Die Zulassung von Pflanzengiften in der EU muss reformiert werden. Das wird im Abschlussbericht des Pestizid-Sonderausschusses im Europäischen Parlament gefordert, über den das Plenum am Mittwoch, 15. Januar 2019, abstimmt.
„Beim Zulassungsverfahren von Pestiziden in der Europäischen Union liegt einiges im Argen. Ein zentrales Problem ist, dass sich die nationalen Behörden bei der Bewertung von gefährlichen Stoffen auf die Urteile der Industrie verlassen und diese ohne Kennzeichnung der Quelle in ihren Prüfberichten übernehmen. Diese Praxis setzt die Gesundheit der Menschen aufs Spiel und muss ein Ende haben“, so Maria Noichl, SPD-Agrarexpertin und Mitglied im Sonderausschuss für das EU-Genehmigungsverfahren für Pestizide (PEST).
Eine von Maria Noichl und anderen Europaabgeordneten beauftragte Studie hat beispielsweise bei der Beurteilung von öffentlichen Studie einen Plagiatsanteil von 50,1 Prozent identifiziert. „Glyphosat ist aktuell nicht auf der Grundlage einer unabhängigen, objektiven und transparenten Bewertung auf dem Markt, sondern auf Grundlage des von Monsanto und Co. erarbeiteten Zulassungsantrags. Das Bundesinstitut hat irreführende und unvollständige Informationen aus dem Zulassungsantrag unkritisch in die Risikobewertung aufgenommen“, kritisiert die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl.
„Für ein sicheres Zulassungsverfahren bedarf es einer vollständigen Transparenz bei der Risikobewertung sowie einer unabhängigen Prüfung, damit die Öffentlichkeit den Ergebnissen auch wirklich vertrauen kann. Dafür müssen die Behörden in den EU-Mitgliedstaaten zukünftig besser ausgestattet werden. Rund ein Viertel der Pestizide auf dem europäischen Markt sind nur zugelassen, weil die Prüfberichte der Mitgliedstaaten nicht rechtzeitig fertig werden. Für diese Unzulässigkeit zahlen die europäischen Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Gesundheit“, meint die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl.
„Möglichen Interessenkonflikten wollen wir zukünftig einen Riegel vorschieben. Die Bewertung eines Wirkstoffes darf nicht wiederholt in den Händen der gleichen Personen liegen. Jedes Unternehmen wechselt den Wirtschaftsprüfer; so müssen wir auch die Behörde wechseln, wenn es beispielsweise um die Bewertung von Glyphosat geht“, fordert die SPD-Europaabgeordnete. „Beim Verzehr von Obst und Gemüse sind die europäischen Bürgerinnen und Bürger einer Vielzahl von Pestiziden gleichzeitig ausgesetzt. Die Wirkungen von diesen Cocktails sind aber bisher weitgehend unbekannt. Diese Mischungen und Rückstände müssen zukünftig strenger geprüft und genauer erforscht werden.“
„Es muss klar sein, dass unser pestizidintensives Landwirtschaftsmodell Mensch und Umwelt schadet. Daher muss der Einsatz von Pestiziden dringend verringert und alternative Methoden verstärkt gefördert werden“, unterstreicht die SPD-Europaabgeordnete.
Pressemitteilung SPD-Gruppe im Europäischen Parlament
Studie: Deutsche Behörden haben bei der Glyphosat-Risikobewertung von der Industrie plagiiert
Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt seitenweise ab, ohne die Quellen zu kennzeichnen: Die EU-Risikobewertung des Bundesinstituts zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Wirkstoffes Glyphosat besteht laut einer aktuellen Studie zu mehr als zwei Dritteln aus Kopien und Plagiaten. Die exakte Quote beträgt 72,8 Prozent.
„Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat mit dem Kopieren und dem Plagiieren von Hunderten von Seiten industrieller Evaluierungen den eigenen Kodex guten wissenschaftlichen Arbeitens verletzt und die Gesundheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel gesetzt. Jetzt ist Fakt, dass Glyphosat aktuell nicht auf der Grundlage einer unabhängigen, objektiven und transparenten Bewertung auf dem Markt ist, sondern auf Grundlage des von Monsanto und Co. erarbeiteten Zulassungsantrags. Das Bundesinstitut hat irreführende und unvollständige Informationen aus dem Zulassungsantrag in die Risikobewertung unkritisch aufgenommen“, kritisiert die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl.
Plagiate fanden die Autoren einer neuen, exklusiven Studie von Plagiatsexperten fast ausschließlich bei der Bewertung öffentlicher Studien im Kapitel zu den potentiellen Gesundheitsrisiken von Glyphosat. Hier sei demnach die Hälfte, 50,1 Prozent, aus dem Zulassungsantrag der Industrie plagiiert und als Produkt des Bundesinstitutes ausgegeben worden. Dies beinhalte ganze Paragraphen und komplette Seiten Fließtext, die sowohl die Struktur als auch das Ergebnis der Studien einschätzen.
Ein weiteres Resultat dieses Skandals ist, dass keine der 58 öffentlichen Studien, in etwa von Regierungen oder Nichtregierungsorganisationen, zu dem Wirkstoff Glyphosat oder zu Glyphosat-Verbindungen als relevant oder glaubwürdig eingestuft worden seien. Dies beinhalte auch jene Studien, die ein signifikantes Risiko für das sogenannte Non-Hodgkin-Lymphom nachgewiesen haben, welche laut Experten der Internationalen Agentur für Krebsforschung den Verdacht erregten, dass Glyphosat Krebs beim Menschen auslösen könne. Damit hat das Bundesinstitut teils kritische Studien unter den Teppich gekehrt.
„Das europäische Zulassungsverfahren muss dringend reformiert werden. Die offensichtlich weit verbreitete Praxis, Zulassungsanträge der Industrie zu kopieren, zeigt, dass Pestizide in der EU heutzutage nicht unabhängig geprüft werden. Die Bewertung von Glyphosat durch das Bundesinstitut für Risikobewertung muss für ungültig erklärt und von einem anderen EU-Mitgliedstaat neu erarbeitet werden“, so die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl.
Glyphosat wurde im November 2017 auf der Grundlage der europäischen Zulassung für Pestizide wieder für die Verwendung in Europa zugelassen. Das Herbizid ist das am weitesten verbreitete landwirtschaftliche Gift der Welt und kommt in Flüssen, Grundwasser und Nahrungsmitteln vor.
„Vor dem Hintergrund der gefundenen Ergebnisse muss auch der Auftritt des Bundesinstitutes für Risikobewertung sowie Vertretern der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde im PEST-Sonderausschuss neu beleuchtet und potentiell Konsequenzen gezogen werden. Die Aussage eines Vertreters der EU-Behörde, nach dem sich im ersten Band der Risikobewertung des Bundesinstitutes keine Kopien aus dem Zulassungsantrag befänden, ist nachweislich falsch. Das muss ein Nachspiel haben, für das im Falle des Bundesinstituts in Deutschland die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zuständig ist“, fordert die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl. „Für die konventionelle Landwirtschaft, die Glyphosat im hohen Maße einsetzt, müssen Ersatzstoffe gefunden werden, die weniger gefährlich für Menschen, Tiere und Umwelt sind. Langfristig muss die eingesetzte Menge an Pflanzenschutzmitteln verringert und die Landwirtschaft ökologischer gestaltet werden.“
Die Klassifizierung von Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend im März 2015 durch die Internationale Agentur für Krebsforschung löste eine große öffentliche Debatte über die Risiken des Wirkstoffes aus, insbesondere da der Stoff im Rahmen des europäischen Zulassungsprozedere als unbedenklich eingestuft worden war. In diesem Zusammenhang kam auch die Frage auf, inwiefern die Risikobewertung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung von der European Glyphosate Task Force (GTF), der Koalition der Glyphosat-produzierenden Unternehmen, beeinflusst worden war. Dies konnte im Rahmen der Arbeit des PEST-Sonderausschuss nicht geklärt werden. Daher hat eine Gruppe von Europaabgeordneten, unter anderem Maria Noichl, sich dazu entschieden, diese Studie in Auftrag zu geben. Die Risikobewertung von Glyphosat besteht aus 4322 Seiten. Die Wiener Experten haben davon im Zuge der Studie über 1000 Seiten analysiert.
