„Scheindebatten lenken vom wahren Problem ab“ / Brundiers: Fangquoten sind „Tropfen auf den heißen Stein“ / Fokus auf Meeresökosystem legen
Vor dem Hintergrund kollabierter Populationen von Dorsch und Hering diskutieren die für Fischerei zuständigen EU-Minister*innen heute (22.10.) über die Fanquoten in der Ostsee. Dazu kommentiert NABU-Fischerei-Expertin Katharina Brundiers:
„Überfischung und eine über Jahrzehnte verfehlte Fischereipolitik haben die Fischpopulationen in der Ostsee in einen dramatischen Zustand gebracht. Auf politischer Ebene müssen indes immer öfter Robben und Kormorane als Sündenböcke der sinkenden Populationen herhalten. Das entbehrt nicht nur jeglicher Faktenlage, sondern lenkt den Blick für den wahren Treiber in die völlig falsche Richtung. Die Debatten über Fangquoten sind dabei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Was wir viel mehr brauchen, ist eine grundlegende Debatte zum Schutz und Erhalt des Ökosystems Meer. Es ist nun an der Zeit, die Scheindebatten zu beenden und für eine echte Trendwende in Nord- und Ostsee zu sorgen. Wir brauchen gesunde Meere als Grundlage für eine Fischerei von morgen. Das muss auch das oberste Ziel der Zukunftskommission Fischerei des Bundeslandwirtschaftsministeriums sein.“
Der NABU fordert, den dramatisch schlechten Zustand von Nord- und Ostsee umzukehren, Beifänge von Kegelrobben und Schweinswalen in Fanggeräten zu verhindern, Fischpopulationen aufzubauen und so Familienbetriebe zu retten. Dafür müsse konsequent der Ökosystemansatz in der Fischereipolitik angewendet werden. Darüber hinaus braucht es wirksame Meeresschutzgebiete mit mindestens 50% nutzungsfreier Fläche und eine Umstellung auf alternative Beifang-vermeidende Fangtechniken, wie etwa Fischfallen und Großreusen.
Pressemitteilung NABU
Ostseefangquoten 2025: Fischkrise geht weiter
BUND fordert Fangpause für die Ostsee
EU-Fischereiminister*innen treiben Fischkrise in der Ostsee weiter voran
Wertvolle Fische werden über Bord geworfen oder für Futtermittel verschwendet
Die Ostseefischerei braucht Pause zur Reflexion und Neuausrichtung
Die EU-Fischereiminister*innen haben heute (22.10.) entschieden, die Fischkrise in der Ostsee weiter voranzutreiben – ein fatales Zeichen aus Luxemburg an die gestern gestartete Weltbiodiversitätskonferenz in Kolumbien. Auch 2025 wird es wieder erlaubt sein, den gefährdeten westlichen und östlichen Dorsch sowie den westlichen Hering als Beifang zu fischen. Die Fangquoten für Heringe und Sprotten in der zentralen Ostsee sind damit auch im kommenden Jahr viel zu hoch: Hunderttausende Tonnen der wichtigen Schwarmfische dürfen abgefischt werden, obwohl es ihnen seit Jahren immer schlechter geht. Dadurch gerät das Ökosystem aus dem Gleichgewicht und bedrohte Schweinswale und Dorsche finden immer weniger Futter. Den EU-Fischereiminister*innen geht es bei ihrer Entscheidung nicht um die Rettung der kleinen Küstenfischerei, sondern um die Förderung eine industrielle Fischerei zur Produktion von Fischmehl.
Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Diese Entscheidung ist eine riesige Enttäuschung. Die Fischereiminister*innen haben heute deutlich gemacht, dass sie keine Ambitionen haben, ihren Beitrag zur Rettung der Ostsee zu leisten.“
Die gezielte Fischerei auf Dorsch ist zwar verboten, aber durch eine Beifangquote dürfen die Dorsche weiter mitgefangen werden. So wird auf Kosten der Dorsche die Fischerei auf Plattfische in den gleichen Gebieten weiter ermöglicht. Da es inzwischen nur noch sehr wenige Dorsche gibt, kann bereits die Beifangquote eine Erholung der Population verhindern. Hinzu kommt: Mehr als die Hälfte der Dorsch-Fänge geht direkt wieder über Bord, weil sie zu klein oder zu dünn sind. Auch bei den Schollen sind die Rückwürfe massiv. Je nach Fanggebiet werden 40 bis 80 Prozent der Schollen zurück in die Ostsee geworfen.
Ohne Fische, keine Fischerei
Ohne Fische wird es weder eine Erholung des Ökosystems der Ostsee, noch eine Perspektive für die Fischerei geben. Da trotz der dramatischen Situation zielgerichtete Maßnahmen zum Wiederaufbau der Fischpopulationen und zur Veränderung der Ostseefischerei ausbleiben, hilft jetzt nur noch eine Zwangspause der Fischerei. Die Fischpopulationen brauchen Zeit, um sich zu erholen und um eine Größe zu erreichen, die wieder befischt werden kann. In der Zwischenzeit muss ein ökosystembasiertes Fischereimanagement umgesetzt werden, damit Fischpopulationen gesund bleiben und die Bedürfnisse aller Meereslebewesen berücksichtigt werden.
Bandt: „Bereits vor einem Jahr hat die Leitbildkommission Ostseefischerei ihre Empfehlungen vorgelegt. Nichts davon wurde bisher umgesetzt oder auch nur angestoßen. Inzwischen gibt es sogar eine Zukunftskommission Fischerei. Der sozialökologische Wandel der Fischerei könnte das Vermächtnis des grünen Fischereiministers Özdemir sein, doch dafür muss er jetzt handeln.“
Hintergrund: Jeden Oktober verhandeln die EU-Fischereiminister*innen die Fangquoten für die Fischpopulationen in der Ostsee für das kommende Jahr. Für Deutschland nimmt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir an den Verhandlungen teil. Die meisten der kommerziell befischten Populationen in der Ostsee sind zusammengebrochen oder stark zurückgegangen. In der westlichen Ostsee vor der deutschen Küste kann seit einigen Jahren nur noch die Scholle gezielt befischt werden, die Dorsch und Hering Populationen sind kollabiert. Zwischen November 2022 und Dezember 2023 tagte die „Leitbildkommission Ostseefischerei“, um der Bundesregierung Empfehlungen für die Zukunft der deutschen Ostseefischerei vorzuschlagen. Zu den Empfehlungen gehörten unter anderem der effektive Schutz von Meeresschutzgebieten, die Umsetzung eines ökosystembasierten Fischereimanagements, die Entwicklung umweltgerechter und nachhaltiger Fangmethoden, sowie eine Umverteilung von Fangquoten unter Anwendung sozialer und ökologischer Zuteilungskriterien.
Pressemitteilung BUND
EU-Entscheidung zu Ostsee-Fangquoten: Deutsche Umwelthilfe kritisiert Beschlüsse als kurzsichtig
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die heute (22.10.) beschlossenen Fangquoten für die Ostseefischerei. Die Beschlüsse zementieren für ein weiteres Jahr ein kurzsichtiges Fischereimanagement, das die Fisch-Krise in der Ostsee weiter verschärfen wird. Die DUH fordert Fangquoten im Einklang mit wissenschaftlichen Empfehlungen und dem Vorsorgeprinzip. Außerdem braucht es ein Verbot der Grundschleppnetzfischerei in Schutzgebieten, bessere Fischereikontrolle und die Wiederherstellung der geschädigten Ökosysteme.
