Der Senat will Hamburg zur „Metropol-Modellregion Mobilität“ machen: Bis 2030 sollen 10.000 autonome Autos auf den Straßen der Hansestadt fahren, der „Verkehr der Zukunft“ werde digital und autonom sein. Für den ADFC haben dagegen die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen Priorität.
Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) unterzeichneten am 19. Dezember 2022 ein „Memorandum of Understanding“ (Absichtserklärung) zur Digitalisierung des Verkehrs in Hamburg. Bereits ab 2025 wollen sie das automatisierte und vernetzte Fahren (AVF) von den bisherigen „Testfeldern“ in den gesamten Stadtraum bringen: Bis 2030 sollen in Hamburg 10.000 autonome Autos fahren.
„Dieses Programm des Hamburger Senats zum umfangreichen Ausbau des autonomen Fahrzeugverkehrs sehen wir kritisch“, sagt Tom Jakobi vom Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Hamburg. Wenn im Jahr 2030 tatsächlich zehntausend MOIA-Busse von Volkswagen und andere kommerzielle Sammeltaxi-Dienste autonom durch Hamburg fahren – schon aus Rentabilitätsgründen vor allem durchs Stadtzentrum – , konterkariert das eine echte Mobilitätswende, die den Umweltverbund aus öffentlichem Nah-, Rad- und Fußverkehr priorisiert. Weil diese „fahrerlosen“ Autos rund um die Uhr im Einsatz sein können und dabei selbständig von einem Kunden zum nächsten fahren, wird es unter Umständen nicht weniger, sondern vielleicht sogar noch mehr Autoverkehr in der City geben – auf Kosten der dort lebenden Menschen und ihrer Lebensqualität.
Jakobi: „Beim autonomen Fahren im Mischverkehr mit anderen Verkehrsträgern gibt es außerdem noch sehr viele offene Fragen – etwa in Hinblick auf Verkehrssicherheit, Datennutzung, Monopolisierung, Stadtplanung, Haftung bei Unfällen, den Einnahmen und Kosten sowie der Konkurrenz mit dem öffentlichem Nahverkehr.“ Dass bei so einschneidenden verkehrspolitischen Weichenstellungen bisher keine Bürger- und Stakeholderbeteiligung in Hamburg stattfindet, sieht Jakobi ebenfalls kritisch: „Das verstärkt natürlich unsere Sorgen hinsichtlich der offenen Fragen“.
Schließlich: Wenn beim autonomem Fahren trotz aller Risiken in Hamburg gleich flächendeckend geplant wird, während es für den Radverkehr nur einzelne Leuchtturmprojekte geben soll, zeigt das ein schweres Ungleichgewicht in den Plänen von Tjarks und Wissing zur „Modellregion Mobilität Hamburg“.
Um Hamburg zur Modellregion für den Verkehr der Zukunft zu machen, fordert der Fahrradclub:
1. Es muss sicher gestellt sein, dass es zukünftig nicht mehr, sondern deutlich weniger Autoverkehr Hamburg geben wird. Autonomer Autoverkehr ist auch Autoverkehr.
2. Die Verkehrsflächen müssen konsequent zugunsten des Umweltverbunds umverteilt werden.
3. Die noch fahrenden Kraftfahrzeuge müssen zum Schutz von Fußgängerinnen und Radfahrerinnen verpflichtend mit umfassenden Sicherheits-Assistenzsystemen ausgestattet sein.
Pressemitteilung ADFC Hamburg
Hamburg wird Modellregion für Mobilität
Der Verkehr der Zukunft ist digital und autonom
Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing und Hamburgs Verkehrssenator Dr. Anjes Tjarks wollen Hamburg als „Metropol-Modellregion Mobilität“ etablieren. Eines der ersten Projekte: Der Aufbau eines Mobilitätssystems mit bis zu 10.000 autonomen Fahrzeugen bis 2030.
Die Digitalisierung des Verkehrs eröffnet der Mobilität neue Dimensionen: So kann digitale Verkehrslenkung Staus verhindern, die fahrerlose Bahn Personalprobleme lösen oder der autonom fahrende LKW seine Fracht rund um die Uhr sicher transportieren. Um Innovationen im Verkehrsbereich zu fördern, haben Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing und Hamburgs Senator für Verkehr und Mobilitätswende Dr. Anjes Tjarks heute vereinbart, bei Mobilitätsprojekten künftig enger zu kooperieren. Sie haben dazu die Absichtserklärung „Metropol-Modellregion Mobilität“ unterzeichnet.
