Hamburgs Luftfahrtcluster: Forderung nach vollständiger Kosten-Nutzen-Analyse
Die neue Entwicklungsstudie des Hamburger Luftfahrtclusters feiert das Wachstum der Branche mit großem Pathos: Fast 49.000 Erwerbstätige, 6,9 Milliarden Euro Wertschöpfung, massive Investitionen in Forschung, Exportstärke und ein scheinbar ungebrochener Innovationsmotor. Hamburg als europäische Luftfahrtmetropole – so die Botschaft.
Kommentar von Martin Mosel, Vorsitzender
des Umweltverbands BIG Fluglärm in Hamburg:
Was fehlt? Alles, was nicht glänzt.
Die Studie bleibt eine PR-verträgliche Erfolgsgeschichte. Sie blendet die massiven sozialen und ökologischen Folgekosten systematisch aus: Fluglärm, Schlafentzug, CO₂-Emissionen, Flächenkonflikte, Ressourcenverbrauch. Kein Wort über die zunehmende Belastung von Mensch und Umwelt in den Einflugschneisen. Kein Wort über die Gemeinwohlkosten eines mobilitäts- und wachstumsfixierten Luftverkehrsmodells. Und kein Wort über die fiskalische Schieflage: Milliarden an Subventionen, Steuerprivilegien und staatlichen FuE-Förderungen stehen einer Branche zur Verfügung, die ihre Gewinne internationalisiert und ihre Emissionen externalisiert.
Die beauftragten Autor*innen liefern eine gut strukturierte Bestandsaufnahme ökonomischer Leistungsindikatoren – keine Frage. Doch eine echte Bilanz würde auch die andere Seite einbeziehen. Genau hier braucht es dringend eine Gegenanalyse, die die Schattenseite dieses Wachstums sichtbar macht: Die versteckten Kosten, die Menschen, Klima und Kommunen tragen müssen, während die Branche sich als Zukunftsmotor inszeniert.
Wir fordern eine Schattenbilanz des Luftfahrtclusters Hamburg. Sie muss folgende Fragen beantworten:
Welche realen Klimakosten verursacht der Luftfahrtsektor in der Region?
Wie hoch sind die gesundheitlichen Belastungen durch Fluglärm, Feinstaub und Ultrafeinstaub?
Welche öffentlichen Mittel fließen jährlich direkt und indirekt in die Branche?
Welche fiskalischen Einnahmeausfälle resultieren aus Steuerbefreiungen und Ausnahmeregeln?
Wie steht es um die soziale Gerechtigkeit angesichts einer Infrastruktur, von der wenige profitieren und viele leiden?
Solange diese Fragen unbeantwortet bleiben, ist jede Wachstumserzählung unvollständig – und politisch einseitig. Ein Standort wie Hamburg, der sich Klimaschutz und Gemeinwohl groß auf die Fahnen schreibt, darf sich keine Bilanz leisten, die nur die Sonnenseite zeigt.
Es ist Zeit, auch die Schatten auszuleuchten.
„Die Studie liefert eine beeindruckende Darstellung der ökonomischen und technologischen Bedeutung der Luftfahrt in Hamburg – jedoch einseitig, wirtschaftsorientiert und stark förderlogisch geprägt. Umwelt-, Klima- und Gemeinwohlbelange werden fast vollständig ausgeblendet. Die politische Kommunikation zielt auf Legitimation von Wachstum und Subvention, nicht auf systemkritische oder nachhaltige Transformationsstrategien.“
Pressemitteilung Umweltverband BIG Fluglärm in Hamburg
Zur Info die Pressemitteilung Behörde für Wirtschaft und Innovation:
Hamburgs Luftfahrtbranche wächst:
Rund 50.000 Arbeitsplätze und knapp 7 Milliarden Euro Wertschöpfung
Die Branche zählt zu den wichtigsten wirtschaftlichen Treibern der Metropolregion. Das zeigt eine neue Studie von Hamburg Aviation. Die Beschäftigung in der Branche nahm seit 2019 um 18 Prozent zu. Heute arbeiten 48.700 Menschen in Hamburg in der Luftfahrt.
