Europäischer Gerichtshof bestätigt Klagebefugnis der Deutschen Umwelthilfe und erklärt Abschalteinrichtungen bei Millionen Diesel-Pkw für illegal
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute in einem zentralen Urteil zur Dieselgate-Affäre der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und Millionen Betroffenen den Rücken gestärkt. Das ist ein Paukenschlag gegen Autolobby, Bundesverkehrsminister sowie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Diese haben temperaturgesteuerte Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigung von Diesel-Pkw auch nach Bekanntwerden des Abgasskandals nicht nur weiter toleriert, sondern ausdrücklich für zulässig erklärt.
Wirksame Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller wurden so vermieden, betrogene Kunden erhielten keinen Schadensersatz, die Atemluft wurde weiter durch extrem hohen Schadstoffausstoß belastet. Klagen der DUH gegen die entsprechenden Genehmigungen des KBA bis zurück ins Jahr 2017 wurden dadurch ausgehebelt, dass man das Verbandsklagerecht trotz entsprechender Vorgaben aus dem EU-Recht für Klagen gegen rechtswidrige Produktgenehmigungen weiterhin explizit ausschloss. Dem haben die Luxemburger Richter nun Einhalt geboten: Sie bestätigen die Klageberechtigung qualifizierter Umweltvereinigungen und damit ausdrücklich auch der DUH als wichtigen Faktor für den wirksamen gerichtlichen Schutz für Normen des Europäischen Umweltrechts (C-873/19). Gleichzeitig erklärten sie die millionenfach weiter betriebenen Abschalteinrichtungen für rechtswidrig.
Die Entscheidung hat direkte Auswirkungen auf mehrere bereits anhängige Prozesse der DUH gegen aktuell 119 Freigabebescheide vor dem Verwaltungsgericht Schleswig und damit auf Millionen Diesel-Pkw in Deutschland. Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband fordert deshalb in einem heutigen Schreiben Verkehrsminister Wissing zu einer sofortigen Umsetzung des EuGH-Urteils auf: Das ihm unterstellte KBA müsse sofort alle betroffenen Fahrzeuge zurückzurufen und auf Kosten der Hersteller mit wirksamer Hardware nachrüsten lassen. Verweigern die Hersteller die für den Halter kostenfreie Hardware-Nachrüstung, müssen die Kfz-Zulassungsbehörden die Fahrzeuge gegen Entschädigungszahlungen stilllegen.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Das heutige Urteil des EuGH ist ein Meilenstein in der Aufarbeitung des Dieselgate. In einer perfiden Zusammenarbeit mit der Autolobby hat die vorige Bundesregierung dafür gesorgt, dass millionenfach notwendige Abgasreinigungen mit rechtswidriger Duldung durch das Verkehrsministerium und seiner Fachbehörde im Winterhalbjahr weitgehend abgeschaltet wurden – im völligen Bewusstsein, dass damit giftige Dieselabgase in die Lungen von Menschen gepumpt und so viele tausend vorzeitige Todesfälle bzw. Erkrankungen ausgelöst werden. Ich halte es für einen zusätzlichen Skandal, dass es fünf Jahre dauern musste, bis der Europäische Gerichtshof die Klagebefugnis der DUH gerade im Zusammenhang mit Dieselgate bestätigt. Bereits vor über fünf Jahren hätte diese im Umweltrechtsbehelfsgesetz festgeschrieben werden müssen. Das Verkehrsministerium hatte sich seinerzeit gegenüber dem Umweltministerium dagegen ausgesprochen. Sollte Verkehrsminister Wissing nicht sofort die Rückrufe beziehungsweise die Stilllegungen der Betrugsdiesel anordnen, wird die DUH dies in den bereits anhängigen Klageverfahren durchsetzen.“
Die betroffenen Fahrzeuge der Abgasstufen Euro 5 und 6 müssen so schnell wie möglich zurückgerufen und so nachgerüstet werden, dass die Grenzwerte für Stickoxide unter realen Bedingungen eingehalten werden, so die DUH.
