150.000 Fahrzeuge beschrieben wird.

Am 2. Oktober 2015 ließ sich der Bosch-Vorstand berichten, wie viele unterschiedliche Bosch-Betrugssysteme für welche Automobilhersteller mit welchen Umschaltparametern entwickelt wurden. Heraus kamen insgesamt 44 Funktionen für nahezu alle größeren Automobilhersteller, die unter anderem durch eine Reduzierung des AdBlue-Einspritzung eine wirksame Stickoxidminderung verhindern.

Dabei werden nicht nur die Kunden benannt, die diese Applikationen verwenden – faktisch alle Hersteller weltweit – sondern auch klare Aussagen, dass viele dieser Applikationen rechtswidrig sind. So ist bei zahlreichen Applikationen für weltweite Diesel-Hersteller vermerkt: „Reduzierung über Bauteilschutzgründe hinaus“, „SOF-Funktion kann indirekt als Timer für Zykluserkennung verwendet werden“, „Zyklusoptimierung: Weniger Harnstoffverbrauch“, „Optimierung im Zyklusbereich“, „Könnte für Rollenbetriebserkennung verwendet werden“, „Verstoß gegen OBD-Vorschriften“. Neben den „individuellen Anpassungen“ vermerkt das Dokument auch mehrere Basisangebote der Bosch-Plattform, wonach nur in „fahrzyklusrelevanten Bereichen“ eine „Optimierung Abgas“ erfolgt.


Klimaklage gegen klimaschädlichen Automobilkonzern: Landgericht München vertagt Entscheidung gegen BMW

Am Schluss der heutigen (15.11.) mündlichen Verhandlung hat das Landgericht München I eine Entscheidung der Klage der Bundesgeschäftsführerin und Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen BMW auf den 7. Februar 2023 anberaumt.

Die Klägerin und die Kläger der DUH fordern den klimagerechten Umbau von BMW, insbesondere durch eine drastische Reduzierung der CO2-Emissionen der Fahrzeuge im Einklang mit den verbindlichen Regelungen des Pariser Klimaschutzabkommens und des deutschen Klimaschutzgesetzes. Die Klägerin und Kläger fordern BMW dazu auf, ab dem Jahr 2030 den Verkauf klimaschädlicher Verbrenner-Neuwagen zu stoppen. Allein durch die im Jahr 2021 verkauften Autos war der Konzern weltweit für 62,2 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich – mehr als Länder wie Finnland, Norwegen oder Portugal emittieren. In der Verhandlung hat der Vorsitzende Richter der Zivilkammer die Auffassung vertreten, dass die Klage möglicherweise derzeit unbegründet sei, die geltend gemachten Ansprüche aber zu einem späteren Zeitpunkt bestehen könnten, sofern BMW keine genügenden Anstrengungen zur Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele unternimmt.

Dazu Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Klage vertritt: „Wir hoffen auf ein positives Ergebnis vor dem Landgericht München. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, hat das Gericht zum Ausdruck gebracht, dass unsere Klage in den nächsten Instanzen erfolgreich sein kann. Das macht Hoffnung, auch wenn wir der Auffassung sind, dass die entscheidenden Weichenstellungen jetzt erfolgen müssen.“

Dazu Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer: „BMW stemmt sich wie kein anderer deutscher Automobilhersteller gegen den Klimaschutz und verweigert jede Aussage zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Der ThinkTank InfluenceMap listet BMW auf Platz 16 der Unternehmen, die weltweit am aggressivsten gegen effektivere Klimaschutzmaßnahmen arbeiten. Und in Europa kämpft BMW verbissen gegen ein Ende des Verbrennungsmotors selbst ab 2035. Gerade nach der heutigen Verhandlung bin ich noch zuversichtlicher, dass spätestens durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs BMW zu einem Ausstieg aus Diesel- und Benzin-Autos ab 2030 verurteilt wird.“

Dazu Barbara Metz, DUH-Bundesgeschäftsführerin: „BMW macht seit Jahrzehnten auf Kosten unserer Zukunft klimaschädliche Geschäfte und muss dafür endlich Verantwortung übernehmen. Wir nehmen den Konzern in die Pflicht und das heißt: Keine neuen klimaschädlichen Verbrenner mehr ab 2030. Derzeit verstößt BMW durch seine besonders klimaschädliche Fahrzeugflotte gegen das Grundrecht auf Klimaschutz. Internationale Wirtschaftskonzerne müssen sich an Grundrechte und die Pariser Klimaziele halten.“

Die Bundesgeschäftsführerin und die beiden Bundesgeschäftsführer der DUH klagen neben BMW auch gegen den Autokonzern Mercedes-Benz und den Öl- und Erdgaskonzern Wintershall Dea. Die DUH hatte 2021 nach dem wegweisenden Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts im Frühjahr 2021 diese ersten Verfahren gegen klimaschädliche Konzerne eröffnet. Greenpeace unterstützt zwei Klimaklagen gegen den VW-Konzern.

Pressemitteilungen Deutsche Umwelthilfe (DUH)

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