Auch die Wertschöpfung der rund 300 Unternehmen stieg in den zurückliegenden Jahren erheblich (+34 Prozent gegenüber 2019). Neben dem wirtschaftlichen Erfolg und starkem Wachstum der letzten fünf Jahre betont die Studie die Innovationskraft Hamburgs: Luftfahrtunternehmen investieren 470 Millionen Euro jährlich, hinzukommen 387 Mio. Euro Fördermittel aus der EU, Bund und Hamburg in den letzten 5 Jahren. Untermauert wird dieser Erfolg durch starke Partnerschaften, darunter Institutionen wie das Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung.
Wirtschaftssenatorin Dr. Melanie Leonhard: „Die Luftfahrtbranche ist ein Eckpfeiler der Hamburger Wirtschaft: Sie sichert zehntausende Arbeitsplätze, bringt Innovationen hervor und stärkt unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Mit dieser Studie zeigen wir eindrucksvoll, welchen Beitrag die Luftfahrt für Wertschöpfung, Export und Zukunftstechnologien leistet. Hamburg bekennt sich klar zu diesem Zukunftssektor und wird ihn auch weiterhin gezielt unterstützen.“
Die Zunahme der Beschäftigung in der Luftfahrtbranche ist deutlich auf den Beschäftigungszuwachs im Luft- und Raumfahrzeugbau, also dem industriellen Kern der Branche, zurückzuführen. Das Wachstum der Luftfahrtindustrie hat seit 2017 Fahrt aufgenommen und sich, ausgenommen eines kleinen Einbruchs im Jahr 2021 im Zuge der Corona-Pandemie, stetig positiv entwickelt, heißt es in der Studie.
Die Untersuchung wurde vom Institut für Innovation und Technik (iit) in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH durchgeführt und durch das Cluster Hamburg Aviation herausgegeben.
Der Luftfahrtstandort Hamburg: Ausblick und Empfehlungen
Ziel der Studie war es, neben Kennzahlen für die wirtschaftliche Leistung auch Faktoren für den künftigen Erfolg zu analysieren und entsprechende Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
Kooperationen und Bildung stärken
Bestehende Kooperationen zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik sollen ausgebaut werden. Gerade die Vernetzung innerhalb des Clusters Hamburg Aviation erweist sich als entscheidender Innovationsmotor. Um die Fachkräftebasis langfristig zu sichern, sind Investitionen in Bildung, Ausbildung und Weiterbildung notwendig – mit einem besonderen Fokus auf Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und datenbasierte Technologien. Gleichzeitig braucht es Lösungen für die Schaffung von Wohnraum, um die Attraktivität der Metropolregion als Arbeits- und Lebensstandort zu erhalten, so die Autoren der Studie.
Bürokratie abbauen und Infrastrukturen ausbauen
Ein weiterer Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit sei der Abbau bürokratischer Hürden. Schnellere Genehmigungsverfahren und effizientere Verwaltungsprozesse ermöglichen es Unternehmen, Innovationen schneller in den Markt zu bringen. Parallel dazu müssen leistungsfähige digitale Infrastrukturen – insbesondere Glasfasernetze – ausgebaut werden, um die Grundlage für die Transformation zu einer digitalisierten und vernetzten Luftfahrt zu schaffen. Eine weitere Empfehlung der Autoren ist es, die Möglichkeiten von Urban Air Mobility weiter auszubauen, sowohl technologisch als auch regulatorisch.
Zukunftstechnologien und KMUs gezielt fördern
Investitionen in nachhaltige Zukunftstechnologien wie Wasserstoffantriebe, Sustainable Aviation Fuels (SAF) sowie KI-gestützte Systeme sind essenziell, um die Klimaziele der Branche zu erreichen. Besonders wichtig ist hierbei die gezielte Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), die als Innovationstreiber im Cluster eine zentrale Rolle spielen.
Ein weiteres Potenzial liegt der Studie zufolge in der militärischen Luftfahrt. Durch technologische Synergien, Dual-Use-Innovationen und neue Zulieferchancen kann dieser Bereich zusätzliche wirtschaftliche Impulse für die Region liefern.
