Mein Lernprozess auf dem Wege zu einer „essbaren“ Stadt

Im Winter 2015/2016 hat der NABU auf unsere Anregung einen gut besuchten Workshop zum Thema Streuobst(wiesen) in der Stadt durchgeführt. Referiert haben Joachim Reinig und ich. In der Diskussion zu Möglichkeiten, Obst in der Stadt anzubauen, schlug eine Teilnehmerin Edelkastanien zur Pflanzung in Parks und an Straßen vor.

 

Aufgewachsen an der Bergstraße, eine klimatisch sehr warme Region, in der damals <bevor es italienische Importe gab> Pfirsiche und sogar Mandeln angebaut wurden, kannte ich Edelkastanien vor allem in den fürstlichen Parks an den Hängen der Bergstraße. Es hieß, sie wüchsen nur im warmen Klima der Bergstraße. In Kenntnis dieser Weisheit habe ich die Edelkastanie für das Hamburger Klima ungeeignet erklärt.

Wochen später erfuhr ich von der guten Maronenernte in einem privaten Garten in Volksdorf. In der Folge habe ich zahlreiche Edelkastanien an den verschiedensten Orten in Hamburg aufgesucht. Besonders beeindruckend war der Bestand auf dem Ohlsdorfer Friedhof mit Castanea sativa, wahrscheinlich bis zu einhundert Jahre alten Beständen. Die für Baumpflege zuständige Forstwirtin hat mir wunderbare Exemplare mit zahlreichen Nisthöhlen gezeigt.
Reich tragende Edelkastanien entlang einer Landstraße am Ostufer des Schweriner Sees, die nach der Wende gepflanzt worden waren, wurden mir vom zuständigen Straßenbauamt in Schwerin berichtet. Kurzum ich musste mich korrigieren und habe bei den TeilnehmerInnen des Workshops schriftlich Abbitte geleistet.

In der folgenden Zeit habe ich mich umfassend mit der in Westeuropa verfügbaren Literatur zu Edelkastanien beschäftigt und bei wichtigen Büchern Zusammenfassungen auf meine Internetseite <www.peterlock.de> gestellt. Für die Norddeutschen Apfeltage 2019 habe ich zu Hartschalenobst in Norddeutschland, vor allem Walnuss und Edelkastanie, ausführlich referiert http://www.peterlock.de/hartschalenobst. In populären Baumbüchern wird vor allem die Edelkastanie dem Weinbauklima zugeordnet, weil in Gegenden des Weinbaus tatsächlich stattliche Baumbestände vorhanden sind. Diese Bestände sind jedoch ein Erbe des bäuerlichen, vorindustriellen Weinbaus, der Stecken mittels Kurzumtrieb zum Aufbinden der Weinstöcke und Stämme für den Fassbau benötigte. Beide Baumarten sind für den Anbau in Norddeutschland jedoch gut geeignet (siehe Klimakarte zur Anbaueignung in Deutschland, LWF Wissen 81).

Nach dem gegenwärtigen Stand sind die weißblütigen Rosskastanien im Raum Hamburg dem Tode geweiht. Da es in Hamburg gut 3000 weißblütige Rosskastanien auf öffentlichen Flächen (ohne Friedhöfe) gibt, stellt sich die Frage nach geeigneten Ersatzpflanzungen. Da Rosskastanien und Edelkastanien irreführend den gleichen Namen tragen, aber botanisch nichts miteinander zu tun haben, eignet sich die Edelkastanie als Ersatzpflanzung, die gegen die Schaderreger der Rosskastanie immun ist. Leider befindet sich die Edelkastanie bislang nicht auf der Testliste der GALK <Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz> für Straßenbäume. Aber der unvorhergesehene Bedarf an Ersatzpflanzungen für Rosskastanien (wahrscheinlich nicht nur in Hamburg) in den nächsten Jahren bietet die Chance, mit der Edelkastanie den städtischen Raum „essbar“ zu machen und ihn attraktiv zu gestalten.

Daher habe ich meine Befunde, Broschüren und Hinweise auf Literatur zu Edelkastanien den für das öffentliche Grün in Hamburg zuständigen MitarbeiterInnen des Bezirkes Wandsbek fortlaufend zur Kenntnis gegeben. Als vor zwei Jahren entlang eines öffentlichen Fußweges im Sichtfeld meiner Wohnung nach Baumfällungen zwei Nachpflanzungen anstanden, habe ich angeboten, einen Edelkastanienbaum zur Nachpflanzung der Stadt zu spenden. Als Antwort habe ich einen Plan für diese beiden Nachpflanzungen erhalten, der Castanea sativa vorsah. Witterungsbedingt sind die Pflanzaufträge 2018 nicht vollständig ausgeführt und auf da Folgejahr verschoben worden. Zu meiner Freude wurden Ende Januar dieses Jahr zwei Bäume gepflanzt, aber es waren leider Bergahornbäume. Ich habe diese Beobachtung gemeldet und mir wurde mitgeteilt, dass die Firma nach einem überholten Pflanzplan gehandelt habe. Anfang April waren die beiden Bäume plötzlich verschwunden, meine Nachbarn vermuteten Diebstahl. Nur wenig später wurden jedoch zwei neue Bäume gepflanzt, es sind in der Tat zwei Edelkastanien (von der Stadt testweise als Straßenbegleitgrün gepflanzt).

Ich werde die Entwicklung dieser Bäume begleiten und bei Bedarf auch wässern. Herr Gäde < https://www.baumschule-wurzelwerk.de/impressum/> sieht die Pflanzung von dreimal verpflanzten stattlichen Bäumen kritisch, da die Edelkastanie sehr lange Pfahlwurzeln (vorteilhaft bei heißen trocknen Sommern) bildet, die bei jeder Verpflanzung abgeschnitten werden müssen. Er schließt nicht aus, dass solche Bäume das Bilden von Pfahlwurzeln schließlich aufgeben und daher nicht standsicher sind und ihre Trockenresistenz verlieren. Mittel dagegen wäre, die Bäume sehr früh an ihrem endgültigen Standort pflanzen, was bei Straßenbäumen schwierig ist.
Peter Lock

Foto: Edelkastanien in den Kew Gardens/London © WUZ

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