Landesgericht Bozen beendet Strafverfahren gegen Verleger des Münchner oekom verlag und weitere Mitglieder des Umweltinstitut München aus Mangel an Beweisen
Das Landesgericht Bozen bestätigte in seiner heutigen Entscheidung den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen gegen Verleger Jacob Radloff und die Mitglieder des Umweltinstituts aus Mangel an Beweisen einzustellen. Die Betroffenen begrüßen die Entscheidung als einen bedeutenden Teilsieg für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Pestizidprozesse gegen oekom-Autor Alexander Schiebel und Agrarreferent Karl Bär vom Umweltinstitut München gehen jedoch weiter. Die nächste Verhandlung ist am 27. November 2020 gegen Karl Bär.
München/Bozen, 28.10.20: Das Bozner Landesgericht hat heute entschieden, das Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer des Münchner oekom verlag, Jacob Radloff, einzustellen und keine Anklage gegen ihn zu erheben. Radloff verlegte im Jahr 2017 Alexander Schiebels Buch »Das Wunder von Mals«, in dem der Autor die massive Anwendung von Pestiziden im Südtiroler Apfelanbau anprangert. Aus diesem Grund war gegen den Verleger als »Mittäter im Verbrechen der erschwerten üblen Nachrede« ermittelt worden.
Auch die Ermittlungen gegen aktive und ehemalige Vorstände des Umweltinstitut München wurden heute zu den Akten gelegt. Initiator der Anzeigen gegen Radloff, Alexander Schiebel und das Umweltinstitut München war der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft und damalige stellvertretende Landeshauptmann Arnold Schuler.
Jacob Radloff begrüßt die Entscheidung, dass sein Verfahren zu den Akten gelegt wurde, äußert sich gleichzeitig jedoch sehr besorgt über den weiteren Fortgang der Südtiroler Pestizidprozesse: »Ich fühle mich in meiner Position bestärkt. Solange eine Kritik berechtigt ist und einer öffentlichen Auseinandersetzung dient, darf sie auch pointiert und meinungsstark ausfallen. Doch auch wenn ich nun nicht mehr selbst auf der Anklagebank Platz nehmen muss, stehen immer noch Menschen vor Gericht, weil sie auf ein real existierendes Problem aufmerksam gemacht haben. Meine Solidarität gehört weiterhin unserem Autor Alexander Schiebel und Karl Bär vom Münchner Umweltinstitut. Wir werden uns auch weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, um diesen Prozess auch für sie zu einem guten Ausgang zu bringen.«
Ebenfalls eingestellt wurden heute die Verfahren gegen aktuelle und ehemalige Vorstandsmitglieder des Umweltinstitut München. Das Umweltinstitut initiierte im Jahr 2017 eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zur Aufklärung der Öffentlichkeit über den hohen Pestizideinsatz in Südtirol, auf die Landesrat Arnold Schuler und über 1300 Obstbauern aus der Region mit den Anzeigen wegen übler Nachrede reagierten. Wie bei Radloff sah das Bozner Gericht aber auch hier keine ausreichenden Beweise für eine Anklage und stimmte dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Archivierung der Strafverfahren zu. Auch für das Umweltinstitut bedeutet die Entscheidung aber nur einen Teilsieg, weil Agrarreferent Karl Bär schon im November seinen nächsten Prozesstag bestreiten muss.
Anwalt Canestrini zur Einstellung der Verfahren: »Der Weg zur Gerechtigkeit ist manchmal lang und steinig. Nach drei Jahren wurde nun zumindest für die Vorstände des Umweltinstituts und Jacob Radloff die Unschuld festgestellt. Wir werden das Recht auf freie Meinungsäußerung nun auch für die beiden letzten Angeklagten, Karl Bär und Alexander Schiebel, erstreiten.«
Welle der Solidarität für die Angeklagten
Im Vorfeld der Verhandlung erreichte die Beklagten eine Welle der Solidarität. Neben mehr als 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen meldeten sich deutsche, aber auch Südtiroler Verlegerkolleg*innen sowie zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik und Umweltverbänden, um ihre Solidarität zu bekunden – darunter der bayerische Landesverband BÜNDNIS90/Die Grünen, Renate Künast (ehemalige Landwirtschaftsministerin), Carlo Petrini (Präsident von Slow Food) und Sarah Wiener (EU-Abgeordnete, Publizistin und Köchin) – aber auch Menschenrechts- und Meinungsfreiheits-Organisationen wie Index on Censorship oder das Whistleblowing International Network.