Pressemitteilung Europäisches Parlament/S&D-Fraktion, Pressestelle der SPD-Gruppe
Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt bei Monsanto ab
Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung hat bei seinen Einschätzungen der gesundheitlichen Folgen von Glyphosat von Monsanto abgeschrieben, zu diesem Schluss kommen die Autoren der heute vorgestellten Studie „Detailed Expert Report on Plagiarism and superordinated Copy Paste in the Renewal Assessment Report (RAR) on Glyphosate“. Mehr als die Hälfte der Kapitel, in denen veröffentlichte wissenschaftliche Literatur zu den Gesundheitsrisiken von Glyphosat bewertet und zusammengefasst wurde, muss als Plagiat bezeichnet werden. Einen Tag vor der Abstimmung des Europäischen Parlaments über den Abschlussbericht des Sonderausschusses über das EU-Genehmigungsverfahren für Pestizide („Special Committee on the Union’s authorisation procedure for pesticides”, PEST) zeigt die Studie, wie die Saatgutindustrie politische Entscheidungen über die Verlängerung der Zulassung des Herbizids in ihre Richtung lenkt.
Maria Heubuch, stellvertretendes Mitglied im Sonderausschuss für das Zulassungsverfahren für Pestizide, kommentiert:
„Das Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt schlicht bei Monsanto ab, die Plagiate sind völlig inakzeptabel. Geschäfte der chemischen Industrie dürfen nicht über der Gesundheit der Menschen und dem Schutz der Umwelt stehen, das Bundesinstitut für Risikobewertung darf sich nicht zur Marketingabteilung von Monsanto machen. Transparenz und wissenschaftliche Unabhängigkeit sind die Voraussetzung für politische Entscheidungen über die Zulassung giftiger Stoffe.
Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass beim nächsten Zulassungsverfahren im Jahr 2022 unabhängige wissenschaftliche Bewertungen den Ausschlag geben. Seit Jahren warnen unabhängige Wissenschaftler vor der krebserregenden Wirkung des Pflanzengifts. Die EU-Regierungen dürfen sich nicht weiter taub stellen und sich Glyphosat als alternativlos verkaufen lassen. Landwirtschaft ohne Gift ist möglich.
Der PEST-Abschlussbericht legt die Grundlage für transparente und unabhängige Entscheidungen über die Zulassung giftiger Stoffe, die Bundesregierung sollte sich daran halten.“
Hintergrund
Autoren der von der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament in Auftrag gegebenen Studie sind Dr. Stefan Weber, Gutachter für Plagiatsprüfung, und Dr. Helmut Burtscher-Schaden, Mitbegründer der Europäischen Bürgerinitiative „Stopp Glyphosat und Autor des Buchs „Die Akte Glyphosat“. Deutschland ist Berichterstatter für die Bewertung von Glyphosat.
Im Abschlussbericht des Sonderausschusses über das EU-Genehmigungsverfahren für Pestizide fordert Berichterstatter Bart Staes (Grüne/EFA) mehr Transparenz und unabhängige Kontrolle im Zulassungsverfahren für Pestizide. Es wird eine große Mehrheit für den Bericht erwartet.
„Detailed Expert Report on Plagiarism and superordinated Copy Paste in the Renewal Assessment Report (RAR) on Glyphosate“
Pressemitteilung Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament