„Minimum mit vielen Unbekannten“

Kommissions-Vorschlag für 2040-Klimaziel der EU
Die EU-Kommission präsentiert am heutigen Dienstag eine Mitteilung zum Klimaziel für die EU für 2040. Die Behörde erklärt darin ihre Absicht, ein Gesetz für ein Netto-Klimaziel von minus 90 Prozent Treibhausgasen in 2040 im Vergleich zu 1990 vorlegen zu wollen. Den Vorschlag als verbindliches Gesetz vorzulegen wird dann Aufgabe der neuen Kommission nach den Europawahlen sein.

 

Der wissenschaftliche Klimabeirat der EU hatte bereits im Juni empfohlen, dass die EU ihre Treibhausgase bis 2040 netto um 90 bis 95 Prozent reduzieren sollte. Die Europa-Abgeordneten werden bereits am Dienstagnachmittag über die Vorschläge zur Festsetzung des EU-Klimaziels für das Jahr 2040 im Plenum in Straßburg diskutieren.

Delara Burkhardt, umweltpolitische Sprecherin der SPD-Europaabgeordneten:
„Der Kommissions-Vorschlag stellt die Untergrenze dessen dar, was die Wissenschaft als notwendigen und möglichen Beitrag der EU im Kampf gegen die Klimakrise identifiziert hat. Es ist jedoch fraglich, ob dieses notwendige Minimum, so wie es die Kommission vorgeschlagen hat, überhaupt erreichbar ist.

Der Teufel liegt im Detail. Der Kommissions-Vorschlag ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Das Klimaziel soll ein Netto-Ziel sein und setzt zu sehr darauf, dass Emissionen in Zukunft durch natürliche und technische CO2-Entnahmen kompensiert werden. Aber Europas Wälder schwächeln, ihre CO2-Speicherfähigkeit nimmt stetig ab. Für die Wiedervernässung von Mooren fehlt der politische Wille, wie das Hin-und-Her um das EU-Renaturierungsgesetz gezeigt hat. Und die Technologien für künstliche CO2-Abscheidungen sind im großen Stil immer noch nicht marktreif. Fragen der CO2-Endlagerung sind ungelöst. Wir sollten bei unserem 2040-Klimaziel primär einen stärkeren Fokus auf die Minderung von Treibhausgasen setzen, für die wir mit Maßnahmen für mehr Energie-Effizienz, mehr Erneuerbare und eine stärkere Elektrifizierung die nötigen und erprobten Technologien bereits zur Hand haben, anstatt auf ungewisse CO2-Entnahmen.

Über die Zukunft der europäischen Klimapolitik werden die Europawahlen entscheiden. Dass die EU-Kommission dieses 2040-Ziel vorlegen wird, ist noch längst keine ausgemachte Sache. Sie hat sich nicht getraut, Nägel mit Köpfen zu machen und hat jetzt leider nur eine unverbindliche Empfehlung vorgelegt. Ob die Behörde ihrer eigenen Empfehlung folgen und ein rechtsverbindliches Klimaziel vorlegen wird, dass wissenschaftlichen Anforderungen gerecht wird, werden die Mehrheiten der neu zusammengesetzten Institutionen nach der Europawahl zeigen. Ein ambitioniertes und wissenschaftsbasiertes Klimaziel für 2040 wird Europas fossile Energie-Abhängigkeit enorm reduzieren und Energiekosten senken.“

Pressemitteilung SPD im EU-Parlament


Klimaziel 2040: Nimmt die EU ihre eigenen Vorgaben ernst?
Koordinaten und Geschwindigkeit sind falsch eingestellt
Das europäische Klimaschutzgesetz verpflichtet die EU bis spätestens 2050 vollständig klimaneutral zu werden. Für 2040 hat die EU-Kommission heute einen Vorschlag zur Erreichung des Zwischenziels vorgelegt, der unter anderen eine Industrial Carbon Management Strategie enthält.

“Dieser Vorschlag greift viel zu kurz. Die EU-Kommission orientiert sich am unteren Rand der vom EU-Klimarat vorgeschlagenen Reduktion der Treibhausgase um 90 Prozent gegenüber 1990. Um die Europäische Union international als Vorreiterin zu positionieren und das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, müsste sie aber mindestens 95 Prozent anstreben”, kritisiert Brick Medak, Teamleiter Energiepolitik und Klimaschutz.

Vor allem die Industrial Carbon Management Strategie ist eine herbe Enttäuschung. Hier knickt die EU vor der fossilen Lobby ein: Mit 450 Millionen Tonnen jährlicher CO2-Abscheidung zur unterirdischen Speicherung oder Weiterverwendung legt sie völlig übersteigerte Mengengerüste vor. Die Abscheidung von CO2 dürfe dabei nur als letztes Mittel für unvermeidbare Restemissionen in Betracht gezogen werden. Vermeidung und Reduktion von Treibhausgasemissionen müssten klar im Fokus stehen.

Besonders besorgniserregend dabei: CO2-Entnahmelösungen wie Direct Air Capture (DACCS) sollen bis zu sechs Prozent des heutigen Emissionsniveaus wieder einfangen, obwohl die Technologien dafür bisher kaum über die Größenordnung von Pilotanlagen hinaus kommen, weiter und nicht zuletzt aufgrund ihres enormen Energieverbrauchs absehbar äußerst kostenintensiv bleiben werden: “Das ist das traurige Eingeständnis, dass die europäischen Klimaversprechen in immer weitere Ferne rücken, weil die Abkehr von fossilen Energiequellen nicht konsequent vorangetrieben wird”, moniert Dr. Steffi Ober, Teamleiterin für Ökonomie und Forschungspolitik.

Schlimmer noch: Die hohen Mengen an BECCS (Bioenergie mit CO2 Abscheidung und Speicherung) ignorieren völlig die Zielkonflikte, die mit der Biomassenutzung verbunden sind. Durch die weitere Abholzung von Wäldern zur Verbrennung werden die natürlichen Senken weiter reduziert, anstatt sie für die CO2-Speicherung aufzubauen. Aus Sicht des NABU ist der natürliche Klimaschutz ein zentraler Hebel zur Bekämpfung der Erderwärmung. Intakte Ökosysteme wie Wälder, Moore und Salzwiesen dienen nicht nur dem Biodiversitätsschutz, sondern müssen als natürliche Kohlenstoffspeicher mehr Beachtung in der Diskussion um Carbon Management bekommen.

Pressemitteilung NABU


EU-Klimaziel 2040 ist mehr Schein als Sein
BUND fordert Ende für fossile Energieträger

Die EU-Kommission hat heute ihren Vorschlag für ein Klimaziel für 2040 sowie eine Strategie zum künftigen Kohlenstoffmanagement vorgestellt. Aus Sicht des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erfordert die Klimakrise ein deutlich stärkeres Handeln.

Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Die EU-Kommission will über 2040 hinaus an Öl und Gas festhalten. Ein Ausstieg ist nicht in Sicht. MIt diesen Klimazielen gibt die EU ihre Vorreiterrole beim internationalen Klimaschutz auf und folgt den Interessen der Öl- und Gaskonzerne zu Lasten der Gesellschaft. Stattdessen setzt sie auf kaum erprobte, ineffiziente und umweltschädliche technische Scheinlösungen wie die Abscheidung und Verpressung von Kohlenstoff (CCS). Mit Scheinlösungen wie CCS lassen sich Zielwerte lange schönrechnen, während die Treibhausgasmenge in der Atmosphäre weiter steigt. Die EU unterläuft damit die jüngsten Beschlüsse der Klimakonferenz in Dubai und das Pariser Klimaabkommen.“

Die Klimaziele müssen einen Fahrplan für den vollständigen und geordneten Ausstieg aus Öl und Gas vorgeben. Das Minimum ist aus Sicht des BUND eine CO2-Minderung um 95 Prozent.

Bandt: „Wir sind enttäuscht über die verhaltenen Schritte der EU. Die Klimakrise beschleunigt sich und die EU steht beim Kampf gegen den Temperaturanstieg auf der Bremse. Die EU-Kommission folgt zwar den Empfehlungen der eigenen Expertenkommission, bleibt jedoch mit dem Vorschlag für eine 90-prozentige Emissionsreduzierung bis 2040 am untersten Ende der möglichen Spanne.“

In den EU-Klimazielen fehlt komplett ein Zwischenziel für 2035. Dies ist für die Erreichung der Ziele 2040 aber unverzichtbar, denn ein Großteil der Verringerung der Treibhausgasemissionen muss in diesem und zu Beginn des nächsten Jahrzehnts erfolgen. Dass die EU sich nicht in der Lage sieht, ein solches Ziel verbindlich und genau zu beschreiben, wertet der BUND als historisches Versagen der Kommission. Emissionen müssen jetzt eingespart werden.