In einem Brief appelliert Margarete Bause, Menschenrechtsbeauftragte von BÜNDNIS90/Die Grünen und Mitglied des Deutschen Bundestages, an Landesrat Arnold Schuler: »Mit wachsender Sorge und zunehmendem Unverständnis beobachte ich, wie hier mit den Mitteln des Strafrechts eine politische Auseinandersetzung geführt wird. Inzwischen haben viele Beobachter den Eindruck, dass der Streit sich zu einem Angriff auf die Meinungsfreiheit ausgewachsen hat. Die Folge ist ganz offensichtlich ein drohender Ansehensverlust für Südtirol insgesamt, nicht nur für seine Äpfel. (…) Deswegen appelliere ich an Sie, Herr Landesrat Schuler, Ihre Strafanzeigen und auch Ihren Widerspruch gegen die Verfahrenseinstellung gegen den Geschäftsführer des oekom-Verlags ohne Bedingungen zurückzuziehen.«
Alexander Schiebel und Karl Bär drohen bei einer Niederlage weiterhin nicht nur eine Haft- oder Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklägern in Millionenhöhe und damit der finanzielle Ruin.
Pressemitteilung Oekom Verlag (29.10)
Pestizidprozess: Entscheidung über Klage wird erwartet
Nach der Verhandlung über eine mögliche Anklageerhebung gegen den Geschäftsführer des oekom verlags, Jacob Radloff, sowie mehrere Vorstandsmitglieder des Umweltinstituts München steht das Ergebnis noch aus. Es bleibt also abzuwarten, ob sich neben oekom-Autor Alexander Schiebel (»Das Wunder von Mals«) und Karl Bär, Agrarreferent am Münchner Umweltinstitut, weitere Personen im sogenannten »Pestizidprozess« vor Gericht verantworten müssen.
Schiebel, Radloff und das Umweltinstitut München waren bereits 2017 aufgrund ihrer Kritik am Pestizideinsatz im Südtiroler Apfelanbau vom Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft und damaligen stellvertretenden Landeshauptmann Arnold Schuler angezeigt worden. Während gegen Alexander Schiebel und Karl Bär vom Umweltinstitut inzwischen Klage wegen übler Nachrede erhoben wurde, hatte die Staatsanwaltschaft Bozen im Falle aller übrigen Anzeigen zunächst einen Antrag auf Einstellung aus Mangel an Beweisen für die von den Klägern unterstellte Mittäterschaft an »erschwerter Verleumdung« gestellt. Landesrat Schuler legte dagegen Widerspruch ein, weshalb es am heutigen Tag vor Gericht in Bozen zu einer Anhörung kam. (Foto: Andreas Kemenater)
Jacob Radloff gab heute vor Gericht eine spontane persönliche Erklärung ab. Darin bewertet er die Anzeige gegen die Beklagten als schweren Angriff auf die Meinungsfreiheit: »Ich stehe voll und ganz zu meiner Verantwortung als Verleger, aber ich verstehe beim besten Willen nicht, warum ich hier in Bozen vor Gericht stehen soll. Die Entscheidung, die Diskussion über Südtirols Pestizidproblem auf die juristische Ebene zu verlagern, ist mir vollkommen unverständlich.«
Radloff später zur Verhandlung: »Mein Beruf als Verleger birgt viele Risiken, und schon oft musste ich mich damit auseinandersetzen – seien es ökonomische Risiken oder ideologische Auseinandersetzungen – aber noch nie in all den Jahren musste ich mich vor Gericht dafür verantworten. Alexander Schiebel geht es in seinem Buch eigentlich um eine politische Frage, nämlich wie Landwirtschaft ohne gravierende Schäden für Mensch und Umwelt gestaltet werden kann. Wie wir mit dieser uns alle betreffenden Frage umgehen, sollte Bestandteil der demokratischen Auseinandersetzung sein – und nicht in Strafprozessen verhandelt werden.«
Ebenfalls zur Verhandlung am Bozener Landesgericht stand heute, ob auch gegen aktive und ehemalige Vorstände des Umweltinstituts München Anklage erhoben wird. Das Umweltinstitut initiierte im Jahr 2017 eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zur Aufklärung über den hohen Pestizideinsatz in Südtirol, auf die Landesrat Arnold Schuler und über 1300 Obstbauern aus der Region mit Anzeigen wegen übler Nachrede reagierten. Auch in diesen Fällen steht die Entscheidung des Gerichts aus.