Dazu Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer: „Die EU-Fischereiministerinnen und -minister setzen genau die Art von Fischerei fort, die für den Kollaps der deutschen Ostsee-Populationen verantwortlich ist. Der Fokus auf kurzfristige Profite und riskant hohe Fangquoten haben Fischerei und Natur einen Bärendienst erwiesen. Der gezielte Fang von Dorsch und Hering in der westlichen Ostsee musste infolge des Populationszusammenbruchs bereits vor Jahren eingestellt werden. Trotzdem wurden nun für beide Arten, entgegen wissenschaftlichen Empfehlungen, zu hohe Beifangquoten beschlossen, die eine Erholung der Populationen erschweren. Damit die Ostseefischerei eine Zukunft hat, muss die Fischereipolitik am Ökosystem ausgerichtet werden, anstatt auf maximale Fänge einzelner Arten.“
Auch die weiteren Beschlüsse geben Anlass zur Sorge: Die Fangquote für die zentrale Heringspopulation wurde stark erhöht, obwohl sich Anzeichen für einen schlechten Zustand der Population mehren. Die Sprottenquote ist zwar gesunken, aber immer noch zu hoch, denn die Nachwuchszahlen waren noch nie so schlecht wie in den letzten drei Jahren. Die exzessiven Quoten für Hering und Sprotte riskieren die Stabilität des gesamten Nahrungsnetzes der Ostsee. Wichtige Arten des Ökosystems wie Dorsche, Schweinswale und Seevögel sind auf sie als Beutetiere angewiesen. Als ersten Schritt in die richtige Richtung bewertet die DUH, dass die Schollenquote nicht weiter erhöht wurde, um den Dorsch-Beifang zu minimieren.
Svane Bender, DUH-Leitung für Naturschutz und biologische Vielfalt ergänzt: „Der Zustand von westlichem Hering und Dorsch, den einstigen ‚Brotfischen‘ der deutschen Ostseefischerei, ist anhaltend katastrophal. An diesem Punkt gibt es keine einfachen Lösungen mehr. Neben einem ökosystembasierten Fischereimanagement muss der Umweltzustand der Ostsee grundsätzlich verbessert werden. Denn zusammen mit dem zu hohen Fischereidruck, machen den Fischen auch Verschmutzung, Sauerstoffmangel und Zerstörung von Lebensräumen zu schaffen.“
Pressemitteilung DUH
Greenpeace Stellungnahme zum Beschluss der EU-Fischfangquoten in der Ostsee
Der EU-Rat “Landwirtschaft und Fischerei” hat sich heute (22.10.) auf die Fangquoten für die Ostsee für das Jahr 2025 geeinigt. Die Fischereiminister:innen haben festgelegt, dass in der westlichen Ostsee weniger Dorsch als Beifang gefischt werden darf. Die Fangmenge für Hering in der zentralen Ostsee wurde jedoch mehr als verdoppelt. Für Greenpeace-Meeresexpertin Daniela von Schaper eine fatale Entscheidung:
„Die Festlegung einer Beifangmenge von 266 Tonnen für Dorsch in der westlichen Ostsee, und damit einer Verringerung um 22%, ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber reicht nicht aus, um die Erholung dieser Art zu sichern. Die Bestände sind so stark eingebrochen, dass sie sich trotz bereits gesenkter Fangquoten nicht regenerieren konnten – jegliche Fischerei gefährdet ihr langfristiges Überleben. Die Verdoppelung der Fangmenge auf 83.881 Tonnen für Hering in der zentralen Ostsee zeigt, dass die EU-Minister:innen, auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, die Biodiversitätskrise immer noch verkennen.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Bestände jahrelang um rund 30 Prozent überschätzt wurden – und das ist nur ein Durchschnittswert. Angesichts dieser Fehlurteile muss sich Minister Özdemir dafür einsetzen, dass die Fangmengen strikt nach dem Vorsorgeprinzip festgelegt, und Schutzgebiete endlich vollständig von der Fischerei befreit werden. Nur so können sich die Bestände erholen und ein Kollaps des empfindlichen Nahrungsnetzes verhindert werden. Wenn der EU-Rat nicht bald handelt, droht die Ostsee zu einem Friedhof für einst reiche Fischbestände zu verkommen.“
Pressemitteilung Greenpeace