Deutsche Umwelthilfe fordert Bundesregierung auf, drohende Industrialisierung der Nordsee zu verhindern
Bundeswirtschaftsminister Habeck will heute im Bundeskabinett über seinen Entwurf zum CO2-Speichergesetz sowie die sogenannte Carbon Management Strategie abstimmen lassen, mit der die CO2-Speicherung unter der deutschen Nordsee sowie die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) für neue gebaute Gaskraftwerke ermöglicht werden soll. Auch die CO2-Speicherung an Land soll zukünftig erlaubt sein, wenn die Bundesländer zustimmen.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht darin massive Gefahren für das Ökosystem Nordsee und fordert die Kabinettsmitglieder auf, den Entwurf abzulehnen.
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Der Gesetzentwurf zur Kohlenstoffspeicherung ist ein gefährlicher Schnellschuss. Die Speicherung von CO2 in geologischen Formationen darf nur unter strengen Rahmenbedingungen für diejenigen Industriezweige zugelassen werden, die ansonsten nicht dekarbonisiert werden können. Statt der fossilen Industrie den roten Teppich auszurollen, müssen enge Grenzen gesetzt werden. Das gilt insbesondere für die geplante Zulassung von ‚Carbon Capture and Storage‘ an Gaskraftwerken. Erst über die neuen LNG-Terminals Fracking-Gas aus den USA zu importieren und dann die CO2-Emissionen der neuen Gaskraftwerke einzufangen, ist klimapolitisch absurd. Wir fordern das Bundeskabinett auf, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.“
Eine Speicherung von CO2 unter der deutschen Nordsee würde die Industrialisierung des Naturraums weiter vorantreiben. Habecks Pläne dahingehend gelten zum Teil sogar für Meeresschutzgebiete: Hier werden nur Injektionsbohrungen und eine Speicherung direkt unter Schutzgebieten ausgeschlossen, nicht aber offenbar die benötigten Pipelines oder auch Seekabel.
Die Zulassung der Hochrisikotechnologie CCS bei Gaskraftwerken kritisiert die DUH, weil es hier bereits Alternativen mit Erneuerbaren Energien und Stromspeichern gibt. CCS müsse stattdessen auf Industriebereiche beschränkt werden, in denen dekarbonisierte Technologien noch nicht zur Verfügung stehen.
Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz der DUH: „Die Nordsee darf nicht zur CO2-Deponie von Energiewirtschaft und Industrie werden. Bereits jetzt steht der Naturraum durch die wirtschaftliche Nutzung unter enormem Druck. Statt auf den knappen Flächen in der Nordsee Konflikte zwischen notwendiger Offshore-Windenergie und fossilen Speichern heraufzubeschwören, brauchen wir klare Prioritäten für Energiewende und Meeresschutz. Die gesetzlichen Grundlagen für diese Hochrisikotechnologie dürfen nicht über das Knie gebrochen werden. Der Gesetzentwurf muss dringend überarbeitet und verbessert werden. Das Bundeskabinett fordern wir deshalb auf, diesen Entwurf abzulehnen.“
Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe
Greenpeace-Stellungnahme: CO2-Speichergesetz heute im Kabinett
Die Bundesregierung will in ihrer heutigen Kabinettsitzung die Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes beschließen. Künftig soll es erlaubt sein, CO2 mittels Carbon Capture and Storage (CCS) in unmittelbarer Nähe von Meeresschutzgebieten im Boden der Nordsee zu verpressen. Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, ein 3600 Kilometer langes Pipelinenetz quer durch Deutschland zu bauen.
Dieser Gesetzentwurf fördere eine fossile Scheinlösung und schade echtem Klimaschutz, sagt Karsten Smid, Klimaexperte von Greenpeace:
„Die Verpressung von CO2 täuscht eine Lösung nur vor. Tatsächlich wäre sie viel zu teuer, aufwändig und bräuchte Jahrzehnte bis zur Umsetzung. Zudem ist die Methode längst nicht ausreichend erprobt und kämpft mit technischen Schwierigkeiten. Wie lange die geplanten CO2-Endlager dicht halten, kann niemand voraussagen. Das verpresste CO2 im vermeintlichen Vorzeigeprojekt Sleipner in Norwegen wandert mittlerweile in Erdschichten, die dafür gar nicht vorgesehen waren. Scheitert Robert Habecks CCS-Strategie, stehen wir vor einem klimapolitischen Scherbenhaufen.
Statt branchenübergreifend sofort auf alles zu setzen, was CO2 vermeidet, lassen Habecks Pläne die fossilen Träume der Industrie wahrwerden. Denn sie ermöglichen die Verpressung von CO2 selbst für Branchen, in denen es längst bessere und zukunftsfähige Alternativen gibt, wie in der Stahlindustrie.