Den Betroffenen der »Pestizidprozesse« in Bozen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- oder Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklägern in Millionenhöhe und damit der finanzielle Ruin.
Pressemitteilung Oekom Verlag (22.10.)
Verleger vor Gericht: Geschäftsführer des oekom verlags droht Anklage wegen übler Nachrede in Südtirol
Verhandlung gegen Geschäftsführer von größtem deutschen Nachhaltigkeitsverlag am 22.10. in Bozen. Vorwurf: Jacob Radloff hat ein Buch verlegt, das durch Kritik an Pestizideinsatz angeblich dem Ansehen der Südtiroler Landwirtschaft schadet. Strafgerichtsprozess wäre weitere Eskalation im Südtiroler »Pestizidprozess« und schwerer Angriff auf die Meinungsfreiheit.
München/Bozen, 20.10.2020: Die Angriffe auf die Meinungsfreiheit in Europas größter Apfelanbau-Region Südtirol erreichen die nächste Stufe: Am 22. Oktober wird am Bozner Landesgericht darüber verhandelt, ob auch gegen den Geschäftsführer des Münchner oekom verlag, Jacob Radloff, Anklage erhoben wird. Radloff verlegte im Jahr 2017 Alexander Schiebels Buch »Das Wunder von Mals«, wegen dem Schiebel im Januar 2021 vor Gericht gestellt wird. Der Vorwurf gegen Radloff lautet »Mittäterschaft beim Verbrechen der üblen Nachrede«.
Neben Schiebel ist auch Karl Bär, Agrarreferent im Umweltinstitut München, wegen übler Nachrede zum Schaden der Südtiroler Obstwirtschaft angeklagt. Der Prozess gegen Karl Bär begann bereits im September. Schiebel und Bär hatten den hohen Pestizideinsatz in der größten zusammenhängenden Apfelanbau-Region Europas öffentlich kritisiert. Initiator der insgesamt über 1600 Anzeigen ist der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft, Arnold Schuler.
Jacob Radloff, Geschäftsführer des oekom verlags: »Der oekom verlag publiziert seit mehr als 30 Jahren zu den Themen Ökologie und Nachhaltigkeit. Neben der Vermittlung von relevantem Wissen für eine zukunftsfähige gesellschaftliche Entwicklung sehe ich es als unsere Aufgabe an, auch auf ökologische Missstände hinzuweisen. »Das Wunder von Mals« von Alexander Schiebel erfüllt diese Aufgabe auf ganzer Linie. Dass ich mich als Verleger des Buches nun in Bozen wegen haltloser Vorwürfe als Verbrecher vor Gericht verantworten soll, ist für mich absolut unverständlich. Berechtigte Kritik, Meinung und offene Diskussion muss erlaubt sein und bleiben, und ich baue auf die italienische Justiz, dass sie das genauso sieht.«
Die Staatsanwaltschaft Bozen hatte zunächst nach zwei Jahren Ermittlungen gegen Jacob Radloff die Einstellung der Anzeige beantragt. Landesrat Schuler legte jedoch Widerspruch ein, weshalb nun am 22. Oktober im Gericht in Bozen darüber verhandelt wird, ob Anklage erhoben wird oder nicht und ob ggf. weitere Ermittlungen gegen Radloff stattfinden.
