Lehmann: Forschung muss wahre Treiber des Insektensterbens identifizieren, um tragfähige Lösungen zu entwickeln zu können
Lebensraumverlust, Pestizideinsatz und intensive Landwirtschaft sind für den dramatischen Rückgang der Insekten verantwortlich. Wetteranomalien können den Rückgang hingegen nicht erklären. Das ist das Ergebnis der Studie „Weather anomalies cannot explain insect decline“, die heute in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature erschienen ist.
Die Veröffentlichung widerlegt die zentralen Thesen einer 2023 erschienen Würzburger Studie („Weather explains the decline and rise of insect biomass over 34 years“), die Witterungseinflüsse als Hauptursache für den Insektenrückgang sieht und eine Trendumkehr beim Insektensterben seit 2016 postuliert. Damit zweifelte sie zugleich die Ergebnisse der renommierten Krefeld-Studie an, die einen 76%igen Rückgang der Insektenbiomasse in deutschen Naturschutzgebieten dokumentierte.
Die Autor*innen der aktuellen Analyse belegen nun: Die damalige Würzburger Studie weist erhebliche wissenschaftliche Mängel auf und hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Unterschiedliche Methodiken, eine verzerrte Standortwahl und mangelhafte statistische Modelle führten demnach zu fragwürdigen Ergebnissen.
Prof. Dr. Gerlind Lehmann, wissenschaftliche Koordinatorin des Forschungsprojekts DINA (“Diversität von Insekten in Naturschutz-Areale“): „Gäbe es wirklich eine Trendumkehr beim Insektenrückgang seit 2016, wäre das eine echte Erfolgsmeldung. Die Fakten sprechen jedoch eine andere Sprache. Die Zahl an Insekten in deutschen Naturschutzgebieten ist weiterhin historisch niedrig und ohne Tendenz zur Erholung. Entscheidend sind menschliche Einflüsse wie Pestizide und die Zerstörung natürlicher Lebensräume. Wetteranomalien sind hingegen kaum von Bedeutung. Die neuesten Ergebnisse unterstreichen einmal mehr die Bedeutung der aktuellen Forschung, um Haupttreiber des Insektensterbens zu identifizieren und tragfähige Lösungen zu entwickeln.“
Um den Insektenschutz zu verbessern, fordert der NABU Pestizide flächendeckend zu reduzieren, die Landwirtschaft naturverträglicher zu gestalten und Schutzgebiete wirksam zu schützen und erhalten.
Methodischer Hintergrund
Für die Analyse „Weather anomalies cannot explain insect decline“ wurden standardisiert Flächen in Schutzgebieten und der angrenzenden Agrarlandschaften untersucht. Die Erhebung erfolgte mit identischen Fallen und festgelegten Zeiträumen, um Verzerrungen zu vermeiden. Neben Wetterfaktoren wurden Landnutzungsänderungen, Pestizide und Habitatverluste berücksichtigt. Nicht zuletzt wurde der Insektenrückgang über Jahrzehnte hinweg betrachtet, statt nur kurzfristige Wettereffekte zu analysieren. Damit nutzt sie einen stringenteren methodischen Ansatz als die kritisierte Würzburger Studie. Diese überbetonte kurzfristige Wettereffekte, während langfristige Faktoren wie Lebensraumzerstörung sowie Pestizid- und Stickstoffeinträge nur unzureichend berücksichtigt wurden. Viele Proben stammten zudem aus künstlich angelegten Waldlücken, die temporär eine höhere Insektenvielfalt aufweisen – ein möglicher Grund für den vermeintlichen Anstieg der Biomasse. Nicht zuletzt variierten die verwendeten Insektenfallen und Messzeiträume erheblich, was direkte Vergleiche erschwert.
Mehr: https://blogs.nabu.de/naturschaetze-retten/ist-allein-das-wetter-verantwortlich-fuer-das-insektensterben/
und: https://www.nature.com/articles/s41586-024-08528-0
Pressemitteilung NABU