Kleine Bäche in schlechtem ökologischen Zustand

Citizen Science-Projekt FLOW zeigt: Biodiversität ist gefährdet
900 Bürgerforschende testeten kleine Fließgewässer in Deutschland auf ihren ökologischen Zustand. In 80 Prozent dieser Bäche sind staatliche Grenzwerte überschritten. Dringender Handlungsbedarf zum Schutz der Biodiversität

In Deutschland sind viele Bäche im landwirtschaftlichen Umland mit Pflanzenschutzmitteln belastet. Das sind die Ergebnisse des Citizen-Science-Projekts FLOW, das der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig umsetzt. Die besorgniserregende Botschaft zum heutigen internationalen Tag der Flüsse und zum Weltwassertag am Freitag kommender Woche lautet: In der Mehrheit der im FLOW-Projekt bundesweit untersuchten Bäche finden sich Schadstoffe. Der Erhalt der Biodiversität ist dadurch gefährdet.

Schadstoffe sind überall. Sie verbreiten sich im Wald, auf dem Acker, im Park und auf dem Feld. Sie verschmutzen Wasser, Luft und Böden, schädigen Tiere und Pflanzen. Im Citizen-Science-Projekt FLOW untersuchten 900 Bürgerforschende in Deutschland kleine Fließgewässer auf ihren ökologischen Zustand, darunter ihre Gewässerstruktur und ihre Belastung. Spätestens seit dem Erlass der Nationalen Wasserstrategie ist klar: Deutschlands Gewässer müssen geschützt werden. Belastbare Daten zur Ausgangssituation von kleinen Fließgewässern fehlten bislang weiträumig. Trotz der bereits im Jahr 2000 auf EU-Ebene verabschiedeten Wasserrahmenrichtlinie sind laut Umweltbundesamt noch immer nur etwa acht Prozent der amtlich untersuchten deutschen Fließgewässer in einem „guten ökologischen Zustand“. Allerdings finden die vielen kleinen Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet von unter zehn Quadratkilometern bei der systematischen Überwachung durch die Behörden bislang kaum Beachtung. Obwohl sie etwa 70 Prozent des deutschen Gewässernetzes ausmachen. Sie sind für den Erhalt der biologischen Vielfalt von großer Bedeutung.

Über hundert kleine Bäche in landwirtschaftlichen Gebieten untersucht

Um einen ersten Überblick über die Belastung von Kleinfließgewässern mit Pflanzenschutzmitteln zu bekommen, untersuchten Wissenschaftler*innen des UFZ im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) im Pilotprojekt „Kleingewässermonitoring“ zwischen 2019 und 2022 über hundert kleine Bäche in landwirtschaftlichen Gebieten. Dabei wurde deutlich, dass in 80 Prozent dieser Bäche die staatlichen Grenzwerte überschritten werden, obwohl sie nach Einschätzung der Wissenschaftler*innen ohnehin viel zu hoch angesetzt sind. Um die nach wie vor lückenhafte Datenlage zu verbessern, startete im Jahr 2021 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt FLOW, in dem Bürgerforschende Daten für die Wissenschaft sammeln. Insgesamt 83 Prozent der Probestellen lagen in landwirtschaftlich geprägten Einzugsgebieten.

Antje von Broock, BUND-Geschäftsführerin: „Drei Jahre in Folge sind nun geschulte Freiwilligengruppen im Feld unterwegs, um die Bäche in ihrer Region zu erforschen. Wir konnten mit etwa 90 engagierten FLOW-Gruppen mit mehr als 900 Freiwilligen in den Jahren 2021 bis 2023 insgesamt 137 Bäche untersuchen. FLOW zeigt, dass Menschen sich für ihre Umwelt und sich einsetzen wollen.“

Die Freiwilligen bewerteten die Gewässerstruktur, maßen die chemische Wasserqualität und beprobten die wirbellosen Tiere des Gewässergrunds, das „Makrozoobenthos“. Durch die Bestimmung der Makrozoobenthos-Gemeinschaft zogen sie mithilfe des am UFZ von Prof. Dr. Matthias Liess entwickelten Bioindikators „SPEARpesticides“ Rückschlüsse auf die Pestizidbelastung des Gewässers. Die Ergebnisse dieser drei FLOW-Monitoringjahre haben UFZ/iDiv und BUND nun im Journal Science of the Total Environment veröffentlicht.