Radloff: »Es darf nicht sein, dass sich haltlose Klagen gegen Publizist*innen als Mittel etablieren, um unliebsame Kritik zum Schweigen zu bringen. Weder Autor*innen noch unabhängige Verlage wie wir haben die finanziellen Ressourcen für Anwalts- und Prozesskosten, um sich in aufwändigen Verfahren gegen derartige Anschuldigungen zu wehren. Natürlich besteht die Gefahr, dass – allein aus dem ökonomischen Zwang heraus – schon vorher die Schere im Kopf ansetzt und unbequeme Aussagen vermieden werden. Das hätte einen massiven Einschnitt für freiheitliche Demokratien zur Folge.«
Für die Beklagten und ihren vertretenden Rechtsanwalt Nicola Canestrini handelt es sich bei den Klagen und Strafanzeigen um einen klaren Angriff auf die Meinungsfreiheit.
Nicola Canestrini: »Die Meinungsfreiheit ist ein fundamentaler Bestandteil der Demokratie und eine der mächtigsten Waffen im Kampf gegen Tyrannei und Machtmissbrauch. Es ist bedauerlich für die Rechtsstaatlichkeit, dass hier jemand angeklagt wird, weil er von diesem Recht Gebrauch macht.«
Neben der Frage, ob Jacob Radloff angeklagt wird, steht am Donnerstag auch zur Verhandlung, ob gegen weitere Mitglieder des Umweltinstituts München Anklage erhoben wird. Der Verein führte in 2017 eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zum Pestizideinsatz in Südtirol, die Anzeigen gegen Agrarreferenten Karl Bär und die Vorstandsmitglieder zur Folge hatten. Auch hier wird über einen Archivierungsantrag aus Mangel an Beweisen entschieden.
Den Betroffenen der »Pestizidprozesse« in Bozen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklägern in Millionenhöhe und damit der finanzielle Ruin.
In seinem Buch »Das Wunder von Mals. Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet« stellt Alexander Schiebel die VordenkerInnen, AktivistInnen und Bio-LandwirtInnen aus Mals vor und begleitet aus dokumentarischer wie persönlicher Sicht die Geschichte ihres Kampfes für eine pestizidfreie Gemeinde. Bis heute ist ihm eines völlig unverständlich: Warum werden die Menschen in Mals, die pestizidfrei leben und umweltschädigende Produktionsweisen nicht hinnehmen wollen und vor Ort aktiv nach zukunftsweisenden Alternativen suchen, mit so viel Aufwand bekämpft?
Alexander Schiebel: »Das Wunder von Mals. Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet«, 256 S., Softcover, ISBN: 978-3-96006-014-7, 19 Euro / 19,60 Euro (A). Auch als E-Book verfügbar.
Pressemitteilung Oekom Verlag (20.10.)
Prozess gegen Karl Bär und Alexander Schiebel wird fortgesetzt
Landesrat Arnold Schuler zieht seine Anzeigen wegen übler Nachrede gegen das Umweltinstitut München, den Buchautor Alexander Schiebel sowie dessen Verleger nicht zurück. Die Gespräche zwischen den Anwälten der beiden Parteien scheiterten entgegen anderslautenden Behauptungen daran, dass die Kläger die Aufklärungsarbeit über den hohen Pestizideinsatz in Südtirol unterbinden wollten.