Dr. Volker Wissing: „Angesichts zunehmender Verkehre brauchen wir mehr denn je neue Technologien, um Mobilität klug zu lenken und die bestehende Infrastruktur effizient zu nutzen. Digitalisierung ist der Schlüssel zu einer effizienten Mobilität für Menschen und Güter und bietet gleichzeitig Chancen, unsere Klimaziele zu erreichen. In Hamburg gibt es ein experimentierfreudiges Klima für neue Mobilitätsformen. Darauf wollen wir aufbauen und Lösungen für andere Regionen und Städte ableiten.“
Dr. Anjes Tjarks: „Wir setzen auf die Digitalisierung, um den Menschen der Stadt und der Metropolregion ein modernes, nachhaltiges und effizientes Mobilitätangebot zu machen. Mir ist dabei ganz wichtig: Die Digitalisierung soll das Leben und in diesem Fall die Mobilität der Menschen einfacher und komfortabler machen. Das wirkt sich dann ganz konkret in zukunftsorientierten Projekten aus wie dem des autonomen Fahrens, mit dem wir die Flotte an On-Demand Fahrzeugen deutlich erhöhen können und der digitalen Schiene S-Bahn – die es uns ermöglichen wird, auch mit der bestehenden Infrastruktur Taktfrequenz und Angebot in Hamburgs Schnellbahnnetz deutlich zu verbessern.“
Ziel der „Metropol-Modellregion Mobilität“ ist die Entwicklung und der Aufbau eines vollständig neuen, digitalisierten und vernetzten urbanen Mobilitätssystems. Die neue Modellregion steht dabei nicht in Konkurrenz zu anderen Maßnahmen. Durch einen kontinuierlichen Austausch und definierten Prozess soll die Umsetzung von Mobilitätsprojekten beschleunigt und begleitet werden. Die Ergebnisse sollen auf andere Regionen übertragen werden können.
Erste Projekte: Autonomes Fahren, Digitale Schiene, UTIP-Weltkongress
In der „Metropol-Modellregion Mobilität“ sollen Projekte mit anderen Ländern, der Europäischen Kommission, Wirtschaft und Wissenschaft identifiziert und umgesetzt werden. Anknüpfen wird man dabei an bereits existierende Planungen für eine nachhaltige Mobilitätswende in Hamburg wie den Klimaplan oder den Hamburg-Takt. In der Absichtserklärung werden drei erste Projekte festgehalten.
Bis 2030 sollen in Hamburg bis zu 10.000 autonome Fahrzeuge (beispielsweise von MOIA, ioki oder einem anderen Anbieter) unterwegs sein und ein neues digitales On-Demand Verkehrsangebot schaffen, das auch für den ländlichen Raum adaptiert werden kann.
Mit einem ETCS- Standard für automatisiertes Fahren soll die Hamburger S-Bahn in Zukunft vollautonom unterwegs sein und einen dichteren Takt ermöglichen.
Der Bund unterstützt Hamburgs Bewerbung um die Ausrichtung des UTIP-Weltkongresses, einer der größten Messen für den ÖPNV, in den Jahren 2025 und 2027.
Hamburg wird sich außerdem mit eigenen Anwendungen im Mobility Data Space einbringen und so die breite Verfügbarkeit und den Austausch von Mobilitätsdaten unterstützen.
So geht es weiter
Um die Erklärung mit Leben zu füllen wird als nächster Schritt ein Projektkatalog initiiert und fortgeschrieben. Die Metropol-Modellregion etabliert einen Beirat, in den Vertreterinnen und Vertreter der Beteiligten berufen werden. Die Initiierung dieses Beirats erfolgt durch das BMDV und die BVM. Der Projektstand wird durch ein für das BMDV und Projektbeteiligte zugängliches Projektmanagement-Office durch Hamburg vorgehalten. Die Projektergebnisse werden den Beteiligten und auch anderen interessierten Vertreterinnen und Vertretern des Bundes, der Bundesländer und Gebietskörperschaften, Wirtschaft und Wissenschaft sowie Bürgerinnen und Bürgern transparent und diskriminierungsfrei zur Verfügung gestellt. Der Status der Projekte und die Ergebnisse werden veröffentlicht.
Pressemitteilung Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (19.12.)
Die WUZ meint: statt weniger Verkehr mehr digitaler Verkehr? Viele Umweltverbände wie gerade auch der NABU und BUND fordern weniger Verkehr durch den Rückbau von Straßen und Parkplätzen oder die Beerdigung von Verkehrsprojekten wie den A 26 Ost und dafür mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer. Das macht die Stadt lebenswerter und befreit die Luft von vielen gesundheitsschädlichen Abgasen. Doch statt auf weniger Verkehr zu setzen wird hier mehr Verkehr erzeugt. Auch wenn die neuen Fahrzeuge mit Strom unterwegs sind und keine Abgase erzeugen, so füllen sie doch die Straßen und nehmen Parkplätze weg. Sollte das Ziel nicht weniger Verkehr sein? Diese Art der Mobilitätswende nutzt der Wirtschaft aber nicht den Menschen in der Stadt.