Aletta Bonn, Leiterin des Departments Biodiversität und Mensch am UFZ und iDiv: „Durch unsere Citizen Science Forschung schaffen wir gemeinsam dringend benötigtes Wissen zum Zustand unserer Fließgewässer. Unsere Auswertungen zeigen, dass die FLOW-Bürgerforschenden valide Daten zum Gewässerzustand erheben, die in hohem Maße mit professionell erhobenen Daten übereinstimmen.”

Die Auswertung der FLOW Citizen Science-Daten bekräftigt die Ergebnisse des Kleingewässermonitorings: Die Wirbellosenfauna ist in rund 60 Prozent der beprobten Bäche in landwirtschaftlichen Einzugsgebieten durch agrochemische Belastungen gestört. Die Probestellen wurden „mäßig“, „unbefriedigend“ oder „schlecht“ bewertet. Hierbei zeigt sich, dass der Zustand der Gewässer-Lebensgemeinschaften tendenziell schlechter ausfiel, je stärker das Einzugsgebiet der Probestellen durch Ackerbau geprägt war. Zusätzlich zur Schadstoffbelastung wies die Gewässerstruktur in über 60 Prozent der untersuchten Bäche einen deutlich bis stark veränderten Zustand mit verbauten Uferstrukturen, fehlender Ufervegetation oder einer verarmten Gewässersohle auf, wodurch die Lebensraumqualität und Ökosystemfunktionen dieser Bäche weiter stark beeinträchtigt sind.

Dringender Handlungsbedarf zum Schutz der Biodiversität

Insgesamt verdeutlichen die FLOW-Ergebnisse: Es besteht dringender Handlungsbedarf, die Gewässer-Biodiversität und Bachökosysteme zu schützen und bis 2027 die Europäische Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen. Diese fordert einen guten Zustand aller Oberflächengewässer. Minimalkonsens sollten dabei die im Europäischen Green Deal formulierten Ziele sein, nach denen das Risiko des Pestizideinsatzes bis 2030 um die Hälfte reduziert werden soll. Auch die Bundesregierung ist jetzt am Zug. Die momentan erarbeitete nationale Pestizidreduktionsstrategie muss endlich veröffentlicht werden und muss wirkungsvolle Maßnahmen enthalten, um die Artenvielfalt in Gewässern und an Land deutlich besser zu schützen.

Von Broock: „Angesichts der von Bürgerforschenden vorgelegten Ergebnisse fordert der BUND eine tatkräftige Wiederherstellung gesunder Bäche, sowohl in Hinblick auf ihre Gewässerstruktur als auch in Verhinderung von Schadstoff-Einleitung. Dies bedeutet auch eine schrittweise Reduzierung der Nutzung von Pestiziden und das Verbot besonders gefährlicher Pestizide. Nur so können wir eine gesunde und lebenswerte Umwelt schaffen. Es ist Zeit für eine Transformation in der Landwirtschaft.“

Hintergrund:
Pflanzenschutzmittel sind Wirkstoffe, die zum Schutz von Kulturpflanzen vor Schädlingen, Beikräutern oder Krankheiten eingesetzt werden. Diese Stoffe sind aber auch für andere Pflanzen und Nützlinge, wie Wildbienen, Schmetterlinge oder andere Tierarten, giftig. Durch ihren Einsatz in der konventionellen Landwirtschaft gelangen sie in Bäche, Flüsse, Seen und in das Grundwasser und verschlechtern die Wasserqualität.

Mehr Infos: https://www.flow-projekt.de/

Pressemitteilung BUND

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