Der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft, Arnold Schuler, bricht sein “Tiroler Wort”. Er hatte vor rund zwei Wochen zum Start des Gerichtsverfahrens wegen übler Nachrede gegen Karl Bär vom Umweltinstitut München in Bozen gegenüber der Presse und dem Gericht erklärt, seine Anzeigen gegen den Buchautor Alexander Schiebel und dessen Verleger Jacob Radloff sowie gegen das Umweltinstitut gemeinsam mit den klagenden LandwirtInnen zurückzuziehen. Darauf gebe er sein »Tiroler Wort«, so Schuler. In den daraufhin folgenden anwaltlichen Gesprächen stellten die Anwälte Schulers jedoch Bedingungen für die Rücknahme der Anzeigen, die die Beklagten in ihrer freien Meinungsäußerung beschränkt hätten. Für das Umweltinstitut München, Alexander Schiebel und seinen Verlag kam und kommt es nicht infrage, Informationen über das wahre Ausmaß des Pestizideinsatzes in Südtirol zurückzuhalten oder die Kritik an dem Prozess einzustellen. Nachdem klar wurde, dass sich die Beklagten auf keinen “Deal” einlassen würden, erfolgte heute Schulers Rückzug vom Rückzug aus dem Verfahren.
Karl Bär, Referent für Agrarpolitik im Umweltinstitut München: »Landesrat Schuler wollte uns darauf festnageln, wichtige Daten zum Pestizideinsatz in Südtirol vor der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Das zeigt, wie viel Angst der Minister und die Südtiroler Apfellobby davor haben, dass die Wahrheit über den Pestizideinsatz auf den Südtiroler Obst-Plantagen ans Licht kommt. Natürlich kommen wir einer solchen Forderung nicht nach. Es zeigt sich einmal mehr, dass es bei diesem Prozess von Anfang an um nichts anderes ging, als KritikerInnen des Pestizideinsatzes in Südtirol einzuschüchtern. Doch diese Taktik geht nicht auf. Wir werden uns niemals einen Maulkorb verpassen lassen.«
Alexander Schiebel, Buchautor: »Arnold Schuler hat in Bezug auf die Rücknahme der Anzeige gegen uns vor laufenden Kameras gelogen. Und in meinem Fall beruhen seine öffentlichen Aussagen auf systematisch wiederholten Verleumdungen. Ich habe an keiner Stelle und niemals gesagt oder geschrieben, dass die Südtiroler Apfelbauern ‘Mörder’ seien, oder – was das gleiche bedeuten würde – dass sie sich der ‘vorsätzlichen Tötung’ schuldig gemacht hätten. Wir werden nun diesen Prozess dazu nutzen, um noch effektiver auf die Gefahren durch den hohen Pestizideinsatz in der Region hinzuweisen. Und wir werden unser Recht auf freie Meinungsäußerung notfalls bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchfechten.«
Nicola Canestrini, vertretender Rechtsanwalt: »Die Kommunikation zwischen Anwälten ist vertraulich, deshalb haben wir uns immer daran gehalten, keine Details aus diesen Gesprächen an die Öffentlichkeit zu geben. Wenn die Gegenseite nun aber behauptet, die Verhandlungen wären an Äußerungen meiner Mandanten in den sozialen Medien gescheitert, ist das schlicht falsch. Wir fordern daher die Anwälte von Herrn Schuler auf, die Vertraulichkeit der zwischen uns ausgetauschten Nachrichten aufzuheben, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann, was der wahre Grund ist, warum Schuler und Co nun weiter klagen.«
Hintergrund
In Südtirol werden auf rund 18.000 Hektar ungefähr die Hälfte der Äpfel Italiens und rund zehn Prozent aller in der EU geernteten Äpfel produziert. Auch etwa jeder zehnte Apfel in deutschen Supermärkten kommt von hier. Damit diese intensive Landwirtschaft funktioniert, werden große Mengen an Pestiziden eingesetzt. Laut aktuellen Zahlen des italienischen Statistikamts wurden in Südtirol im Jahr 2018 sechs mal mehr Pestizide verkauft als im italienischen Durchschnitt. Bis zu 20 Mal pro Saison werden die Apfelplantagen gespritzt.