Axel Friedrich, Leiter des Emissions-Kontrollinstituts der DUH: „Nun wurde auch durch den EuGH bestätigt, dass die vom Kraftfahrt-Bundesamt als Lösung anerkannten Software-Updates das Problem der hohen Stickoxidemissionen im Realbetrieb nicht beheben und die Abgasminderungsanlage weiterhin über Abschalteinrichtungen manipuliert wird. Die dadurch versursachten massiv erhöhten Stickoxid-Emissionen fügen den Menschen und der Umwelt nachweislich Schaden zu, insbesondere in den kalten Monaten. Dieses Vorgehen muss endlich ein Ende haben.“
Durch die Bestätigung der Klagebefugnis der DUH wurde auch die letzte Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) für rechtswidrig erklärt. In der Novellierung hatte die Vorgängerregierung die Vorschriften in Deutschland nicht so abgeändert, dass die rechtswidrige Genehmigung von Produkten gerichtlich überprüfbar wird, obwohl dies das EU-Recht so vorsieht. Dies muss nach dem Richterspruch nun geändert werden.
Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Verfahren vor dem EuGH vertritt, dazu: „Die in Deutschland seit Jahren andauernde Beschneidung der Klagerechte von Umweltverbänden ist nun zum 4. Mal für rechtswidrig erklärt worden. Kein Mitgliedstaat der EU ist zu diesem Thema so oft verurteilt worden wie Deutschland. Wie oft will sich eine Bundesregierung noch vor dem EuGH blamieren? Es ist Zeit, dass professionelles politisches Handeln den rechtswidrigen politischen Lobbyismus der Vorgängerregierung ablöst. Die Bundesregierung muss nun endlich ein rechtskonformes Verbandsklagerecht vorlegen. Ein Klagerecht gegen unionsrechtswidrige Produktgenehmigungen, wie heute durch den EuGH anerkannt, ist dazu nur der Anfang. Wer immer noch denkt, die Klagerechte von Umweltverbänden seien der Grund für zu lange Verwaltungsverfahren, beweist seine Ahnungslosigkeit über den Ablauf von Verwaltungsverfahren.“
Hintergrund:
Gegenstand des Rechtsstreits sind Freigabebescheide des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA), die nach dem offiziellen Rückrufbescheid 2015 erteilt wurden. In Folge des Rückrufs sollten unzulässige Abschalteinrichtungen entfernt und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit entsprechend der durch das KBA erteilten Typgenehmigungen ergriffen werden, damit eine Stilllegung der betroffenen Fahrzeuge vermieden werden kann. Die Vergabe der Freigabebescheide erfolgte als Bestätigung der Erfüllung dieser Vorgaben durch das KBA.
Nach Überzeugung der DUH, belegt durch Messungen des Emissions-Kontrollinstituts (EKI) der DUH, sind die Fahrzeuge jedoch auch nach der Erteilung der Freigabebescheide weiterhin mit illegalen Abschalteinrichtungen wie beispielsweise temperaturabhängigen Steuerungen der Abgasnachbehandlung ausgestattet. Deshalb legte die DUH zunächst Widerspruch gegen die Bescheide beim KBA ein und erhob anschließend eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht (VG) Schleswig gegen das KBA.
Das Urteil des EuGHs erging nach einem Vorabentscheidungsgesuch des VG Schleswig: Der Gerichtshof sollte klären, ob die DUH berechtigt ist, gegen die Freigabebescheide – mit denen die Zulässigkeit der temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen festgestellt wurde – zu klagen und ob die weiterhin betriebenen Abschalteinrichtungen trotz Freigabebescheide des KBA als illegal anzusehen sind. Die Klageberechtigung von Umweltverbänden gegen rechtswidrige Produktgenehmigungen war auch in der letzten Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes nicht in das Gesetz aufgenommen worden. Vereinigungen wie die DUH, die vorwiegend die Ziele des Umweltschutzes fördern und die weiteren Voraussetzungen der Anerkennung nach § 3 Absatz 1 UmwRG erfüllen, sind aber nach dem EU-Recht und dem völkerrechtlichen Aarhus-Abkommen berechtigt, die Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften bei umweltrelevanten Entscheidungen mit einem Rechtsbehelf, d. h. einem Widerspruch oder einer Klage, gerichtlich überprüfen zu lassen (Umweltverbandsklage).
Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe