Der NABU Hamburg kritisiert das Anzetteln einer Debatte von Vertretern der Politik und Wirtschaft, welche von nachweislichen Gesundheitsschäden durch Verkehrsemissionen ablenken soll.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert seit Jahren strengere Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub, als die in der Europäische Union aktuell geltenden. Der im Vergleich zur WHO bereits deutlich niedrigere Grenzwert für Stickoxide in der EU ist seit 2008 verbindlich und in Deutschland bis heute nicht wirkungsvoll umgesetzt.
„Es ist absurd, dass eine relativ kleine Gruppe von Lungenfachärzten eine Diskussion auslöst, die nicht die Meinung der Mehrheit, zu der vor allem auch Umweltmediziner und Umweltwissenschaftler gehören, repräsentiert. Nur weil es für Politik und Wirtschaft unbequem ist, endlich Maßnahmen für die Reduktion von Emissionen durchzusetzen, soll nun neu über Herabsetzung von Grenzwerten diskutiert werden. Bürgerinnen und Bürger sollten vor den nachweislichen Gefahren von Emissionen und vor allem vor Wirtschaftsinteressen wirkungsvoll geschützt werden“, sagt Malte Siegert, Leiter Umweltpolitik beim NABU Hamburg.
Völlig ohne europäische Grenzwerte, aber mit hohen Gesundheitsrisiken sind vor allem Ultrafeine Partikel (UFP), die bei der Verbrennung von Diesel entstehen und kleiner als 0,1 Mikrometer sind. Diese UFP sind lungengängig und erreichen über die Blutbahn Herz und Hirn. Für diese gefährliche Emissions-Komponente fordert der NABU seit langem einen eigenen Grenzwert.
„Natürlich sind Grenzwerte immer so festgesetzt, um Gesundheitsschäden vorzubeugen. Solange wissenschaftlich unstrittig ist, dass durch die Verbrennung fossiler Stoffe- Öl, Holz, Kohle, Gas- gesundheitsschädliche Stickoxid- Feinstaub- und Ultrafeinstaubemissionen entstehen, muss vor allem dann alles zur Reduzierung getan werden, wenn man noch nicht mal genau weiß, wie schlimm die Auswirkungen tatsächlich sind“, so Siegert.
Der NABU, der auf das Thema Emissionen von Schiffen spezialisiert ist, verweist auf eine Studie der Universität Rostock in Kooperation mit dem Virtuellen Helmholtz-Institut in München.
Link zur Studie: https://www.helmholtz-muenchen.de/aktuelles/uebersicht/pressemitteilungnews/article/35186/index.html
In ihren Testreihen hatten Wissenschaftler 2015 lebende Lungenzellen mit Schiffsmotoren-Abgasen aus der Verbrennung von Schweröl und Marine-Diesel begast. Das Rostocker Team um Professor Dr. Zimmermann konnte nachweisen, dass die toxischen Effekte der Emissionen zum Absterben von Zellen führen. Besonders der Einfluss auf wichtige Zellen, so genannte Makrophagen, sei extrem negativ. Diese weißen Blutkörperchen zählen zum Immunsystem und werden als „Fresszellen“ bezeichnet, da sie Mikroorganismen in sich aufnehmen und verdauen. Die wichtigen Zellen zerstören auch Tumorzellen, entfernen Zellabfall und wirken sich positiv auf die Wundheilung aus. Besonders sie werden durch Emissionen angegriffen.
Pressemitteilung NABU HH
Politisch getriebene Effekthascherei gegen Stickoxidgrenzwerte
Die jüngste Forderung einer Gruppe von Lungenärzten, die europaweit geltenden Grenzwerte für Stickoxide auszusetzen, hält der BUND Hamburg für politische Effekthascherei und für unverantwortlich gegenüber der betroffenen Bevölkerung. Die Grenzwerte seien seit fast 20 Jahren bekannt, sie gelten seit dem Jahr 2010 und sind vielfach diskutiert und geprüft worden.
„Die Frage ist doch, warum sich die Ärzte erst zu Wort melden, wenn das seit fast zehn Jahren geltende Recht zum Schutz der menschlichen Gesundheit ganz oben auf der politischen Agenda steht und endlich durchgesetzt werden soll. Die Forderung, europäische Grenzwerte auszusetzen, ohne den wissenschaftlichen Beleg dafür, dass diese für den Gesundheitsschutz nicht erforderlich sind, ist geradezu absurd“, so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg. „Stattdessen mit Vergleichen zu Rauchern oder der Belastung durch Adventskränze zu argumentieren, ist wissenschaftlicher Humbug“, so Braasch.
Die Schweiz hat sogar einen noch strengeren Grenzwert von 30 µg/m³ für Stickstoffdioxid eingeführt, der WHO-Richtwert liegt bei 20 µg/m³ (EU: 40 µg/m³ im Jahresmittel). Studien haben zudem nachgewiesen, dass Stickoxide insbesondere bei Kindern ein reduziertes Lungenwachstum bedingen und auch ältere Menschen vermehrt von Atemwegserkrankungen betroffen sind.
Der BUND verweist in diesem Zusammenhang auf das aktuelle Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. „Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit“. Die Fachgesellschaft, in der fast 4.000 Mediziner vertreten sind, hat im Jahr 2018 anerkannte Wissenschaftler*innen gebeten, die relevante Fakten zusammenzustellen und kommt zu der klaren Forderung, dass eine „deutliche Reduktion der Luftschadstoffbelastung geboten“ ist. Die Stickoxidbelastung wird dabei ausdrücklich einbezogen.
Positionspapier: https://pneumologie.de/fileadmin/user_upload/DGP_Luftschadstoffe_Positionspapier_20181127.pdf
Pressemitteilung BUND HH
Debatte um Stickoxid-Grenzwerte
Umweltbehörden und Gesundheitsfachleute plädieren für Maßnahmen gegen Feinstaub und Stickoxide zum Schutz der Gesundheit. Doch einige Lungenfachärzte bezweifeln, dass die den gesetzlichen Grenzwerten zu Grunde liegende Forschung ausreicht.
„Stickoxide und auch Feinstaub sind gefährlich, besonders für alte, kranke und junge Menschen. Diese offizielle Position der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin ist unverändert. Es besteht weiterhin Forschungsbedarf, doch im Sinne des Vorsorgeprinzips müssen wir die Grenzwerte vertretbar niedrig setzen. Diesem Prinzip wird durch wissenschaftliche Unsicherheit nicht widersprochen. Im Gegenteil, es wird durch wissenschaftliche Unsicherheit erst nötig gemacht“, so Tiemo Wölken, Mitglied im Umweltausschuss und gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Europa, zur Diskussion um die Stickoxid-Grenzwerte, die auf europäisches Recht zurückgehen. Laut dem Vorsorgeprinzip sollen denkbare Belastungen oder Schäden für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit vorbeugend, auch trotz unvollständiger Wissensbasis, vermieden oder weitestgehend verringert werden.
„Dass eine Minderheit der praktizierenden Lungenärzte die Grenzwerte kritisiert, ist legitim und Teil eines öffentlichen Diskussionsprozesses. Von den 4000 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin unterstützen allerdings nur knapp über 100 diese Gegenposition“, so Tiemo Wölken. „Einige Akteurinnen und Akteure scheinen jedoch nicht an einer Fachdebatte interessiert zu sein. Sie warten offenbar nur auf Meinungen, die ihre Position unterstützen. Dafür sind sie bereit, jahrzehntelange Forschung durch renommierte Institute und Organisationen, wie das Helmholtz-Zentrum für Gesundheit und Umwelt oder die Weltgesundheitsorganisation, über Bord zu werfen. So funktioniert sachliche Politik nicht. Die Grenzwerte werden im Rahmen der regulären Überprüfung der geltenden europäischen Richtlinie evaluiert.“
Zur Überprüfung der Grenzwerte führt die EU-Kommission aktuell einen sogenannten Fitness Check zur Luftqualitätsrichtlinie durch, die 2008 verabschiedet worden war. Nach einer öffentlichen Konsultation und Workshops mit beteiligten Verbänden, Organisationen und Fachleuten wird die EU-Kommission in diesem Jahr die Richtlinie gegebenenfalls überarbeiten. Sollte das Ergebnis sein, dass die Grenzwerte zu niedrig oder zu hoch sind, werden sie gegebenenfalls angepasst. Die aktuellen Grenzwerte für Stickoxide in der EU orientieren sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Die EU-Grenzwerte für Feinstaub liegen über diesen Empfehlungen.
Pressemitteilung SPD-Gruppe im Europäischen Parlament