Das Umweltinstitut München hatte im Jahr 2017 mit einer Kampagne den hohen Einsatz von Spritzmitteln in den Südtiroler Apfelplantagen kritisiert. oekom-Autor Alexander Schiebel veröffentlichte im selben Jahr das Buch »Das Wunder von Mals«, in dem er die Geschichte einer Bürgerinitiative für ein pestizidfreies Mals schildert und dabei auch den Pestizideinsatz in Südtirol und das Verhalten der dortigen Obstwirtschaft anprangert. Der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler hatte sie daraufhin gemeinsam mit über 1300 LandwirtInnen angezeigt. Der Vorwurf: Üble Nachrede zum Schaden der Südtiroler Landwirtschaft. Auch weitere Vorstandsmitglieder des Umweltinstituts München und der Verleger von Alexander Schiebel, Jacob Radloff vom oekom verlag, wurden angezeigt. Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklägern und damit der finanzielle Ruin.
Pressemitteilung des Oekom Verlages (30.9.)
Südtiroler Landesrat verklagt oekom-Autor Alexander Schiebel und Umweltinstitut München wegen Kritik an hohem Pestizideinsatz
Als massiven Angriff auf die Meinungsfreiheit kritisieren oekom-Autor Alexander Schiebel (»Das Wunder von Mals«), sein Verleger Jacob Radloff und das Umweltinstitut München die gegen sie anstehenden Strafgerichtsprozesse in Südtirol. Weil sie den massiven Pestizideinsatz in Südtirol öffentlich kritisiert hatten, erstattete der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler im Jahr 2017 Strafanzeige wegen übler Nachrede zum Schaden der Südtiroler Landwirtschaft.
Mehr als 1300 LandwirtInnen aus Südtirol schlossen sich der Anzeige an. Die Staatsanwaltschaft am Landesgericht Bozen hat deshalb Anklage gegen Autor und Filmemacher Alexander Schiebel und Karl Bär, den Agrarexperten im Umweltinstitut München, erhoben. Auch dem Verleger des oekom verlags, Jacob Radloff, und ehemaligen und aktiven Vorständen des Umweltinstituts droht der Prozess.
Der Vorwurf der üblen Nachrede im Fall Alexander Schiebel bezieht sich auf einzelne Textpassagen in seinem Buch »Das Wunder von Mals. Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet«, in der der Autor den Pestizideinsatz in Südtirol und das Verhalten der dortigen Obstbauern anprangert.
Alexander Schiebel: »Arnold Schuler missbraucht seine politische Position und macht sich zum Handlanger der mächtigen Südtiroler Obstlobby. Der Landesrat und die konventionellen Apfelbauern wollen den übermäßigen Einsatz von Pestiziden in den Monokulturen Südtirols und deren Folgen für Natur und Mensch unter den Teppich kehren. Menschen, die sich in der Region gegen die massive Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide wehren, werden attackiert. Inzwischen herrscht bei vielen von ihnen ein Klima der Angst. Doch wir werden uns nicht mundtot machen lassen, im Gegenteil.«
Anlass der Klage gegen Karl Bär ist die provokative Kampagne »Pestizidtirol« des Umweltinstituts im Sommer 2017. In deren Rahmen platzierte die Umweltorganisation ein Plakat in München, das eine Tourismus-Marketing-Kampagne für Südtirol ironisch verfremdete. Zusammen mit einer eigenen Website hatte die Kampagne zum Ziel, auf den hohen Pestizideinsatz in der beliebten Urlaubsregion aufmerksam zu machen.
