Senat evoziert Bebauungsplan Matthias-Strenge-Siedlung

Der Senat setzt sich erneut über das Ergebnis eines Bürgerentscheids hinweg. Er entzieht dem Bezirk Wandsbek die Zuständigkeit für die Matthias-Strenge-Siedlung. 2004 hatte eine Bürgerinitiative die damaligen Bebauungspläne gekippt. Statt Sanierung und Erhaltung soll es nun einen neuen Bebauungsplan geben.

Die GAL-Fraktion kritisiert das Vorgehen der SPD als ignorant und kaltschnäuzig.

Am vergangenen Montag wurde den Obleuten der Bürgerinitiative in einer knappen Mitteilung von Baustaatsrat Sachs mitgeteilt, dass der Senat das Verfahren dem Bezirk Wandsbek entzogen habe. Zugleich wurde der Bezirk vom Senat angewiesen, auf Grundlage der Planungszeichnung des Investors (siehe Zeichnung) das  Bebauungsplanverfahren wieder aufzunehmen. Von der Erhaltungssatzung, für die eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gestimmt hatten, ist keine Rede mehr. Die GAL-Fraktion hat dazu eine Kleine Anfrage gestellt (siehe unten).

Olaf Duge, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der GAL-Fraktion, erklärt hierzu: „Die SPD trampelt ohne Gespür für Zeitgeist und Bürgerwillen wie ein Elefant durch den Porzellanladen und beweist erneut, dass sie Bürgerentscheide nicht ernst nimmt. Wer ständig die Bedeutung von Transparenz und Bürgerbeteiligung betont, dann aber genau entgegengesetzt handelt, macht sich unglaubwürdig.

Nach Gutsherrenart hat der Senat über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg entschieden. Dieses Vorgehen ist ignorant und kaltschnäuzig. Das gilt besonders, wenn man sich erinnert, wie es 2004 überhaupt zum Bürgerentscheid kam: Damals hatte die SPD den Entscheid zusammen mit der Wandsbeker CDU/Schill-Koalition selbst provoziert und sich Kompromissgesprächen verweigert. Damals scheiterte das Kalkül, das Anliegen der Bürgerinitiative mit Hilfe der mitgliederstarken Wohnungsbaugenossenschaften auszuhebeln.“

Hintergrund
Die Matthias-Strenge-Siedlung ist eine kleine genossenschaftliche Gartensiedlung, sie liegt in Poppenbüttel zwischen der Alten Landstraße und dem Poppenbüttler Weg. 2004 hatte eine Bürgerinitiative sich mit einem Bürgerentscheid gegen die Pläne der CDU/Schill-Koalition und SPD für einen Abriss gewehrt und erfolgreich für den Erhalt der Siedlungshäuser und der bestehenden Gartenhausstruktur gekämpft. Der Bürgerentscheid forderte den Bezirk auf, eine Erhaltungssatzung nach § 172 Baugesetzbuch zu erlassen. Die Umsetzung dieses Beschlusses hat der Bezirk Wandsbek allerdings nie ernsthaft betrieben.

Ein anderer Vorfall sorgte damals für Wirbel: Mit Hilfe der Adressverzeichnisse einiger Genossenschaften, die untereinander ausgetauscht wurden, erhielten tausende von Genossenschaftsmitgliedern unter Missachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen Briefe, in denen sie aufgefordert  wurden, gegen den Vorschlag der Bürgerinitiative und für den Vorschlag von CDU/Schill und SPD zu stimmen. Der Datenschutzbeauftragte wurde daraufhin tätig.
2012-08-07 SKA Duge Evokation Matthias-Strenge Siedlung
Pressemitteilung GAL-Bürgerschaftsfraktion