Reaktionen aus der Luftfahrtbranche
André Walter, Chef der zivilen Flugzeugproduktion von Airbus in Deutschland: „Der Standort Hamburg ist mit seinen rund 18.000 Beschäftigten der größte Airbus-Standort in Deutschland und der zweitgrößte weltweit. Die Hansestadt ist für Airbus ein zentraler Schlüsselstandort, geprägt von einer einzigartigen Clusterstruktur, ausgeprägter Innovationskraft und enormer wirtschaftlicher Relevanz. Wir engagieren uns hier bei zukunftsweisenden Technologien wie nachhaltigen Antrieben, da Hamburg ideale Bedingungen und hohe FuE-Investitionen bietet. Die enge Zusammenarbeit mit Partnern im Hamburger Luftfahrt-Ökosystem ist für uns essenziell, um zukünftige Herausforderungen zu meistern. Mit Blick nach vorn ist die Sicherung des Fachkräftebedarfs entscheidend, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit für die gesamte Metropolregion zu sichern.”
Christian Kunsch, Vorsitzender der Geschäftsführung am Hamburg Airport: „Die Ergebnisse der Studie zeigen eindrucksvoll: Die Luftfahrtbranche hat eine zentrale Bedeutung für Hamburg und die Metropolregion – als Wirtschaftsfaktor, Arbeitgeber und Innovationspartner. Der Flughafen Hamburg ist ein integraler Bestandteil des Luftfahrt-Clusters als Tor zur Welt für Waren und Personen. Darüber hinaus verstehen wir uns als aktiver Treiber klimafreundlicher Technologien und unterstützen die Transformation der Branche hin zu einer gesamtheitlichen Energiewende in der Luftfahrt. Unser Ziel ist es, schon in 10 Jahren den Bodenbetrieb des Flughafens CO2-emissionsfrei abwickeln zu können. Damit nehmen wir eine Vorreiterrolle in der Branche ein. Gemeinsam mit unseren Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik arbeiten wir daran, Hamburg als führenden Luftfahrtstandort in Europa nachhaltig weiterzuentwickeln. Genau das ist die Stärke des Clusters: Alle Akteure ziehen an einem Strang, so dass Unternehmen attraktive Bedingungen vorfinden.“
Harald Gloy, Chief Operations Officer, Lufthansa Technik AG: „Die Bedeutung des Standorts Hamburg kann ich seitens Lufthansa Technik gar nicht hoch genug einschätzen. Mit heute fast 10.000 Mitarbeitenden am Standort sind wir im Studienzeitraum personell sogar noch stärker als unsere Branche gewachsen. Und wollen es weiter tun. Auch unser Zukunftsprogramm Ambition 2030 baut auf die Hansestadt, was wir mit Investitionen in Milliardenhöhe und neuen Angeboten – von „hands-on“ bis digital, und von zivil bis militärisch – weiter unterstreichen werden.“
Marie-Christine von Hahn, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie: „Hamburg zeigt, was Luftfahrt kann: Mit starkem Wachstum, innovativen Technologien und rund 49.000 direkt- und indirekt Beschäftigten in der Region. Jetzt gilt es, diesen Kurs beizubehalten – mit klugen Investitionen und politischem Rückenwind.“
Roland Gerhards, CEO ZAL Zentrum für angewandte Luftfahrtforschung: „Die neuen Zahlen zeigen deutlich: Hamburg ist auf dem richtigen Kurs. Das starke Wachstum der Luftfahrtbranche verdanken wir auch der konsequenten Förderung von Innovationen – und genau hier spielt das ZAL als neutrale Forschungs- und Entwicklungsplattform eine zentrale Rolle. Gemeinsam mit Industrie, Wissenschaft und der Stadt bringen wir neue Technologien schneller aus dem Labor in die Anwendung. So stärken wir nicht nur die technologische Exzellenz des Standorts, sondern sichern auch langfristig seine internationale Wettbewerbsfähigkeit.“