Karl Bär: »Wie sich zeigt, hat Südtirol nicht nur ein Pestizidproblem, sondern auch ein Demokratieproblem. Die Anzeigen und Klagen gegen uns entbehren jeder sachlichen Grundlage und haben nur ein Ziel: KritikerInnen des gesundheits- und umweltschädlichen Pestizideinsatzes sollen in Südtirol zum Schweigen gebracht werden. Der Prozess reiht sich ein in eine lange Reihe von haltlosen Klagen gegen AktivistInnen und PublizistInnen in Italien und in ganz Europa. Immer häufiger versuchen Unternehmen oder PolitikerInnen, auf diese Weise kritische Personen in ihrer Arbeit zu behindern und einzuschüchtern.«
Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklägern – und damit der finanzielle Ruin.
Nicola Canestrini, Rechtsanwalt von Bär und Schiebel: »Die Wahrheit zu sagen ist und bleibt nach italienischem Recht kein Verbrechen. Sie ist ein grundlegender Bestandteil der Demokratie und eine der mächtigsten Waffen gegen Machtmissbrauch. Es ist ein Alarmsignal für die Rechtsstaatlichkeit, dass man wegen der Ausübung eines so wichtigen Grundrechts angeklagt wird. Wir werden in Bozen stellvertretend für alle UmweltaktivistInnen und JournalistInnen kämpfen, die im öffentlichen Interesse Missstände aufdecken. Und wir werden im Prozess beweisen, dass in Südtirol im Übermaß Pestizide ausgebracht werden und dass diese für Menschen, Tiere und die Umwelt gefährlich sind.«
Die Bozener Staatsanwaltschaft ersuchte während ihrer zweijährigen Ermittlungen auch die Oberstaatsanwaltschaft in München um Rechtshilfe. Diese verweigerte jedoch die Zusammenarbeit – mit Verweis auf die deutsche Rechtslage und das in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit. Trotzdem erhob die Staatsanwaltschaft Bozen Anklage. Neben Bär und Schiebel drohen auch dem Vorstand des Umweltinstituts sowie Jacob Radloff als Verleger des oekom verlags Strafprozesse.
Jacob Radloff: »Diese Anzeigen und Prozesse sind ein klarer Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Es wäre für Verlage und ihre Autorinnen und Autoren fatal, wenn sich dieser Weg als Mittel etablieren würde, um unliebsame Kritiker mundtot zu machen. Aber wir lassen uns von dieser Klagewelle nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Ich baue auf die italienische Justiz, dass sie hier ein Urteil fällt, das die kritische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit am Ende stärkt.«
Zum Buch
In seinem Buch »Das Wunder von Mals. Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet« stellt Alexander Schiebel die VordenkerInnen, AktivistInnen und Bio-LandwirtInnen aus Mals vor und begleitet aus dokumentarischer wie persönlicher Sicht die Geschichte ihres Kampfes für eine pestizidfreie Gemeinde. Bis heute ist ihm eines völlig unverständlich: Warum werden die Menschen in Mals, die pestizidfrei leben und umweltschädigende Produktionsweisen nicht hinnehmen wollen und vor Ort aktiv nach zukunftsweisenden Alternativen suchen, mit so viel Aufwand bekämpft?
Seit Erscheinen im September 2017 erzielte »Das Wunder von Mals« eine bemerkenswerte öffentliche und mediale Aufmerksamkeit. Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit, zahlreiche Interviews und Filmvorführungen in Deutschland, Österreich und Italien prägte der Autor und Filmemacher Alexander Schiebel die Berichterstattung im Fall Mals entscheidend mit. Im deutschsprachigen Raum verkaufte sich das Buch über 12.000 Mal. Mehr als 13.000 ZuschauerInnen sahen Schiebels gleichnamigen Dokumentarfilm in rund 250 Kinovorführungen.
Pressemitteilung Oekom Verlag, München (8.9.)
>mehr Infos zum Buch auch in unseren Buchtipps: /2018/03/buchtipps-fruehjahr-2018/
mehr Infos zum Thema: https://www.umweltinstitut.org/mitmach-aktionen/pestizidrebellen-vor-gericht.html
/2018/05/filmstart-fuer-das-wunder-von-mals/