„Eine Ohrfeige für Bürger und Bezirk“

„Die Hamburger SPD hat sich die Bürgerbeteiligung auf die Fahnen geschrieben, doch ihr Senat sollte diesen Begriff lieber nicht mehr in den Mund nehmen“, so Manfred Brandt von Mehr Demokratie. Denn schon wieder setzt sich Hamburg über einen Bürgerentscheid hinweg: Obwohl es keine neuen Sachargumente gibt, soll die Matthias-Strenge-Siedlung, die bereits vor acht (!) Jahren durch das eindeutige Votum der Wandsbekerinnen und Wandsbeker  vor Abriss und Verdichtung geschützt werden sollte,  nun doch so umgestaltet werden, wie der Investor, die Schiffszimmerer-Genossenschaft (ADSG), sich das ursprünglich vorgestellt hatte. Brandt: „Wozu sitzen wir monatelang mit allen Rathausfraktionen zusammen und aktualisieren das Gesetz über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, wenn der Senat kurz darauf vorführt, wie wenig er auf den erklärten Willen der Bürgerinnen und Bürger gibt?“ Mehr Demokratie hält die aktuelle Evokation für  eine Machtdemonstration nach dem Motto „Erst aussitzen, dann missachten“. Die Entscheidung der Senatskommission für Stadtentwicklung sei eine Ohrfeige nicht nur für die Bürgerinitiative, sondern auch für die Bezirkspolitik. „Trotz aller Gespräche, die es ja auch gegeben hat, ist das Basta-Politik, mit der Bürgerbeteiligung zum Etikettenschwindel wird“, findet Brandt. „Und wenn der Investor nur bockig genug ist, kriegt er, was er will. Der Wohnungsbau ist heute in Hamburg das gleiche Totschlagargument, wie es vor zehn Jahren die Arbeitsplätze waren.“

Erst vor wenigen Monaten hatte der Senat den Bürgerentscheid zum Siedlungsprojekt Langenhorn 73 kassiert. Nun auch die Matthias-Strenge-Siedlung zum „gesamtstädtischen Interesse“ zu erklären, sei nicht akzeptabel, meint Mehr-Demokratie-Sprecher Brandt: „Der Senat mischt sich in relativ kleine Bauvorhaben ein, die eigentlich Sache des Bezirks wären. Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Bezirke echte kommunalpolitische Kompetenzen brauchen – selbst wenn dazu die Verfassung geändert werden muss. Und Bürgerentscheide dürfen nicht länger als unverbindliche Meinungsäußerungen missverstanden werden.“
Pressemitteilung Mehr Demokratie e.V.
PM_MD_ReformBuergerbegehren2012
Siehe auch: „Bürgerentscheide: Wer droht, hat nichts begriffen“ vom 23. Februar 2012 und „Reform der Bürgerbegehren gelungen“ vom 24. Januar 2012 sowie „Bürgerbegehren: Jetzt nicht vom Reformweg abgehen“ vom 6. Januar 2012 auf dieser Seite.

Bezirkskoalition setzt sich weiterhin für möglichst breiten Konsens ein

Die Auseinandersetzung um die zukünftige Entwicklung der Strenge-Siedlung in Poppenbüttel begleitet die politische Arbeit im Bezirk Wandsbek schon seit über zehn Jahren. Nach Auffassung der Politik und auch der Genossenschaft selbst, sollte auf dem Gebiet der Strenge-Siedlung bezahlbarer Wohnraum für Familien entstehen.

Nachdem ein Bürgerentscheid im Jahre 2004 und ein Mediationsverfahren im Jahre 2008 keine eindeutige Entscheidung hervorgebracht haben drängt die Fachbehörde nun auf eine Lösung des Problems. Acht Jahre nach dem Bürgerentscheid hält auch die Politik vor Ort es für nachvollziehbar, dass Genossenschaft und Behörden hier einen neuen Planungsanlauf nehmen wollen. Gleichzeitig muss es aber einen ernstgemeinten Dialog mit der Bürgerinitiative und den Anwohnern geben mit dem Ziel eines möglichst breiten Konsenses. Das war und ist das erklärte Ziel der Wandsbeker Regierungsfraktionen in der Bezirksversammlung und wurde so auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

„Wir bedauern, trotz erneuerter intensiver Gespräche, feststellen zu müssen, dass die Fronten zwischen Genossenschaft und Bürgerinitiative festgefahren sind“, erklärt Susanne Zechendorf, Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Bezirk Wandsbek und betont: „Wir erwarten, dass jetzt im Bemühen um eine Konfliktlösung die im Vertrag für Hamburg – Wohnungsbau (siehe unten, v.a. Punkte 6 und 7) vorgesehene Verfahrensweise  eingehalten wird.“

Anja Quast, die Vorsitzende der SPD-Bezirksfraktion: „Wir setzen uns auch weiterhin dafür ein, dass im Gespräch mit allen am Verfahren Beteiligten ein breiter Konsens über die zukünftige Gestaltung der Strenge-Siedlung gefunden wird. Andere strittige Bauprojekte in unserem Bezirk haben gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, auch in scheinbar festgefahrenen Situationen wieder eine Bewegung auf beiden Seiten zu erreichen.“
Pressemitteilung SPD und GAL-Bezirksfraktionen Wandsbek
vertrag-fuer-hamburg

Einmal Macht bitte…und zurück!

„Erst demonstriert die SPD mit der geplanten Evokation der Strenge Siedlung erneut die Arroganz der Macht einer Alleinregierung und verkündet den Vertretern der Strenge Siedlung sein Basta in Sachen Verhandeln sowie die Evokation des Bauverfahrens und dann ist kurz darauf aus der Behörde für Stadtentwicklung zu hören, dass von Evokation nie die Rede war.
Frei nach dem Motto: „Einmal Macht bitte – und zurück“ wird deutlich, dass die SPD dabei ist sich unglaubwürdig zu machen. Wer ständig die Fahne der Bürgerbeteiligung vor sich her trägt, sollte Bürgerbeteiligung und Bürgerentscheide ernst nehmen. Es kann nicht sein, dass nach Gutsherrenmanier eine Evokation verkündet wird, nur, weil die Verhandlungen vor vier Jahren nicht gelungen sind. Neue Fakten liegen jedenfalls nicht auf dem Tisch. Die Strenge Siedlung gehört mit seiner Größe auch nicht zu den Bauvorhaben ,die eine gesamtgesellschaftliche oder übergeordnete Bedeutung haben. Der Ausweg hier kann nur ein erneutes Verhandeln sein. Dann aber auch mit einem sichtbaren Bemühen seitens der Genossenschaft, die sich  in den Verhandlungen vor vier Jahren wenig kompromissbereit gezeigt hat.
Ich erwarte, dass sich mein Wahlkreiskollege und jetziger Fraktionsvorsitzender der SPD, Andreas Dressel, der in der Opposition noch die größte Fahne der Bürgerbeteiligung  vor sich her geschwungen hat, für den Weg der erneuten Verhandlungen bei seinem Senat einsetzt und eine Evokation ablehnt. Ansonsten verliert er hier im Wahlkreis jede Glaubwürdigkeit.“
Pressemitteilung GAL-Wahlkreisabgeordnete Alstertal/Walddörfer Chr. Blömeke

„Bürgerentscheide brauchen Quoren“

Der stadtentwicklungspolitische und verfassungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft  Dr. Kurt Duwe zu Bürgerbeteiligung und der Evokation des Poppenbütteler Bauprojekts Strenge-Siedlung durch den Senat:  „Bürgerentscheide brauchen Quoren, um die Durchsetzung von Partikularinteressen zu verhindern“

„Die SPD hat in der Bürgerschaft vor wenigen Monaten die Diskussion um das von der FDP geforderte 20-prozentige Beteiligungsquorum bei Bürgerentscheiden mit dem Hinweis vertagt, dass es dazu neuer Erkenntnisse bedürfe. Hier sind sie jetzt: Vertreter von Partikularinteressen haben zum Beispiel in der Poppenbütteler Strenge-Siedlung per Bürgerentscheid mit Minimalbeteiligung den dringend nötigen Wohnungsbau vorerst gestoppt. Jetzt evoziert der sozialdemokratische Senat den Vorgang, um das Projekt doch durchzusetzen und schafft so Frustration und Enttäuschung bei den Bewohnern der Siedlung.

Die FDP appelliert an die Sozialdemokraten: Verhindern Sie das in Zukunft, führen sie mit uns das 20-prozentige Beteiligungsquorum beim Bürgerentscheid ein. Dann werden solche Prozesse vermieden, die nur zu Politikverdrossenheit und Wahlabsenz führen.”
Pressemitteilung FDP-Bürgerschaftsfraktion

Grafik oben: Das „Mediationsergebnis“ von 2008 – Vorschlag der ADSG, soll jetzt als Grundlage für einen neuen Bebauungsplan dienen (anklicken zur Vergrößerung)

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