Verringerte die Industrie ihren Ausstoß an Treibhausgas auf ein absolutes Minimum, gibt es für die verbleibenden Emissionen gute naturbasierte Lösungen. So ließen sich zum Beispiel durch Wiedervernässung von Mooren und der Schutz von Wäldern viel CO2 natürlich speichern. Diese Maßnahmen wären weitaus sinnvoller und kostengünstiger.“
Anmerkungen:
Hintergrundinformationen zum Thema finden Sie hier: https://www.greenpeace.de/klimaschutz/energiewende/kohleausstieg/ccs#anchor-target-mythen
Eine Untersuchung des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) kommt zu dem Schluss, dass die norwegischen CCS-Projekte Sleipner und Snøhvit keine erfolgreichen Modelle für CCS sind, die nachgeahmt und ausgeweitet werden sollten. Sie stellen vielmehr die langfristige technische und finanzielle Tragfähigkeit des Konzeptes in Frage.
Der jüngste norwegischen Inventarbericht stellt fest, dass im Jahr 2022 gerade einmal 0,115 Mio. t CO2 von ursprünglich angekündigten bis zu 1 Mio. t CO2 pro Jahr verpresst wurden. Technische Schwierigkeiten haben größere Injektionsmengen verhindert.
Pressemitteilung Greenpeace
Jahrzehntelang vernachlässigter Meeresschutz rächt sich
Krüger: Weitere Übernutzung der Meere verstärkt Klima- und Biodiversitätskrise
Das Bundeskabinett befasst sich heute mit der Änderung des Kohlenstoffspeicherungs- und Transport-Gesetzes (KSPTG). Dies soll erstmals die Kohlenstoffspeicherung (CCS) auf dem Festlandsockel und der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) auf dem Meer sowie den internationalen Transport ermöglichen. Der NABU erkennt an, dass technische Lösungen beim Umgang mit unvermeidbaren Restemissionen eine Rolle spielen, warnt jedoch zugleich vor den ökologischen Folgen.
“Der Änderungsantrag zum KSPTG und die begleitende Carbon Management Strategie versäumen es, sich mit dem schon heute schlechten ökologischen Zustand unserer Meere und die mit dem Ausbau der CCS-Infrastruktur einhergehenden Risiken für die marine Biodiversität auseinanderzusetzen”, kritisiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. “Das ist ein weiterer Schritt in Richtung ‘Industriepark Nordsee’, also einer zunehmenden Ausbeutung des Meeres als Rohstoffquelle, Deponie und Energiepark”.
Laut NABU hat es die aktuelle Bundesregierung verpasst, nutzungsfreie Zonen in Meeresschutzgebieten zu etablieren und damit die Meere als wichtigste Kohlenstoffsenke zu stärken. Auch das Potenzial durch die Wiederherstellung und der Schutz natürlicher Senken wie Algenwälder, Seegras- und Salzwiesen bleibt ungenutzt. Das aber wäre die notwendige Voraussetzung für eine verantwortungsvolle nationale Carbon Management Strategie. Jetzt rächt sich das jahrelange Zögern in der Meeresschutzpolitik.
„Eine weitere Übernutzung der Meere steht den Zielen von Netto-Null und gesunden, artenreichen Meeren gegenüber und verstärkt die Biodiversitäts- und Klimakrise noch weiter”, so Krüger.
Zusätzlich zu Offshore-Windenergie und LNG-Infrastruktur drängt mit CCS ein weiterer technischer Faktor der Energie- und Industrietransformation in den längst stark übernutzten deutschen Meeresraum. Im Ergebnis darf aber eine politische Entscheidung für CCS, die mit weiteren Umweltbelastungen einhergeht, nicht die Umweltziele im Meer gefährden. So ist die Injektion und Speicherung von CO2 unter Meeresschutzgebieten klar abzulehnen. Sensible Bodenregionen sind für den Leitungsbau auszuschließen.
“Der Verlust natürlicher Funktionen der Meere hätte drastische Folgen für Natur- und Klima,” so NABU-Meeresschutzexperte Dr. Thorsten Werner. “Der schlechte Zustand der Nord- und Ostsee lässt aktuell kaum Spielraum für weitere Belastungen durch CCS. Vielmehr müssen zuerst andere Nutzungen reduziert und weitere Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden.” Nur so können Biodiversitäts- und Klimakrise gemeinsam bekämpft werden.
Pressemitteilung NABU
CCS-Gesetz: Mit der Ampel in den Klima-Jurassic Park
Zum Beschluss der Novelle des CCS-Gesetzes (KSpG) erklärt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):
„Heute knallen die Korken bei Shell, Exxon, Wintershall DEA, Equinor und Co: Die Koalition serviert ihnen mit dem heutigen Beschluss des CCS-Gesetzes ein flächendeckendes Kohlendioxid-Pipelinenetz und Klimamülldeponien unter dem Meer und an Land. So können Kraftwerke und die großen Industriekonzerne auch über 2045 hinaus Erdgas und Erdöl einsetzen. Genau dafür lobbyieren die internationalen Petrostaaten und -konzerne seit vielen Jahren. Der Beschluss der Ampel bestätigt ihren Erfolg. Die Energiewende wird ausgehebelt. Der Ausstieg aus den fossilen Energien, für den sich Deutschland noch auf der Weltklimakonferenz stark eingesetzt hat, ist plötzlich massiv gefährdet.
Ausgerechnet die klimazerstörende Gasindustrie wird im neuen CCS-Gesetz ermächtigt, im ganzen Land eine invasive Kohlendioxid-Entsorgungsinfrastruktur zu errichten. Die Nordsee, das Weltnaturerbe Wattenmeer sowie Wälder, Moore und Wiesen sind von neuer Industrialisierung bedroht. Dabei ist CCS eine gefährliche Scheinlösung, ein Bluff aus der Trickkiste der internationalen Öl- und Gaskonzerne, um den Ausstieg aus fossilen Energien und echte Lösungen zu verhindern. Mit CCS werden die Klimaziele unerreichbar.
Aus Sicht des BUND muss die Industrie ihre Verfahren elektrifzieren oder auf grünen Wasserstoff umstellen. In der Strom- und in der Wärmeerzeugung brauchen wir die Umstellung auf 100% Erneuerbare. Gleichzeitig müssen die Müllmengen reduziert und alternative Baustoffe entwickelt werden statt den Planeten mit immer mehr fossilem Plastik und Betonwüsten zu belasten.
Der BUND wird die besorgniserregende Entwicklung sowie die Entscheidungen des Gesetzgebers beobachten. Wir behalten uns weitere Schritte vor.“
Hintergrund:
Der BUND kritisiert…
die Bundesregierung dafür, dass sie den Paradigmenwechsel der CO2-Deponierung statt CO2-Reduktion trotz aller Evidenz vollzieht, dass in den entscheidenden kommenden Dekaden mit CCS kein mengenmäßig relevanter Beitrag zu den Klimazielen möglich ist
dass im Gesetzesentwurf eine vollumfängliche Deregulierung von CCS umgesetzt wird. Alle Industriekunden können demnach einen Anschluss an die CO2-Pipeline haben. Womöglich wird sogar ein Anspruch darauf konstruiert („ein Netz das … grundsätzlich für die Versorgung jedes Kunden offensteht “ – KSpG, §3 Nr.5b). Der Import und Transit von CO2 aus jeglicher Quelle, auch aus der Kohleverstromung anderer Staaten, wird ermöglicht.
die Einigung der Bundesregierung scharf, CCS für Gaskraftwerke sowie für die Energieerzeugung z.B. in der chemischen Industrie ermöglichen zu wollen. Die Abhängigkeit von fossilen Brenn- und Rohstoffen wird dadurch zementiert. So wird der Gasausstieg massiv gefährdet, die Energiewende ausgebremst.
dass die Einstufung von Emissionen aus der Müllverbrennung als unvermeidbar eingestuft werden. Der BUND warnt, dass mit CCS für Bioenergie (BECCS) der Verwertungsdruck auf Wälder durch Holzverbrennung im industriellen Maßstab unkalkulierbar erhöht würde.
dass CO2-Leitungen fälschlich ein öffentliches Interesse zuerkannt wir (z.B. für Enteignungen) und die in der Novelle angelegte Beschneidung von Beteiligungs- und Klagerechten.
die inadequaten Sicherheitsregeln für CO2-Transportleitungen. Die Bevölkerung in USA protestiert bereits erfolgreich gegen solche Kohlendioxid-Leitungen.
den Verzicht auf unabhängige Überwachung der CO2-Deponien und ungenügende Haftungsregeln. Faktisch bedeutet der Kabinettsbeschluss eine gravierende Lastenverschiebung auf künftige Generationen.
dass es ein massiv zerstörerischer Eingriff in die Natur mit unkalkulierbaren Folgen für marines Leben, Grundwasser und Klima ist, wenn Millionen oder gar Milliarden Tonnen CO2 mit Beimischungen aus Industrieabgasen in Meeresböden oder Gesteinsschichten an Land gepresst werden. Die geplante Ratifzierung der aus der Zeit gefallenen Beschneidung des Meeresschutzabkommens (London Protokoll) von 2009 für CCS ist falsch.
Pressemitteilung BUND