Durchbruch gegen illegale Abschalteinrichtungen

… in Diesel-Fahrzeugen: Deutsche Umwelthilfe gewinnt Grundsatzklage gegen das Kraftfahrt-Bundesamt – bis zu 10 Millionen Pkw betroffen
Gut sieben Jahre nach Bekanntwerden des Diesel-Abgasskandals ist der Deutschen Umwelthilfe (DUH) heute der Durchbruch gegen immer noch auf unseren Straßen fahrende Betrugs-Diesel gelungen: Das Verwaltungsgericht Schleswig gab einer DUH-Klage gegen das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) statt und hob den sogenannten Freigabebescheid für ein VW-Golf-Modell mit dem Motor EA 189 auf.

 

Das KBA hatte VW damit 2016 erlaubt, dass die entsprechenden Diesel-Fahrzeuge nach einem Software-Update wieder auf die Straßen durften – obwohl weiterhin illegale Abschalteinrichtungen vorhanden waren. Dadurch stoßen die Pkw bis heute mehr Stickoxide aus als erlaubt – extrem gesundheitsschädliche Abgasgifte, die allein in Deutschland für zehntausend vorzeitige Todesfälle jedes Jahr verantwortlich sind. Das Urteil ist eine schwere Niederlage für das KBA und das ihm übergeordnete Bundesverkehrsministerium. Es hat grundlegende Bedeutung, weil auch in vergleichbaren Verfahren nun entsprechende Urteile zu erwarten sind. Aktuell sind 118 weitere Verfahren der DUH gegen Freigabebescheide für Betrugsdiesel diverser Hersteller anhängig. Mittelbar sind bis zu 10 Millionen Autos in Deutschland betroffen. Das Gericht hat das KBA auch dazu verurteilt, gegen Volkswagen wegen der Entfernung der Abschalteinrichtungen tätig zu werden.

Die DUH fordert nun vom KBA, nicht weiter auf Zeit zu spielen, sondern das Urteil für Umwelt und Gesundheit aller Menschen sofort umzusetzen – und auf alle mittelbar betroffenen Fahrzeuge ebenfalls direkt anzuwenden. Die Behörde solle den amtlichen Rückruf aller Fahrzeuge mit illegalen temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen aller Hersteller anordnen, die in Deutschland solche Pkw verkauft haben. Es müsse schnellstmöglich eine Nachrüstung mit wirksamer Abgasreinigungstechnik oder die Rücknahme der Fahrzeuge auf Kosten der Hersteller geben.

„Dieses Urteil hat grundlegende Wirkung, denn es ist direkt übertragbar auf alle anderen Fahrzeuge mit temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen. Wir fordern das Kraftfahrt-Bundesamt deshalb auf, die betroffenen Pkw aller Hersteller zurückzurufen und nachrüsten zu lassen. Andernfalls werden wir in allen Fällen Klage erheben“, so Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in den Verfahren vertritt.

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Heute ist ein sehr guter Tag für die Saubere Luft und die Gesundheit aller Menschen in Deutschland. Die Betrugsdiesel müssen endlich saubergemacht werden. Das Kraftfahrt-Bundesamt und das zuständige Bundesverkehrsministerium haben so viele Jahre die Gewinninteressen einiger Konzerne vor das Wohl aller Bürgerinnen und Bürger gestellt und gegen Recht und Gesetz verstoßen. Dass es erst die Gerichte braucht, um das nach Jahren zu stoppen, ist ein Armutszeugnis für Volker Wissing und all seine Vorgänger. Und es ist zudem ein sehr guter Tag für alle betrogenen Kunden, die bis heute auf ihren dreckigen Fahrzeugen und dem Schaden sitzen geblieben sind. Alle Hersteller müssen ihre Betrugsfahrzeuge nun endlich sauber nachrüsten, dafür werden wir mit unseren weiteren Verfahren sorgen.“

Messungen des DUH-eigenen Emissions-Kontrollinstituts (EKI) lassen vermuten, dass noch immer Millionen Fahrzeuge mit temperaturbedingten Abschalteinrichtungen ausgestattet sind. Die Folge ist ein zum Teil stark erhöhter Ausstoß von gesundheitsschädlichen Stickoxiden insbesondere bei niedrigen Außentemperaturen. Die Europäische Umweltagentur EEA hatte zuletzt die Zahl der vorzeitigen Todesfälle aufgrund von Stickstoffdioxidbelastung allein für Deutschland mit 27.700 beziffert.

Hintergrund:

Nach Aufdeckung des Abgasskandals 2015 war das KBA gezwungen, Rückrufe anzuordnen, um die illegalen Abschalteinrichtungen zu entfernen. Notwendig gewesen wäre dabei eine Hardware-Nachrüstung, denn nur mit dieser wäre es möglich, die Grenzwerte für Stickoxidemissionen einzuhalten. Das KBA begnügte sich jedoch mit einem von den Herstellern entwickelten Software-Update, das einige Abschalteinrichtungen entfernte. Mit den daraufhin erfolgten Freigabebescheiden des KBA durften die Fahrzeuge weiter auf den Straßen unterwegs sein. Die DUH konnte mit ihren Messungen jedoch aufdecken, dass auch nach den Software-Updates Abgasreinigungen gedrosselt wurden, keine ausreichende Abgasreinigung vorhanden war und die Luft weiter verpestet wurde. Daraufhin hat die DUH am 16. April 2018 ein Musterverfahren gegen das KBA eingeleitet. Es zielt auf die Aufhebung eines 2016 erteilten Freigabebescheids für den VW Golf Plus TDI (2,0 Liter) mit dem Motor EA 189 EU5. Hilfsweise hatte die DUH das KBA aufgefordert, gegenüber der Volkswagen AG ordnungsbehördliche Maßnahmen zu ergreifen, damit die als zulässig festgestellten Abschalteinrichtungen unverzüglich entfernt werden.

Im November 2019 hat das Verwaltungsgericht Schleswig das Verfahren ausgesetzt, um zunächst zwei Fragen durch den Europäischen Gerichtshof entscheiden zu lassen. Zum einen ging es dabei um die Klagebefugnis der DUH, weil das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz dies für den Fall der Pkw-Typgenehmigung ausschließt. Zum anderen sollte geklärt werden, unter welchen Umständen Abschalteinrichtungen als legal einzustufen sind. Im November 2022 hat der Europäische Gerichtshof bestätigt, dass die DUH berechtigt ist, gegen das KBA zu klagen. Außerdem stellten die Richter klar, dass die Abgasreinigung in der überwiegenden Zeit ihrer Nutzung auch bei niedrigen Außentemperaturen funktionieren muss. Ob dies der Fall ist, musste nun das Verwaltungsgericht klären.

Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe

Dieser Beitrag wurde unter Bauen / Verkehr / Mobilität, Klima / Energie / Umwelt veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.