Bandt: „Die Emissionen müssen sofort runter. Die Atmosphäre lässt nicht mit sich handeln. Ein weiteres Aufschieben ist nicht vereinbar mit der historischen Verantwortung, die Europa in der Klimakrise trägt.“

Hintergrund:

In der Mitteilung zu den Klimazielen 2040 sieht die EU-Kommission nur den Ausstieg aus Kohle vor. Erdöl und Erdgas hingegen sollen in großen Mengen (30 Prozent der Menge von 1990) über 2040 hinaus als Brenn- und Rohstoff eingesetzt werden (davon zwei Drittel „energy use“ and ein Drittel „non-energy use“). Dank der hypothetischen Annahme, dass neue fossile Kraftwerke und Industrieanlagen „so schnell wie möglich“ an CCS-Infrastruktur angeschlossen würden, bleibt in den „Netto“-Klimazielen verschleiert, dass neues CO2 durch Verbrennung von fossilen Energieträgern entsteht.

EU Carbon Management Strategie: Das darin skizzierte Geschäftsmodell mit Transport und Deponieren von CO2 steigert die Macht der Öl- und Gaskonzerne und wäre umso profitabler, je mehr CO2 entsteht. Profitinteressen der Öl- und Gaskonzerne stehen im Vordergrund sowie die Verschleierung der weiteren Produktion und Nutzung von Öl und Gas über 2050 hinaus. Die EU-Kommission schweigt zu den großen Schäden für Klimaschutz, Ökosysteme und Gesundheit durch die Entscheidung für CCS sowie zu den Ewigkeitskosten der großen CO2-Endlager, die den Staaten überbürdet würden. Darüber hinaus baut die Carbon Management Strategie darauf, dass in hohen Mengen CO2 der Atmosphäre entzogen und für Jahrtausende isoliert gelagert werden könnten. Der BUND lehnt Geo-Engineering in all seinen Formen ab.

Pressemitteilung BUND


Grünen/EFA fordern Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und klimaneutrale EU bis 2040

Die EU-Kommission hat heute ihren Vorschlag für das Klimaziel 2040 für die EU vorgelegt. Es sieht eine 90-prozentige Verringerung der Netto-Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040 (im Vergleich zu 1990) vor. Der Wissenschaftliche Beirat der EU-Kommission hat festgestellt, dass die EU ihren Anteil am verbleibenden globalen Treibhausgasbudget für die 1,5-Grad-Grenze bereits ausgeschöpft hat und fordert nachdrücklich einschneidende Minderungen der Emissionen. Die Grünen/EFA-Fraktion fordert eine Netto-Null-Reduktion der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040. Das EU-Klimaziel 2040 ist die Grundlage für die künftige Klimagesetzgebung der EU, die EU-Kommission wird voraussichtlich zu einem späteren Zeitpunkt einen Gesetzesentwurf vorlegen.

Michael Bloss, Grünen/EFA-Mitglied im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments, kommentiert:

„Das vorgeschlagene Klimaziel ist am unteren Ende dessen, was wissenschaftlich notwendig ist. Für wirksame Klimapolitik und erfolgreiche Wirtschafts- und Industriepolitik müssen die Emissionen schneller runter. Die Wissenschaft drängt auf den Ausstieg aus den Fossilen, die Wirtschaft und Industrie fordern Investitionen und Planungssicherheit für den globalen Wettbewerbsgaranten Klimaschutz. Wir brauchen ein klar definiertes Klimaziel für das Jahr 2035 und ein messbares CO₂-Budget für den konkreten Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas.

Gas- und Kohlekraftwerke weiterlaufen zu lassen und aufwändig mit CCS-Technologie auszustatten ist ineffizient und teuer. Die Kehrtwende in der Energiepolitik werden am Ende die Verbraucherinnen und Verbraucher mit der Stromrechnung zahlen. Anstatt Steuergeld für eine unausgereifte Technologie zu verprassen, brauchen wir mehr Investitionen in günstigen Strom aus Wind und Sonne.”

Jutta Paulus, Grünen/EFA-Mitglied im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments, kommentiert:

„Die Kosteneffizienz der erneuerbaren Energien stellt die Wirtschaftlichkeit der Kohleverstromung schon heute auf wacklige Füße. Setzt die EU-Kommission auch noch auf CO2-Abscheidung mittels CCS, gehen die Kosten durch die Decke. Kostenexplosionen stehen auch bevor, wenn sich die Atomkraft-Begeisterten durchsetzen, denn die bejubelten kleinen modularen Reaktoren existieren seit 20 Jahren nur auf Power-Point-Folien.

Dröhnendes Schweigen ist von der EU-Kommission zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft zu hören. Wir brauchen eine klare Strategie zur Reduktion von Methan und Lachgas, um die Klimaziele zu erreichen.“

Pressemitteilung Grüne im EU-Parlament

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