Stoffstrombilanz gestrichen: Natur- und Gewässerschutz in Gefahr
Hagenow: Abschaffung ist ökologisch unverantwortlich – so geht keine verursachergerechte Agrarpolitik
Heute hat die Bundesregierung die Stoffstrombilanzverordnung in einem ministeriellen Verfahren ersatzlos gestrichen – ein zentraler Baustein der bisherigen Düngepolitik, mit der die Belastung von Böden und Gewässern durch übermäßige Düngung reduziert werden sollten. Die Bundesregierung will damit ein Wahlversprechen einlösen, blendet dabei aber massive ökologische Folgen aus, kritisiert der NABU. Eine ersatzlose Abschaffung sendet ein völlig falsches Signal für Umwelt- und Gewässerschutz, betont NABU-Agrarexpertin Cäcilia von Hagenow.
„Die Abschaffung der Stoffstrombilanz ist ökologisch unverantwortlich. Statt ein wichtiges Instrument zur Kontrolle und Begrenzung von Nährstoffüberschüssen weiterzuentwickeln, wird es nun ersatzlos gestrichen – und das aus rein politischem Kalkül. Damit verschenkt die Bundesregierung eine zentrale Möglichkeit, Nährstoffüberschüsse wirksam zu begrenzen. Ambitionierte Betriebe, die sparsam düngen, werden weiterhin benachteiligt, während diejenigen, die überdüngen, auch künftig nicht zur Verantwortung gezogen werden. So geht keine verursachergerechte Agrarpolitik. Dieses Wahlversprechen geht an den realen Problemen in der Landwirtschaft und im Gewässerschutz komplett vorbei.“
Der NABU fordert stattdessen eine grundlegend neu aufgestellte Düngepolitik, die sowohl die ökologischen Herausforderungen ernst nimmt als auch landwirtschaftliche Betriebe mit echten Anreizen zu einer nachhaltigen Praxis befähigt. Dazu gehören eine verpflichtende, praxisnahe Nährstoffbilanzierung, eine bessere räumliche Steuerung von Tierhaltungsintensität sowie gezielte Anreize für Betriebe, die mit weniger Düngemitteln arbeiten. Potenzial für Entlastungen für die Landwirtschaft sieht der NABU hingegen bei der Erfassung von Daten, hier muss eine einmalige und benutzerfreundliche Angabe von Daten für verschiedenen Nutzen ermöglicht werden. Dies wäre der richtige Hebel für Bürokratieabbau nicht der Abbau von Umweltstandards.
Hintergrund: Düngepolitik in Deutschland
Deutschland verfehlt nach wie vor die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie und EU-Nitratrichtlinie. Laut aktuellem Nitratbericht wird an über einem Viertel der Messstellen der zulässige Grenzwert überschritten. Der Stickstoffüberschuss in der Landwirtschaft belastet Böden, Grundwasser und Gewässer – mit gravierenden Folgen für Mensch und Natur. Besonders nährstoffarme Lebensräume, wie artenreiche Blühwiesen, verschwinden zunehmend. Wegen Nichteinhaltung der Nitratrichtlinie, hatte die EU bereits 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet – erneute Strafzahlungen drohen, sollte sich die Situation nicht deutlich verbessern.
Pressemitteilung NABU
Deutsche Umwelthilfe kritisiert Kabinettsentscheidung, Nitratbelastungen schlechter zu regulieren: „Vorgehen und Ergebnis rechtswidrig“
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die Entscheidung des Kabinetts als rechtswidrig, auf dem verkürzten Weg einer Ministerverordnung die Stoffstrombilanz aufzuheben. Bundesagrarminister Alois Rainer umgeht damit Bundestag und Bundesrat und handelt im Widerspruch zur EU-Wasserrahmenrichtlinie.
Dazu sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner:
„Der neue Agrarminister Rainer macht der Agrarlobby kurz vor dem Bauerntag mit dieser Ministerverordnung ein folgenschweres Geschenk. Verursacher von Nitrateinträgen können sich jetzt noch leichter verstecken und aus der Verantwortung stehlen. Von der Abschaffung der Stoffstrombilanz profitiert vor allem die Massentierhaltung. Ohne Erfassung der betrieblichen Nährstoffe wird das Düngerecht hingegen noch weniger wirksam gegen Nitrat in unserem Grundwasser. Dabei wird in Deutschland der Grenzwert von 50 mg Nitrat je Liter bereits an rund 26 Prozent der Grundwassermessstellen überschritten, hauptsächlich wegen Überdüngung aus der Landwirtschaft. Die EU verlangt über die Wasserrahmenrichtlinie, die Wirksamkeit des deutschen Düngerechts mit Blick auf Nitrat zu verbessern. Die heutige Entscheidung für eine Verschlechterung ist deshalb rechtswidrig und wir werden sie bei unserer laufenden Klage gegen die Bundesregierung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster vorbringen.“
Hintergrund:
Die EU-Wasserrahmenrichtlinie, die EU-Nitratrichtlinie und die Trinkwasserrichtlinie fordern, an allen Grundwassermessstellen einen Nitratwert unter 50 Milligramm einzuhalten, weil mit höheren Nitratwerten im Wasser Gesundheitsgefahren und Umweltschäden einhergehen. Die Vorsorge zum Schutz des Grundwassers etwa mit Hilfe wirksamer Düngegesetze, der Reduktion von Tierbeständen in überdüngten Regionen und der Umstellung auf Ökolandbau ist für die Gesellschaft um ein Vielfaches kostengünstiger als die aufwändige Behandlung nitratverseuchter Gewässer für die Trinkwasseraufbereitung.
Pressemitteilung DUH
Greenpeace-Stellungnahme zur Stoffstrombilanzverordnung
Mit der Stoffstrombilanzverordnung soll morgen im Bundeskabinett eine wirksame Regelung abgeschafft werden, um Stickstoff- und Phosphorüberschüsse in der Landwirtschaft zu erfassen und zu reduzieren. Eine verursachergerechte Kontrolle der Umwelt- und Gesundheitsbelastung durch Überdüngung wird damit unmöglich, warnt Greenpeace-Landwirtschaftsexpertin Christiane Huxdorff:
“Im Eilverfahren ohne Beteiligung von Bundesrat und Bundestag will die Bundesregierung hier die Lobbyinteressen großer Agrarbetriebe gegen das Gemeinwohl durchsetzen. Unter dem Deckmäntelchen angeblichen Bürokratieabbaus sollen künftig die Verursacher von Überdüngung aus der Verantwortung entlassen werden, auch wenn sie Gewässer belasten, unsere Gesundheit gefährden und das Trinkwasser verteuern.
Die Empfehlungen der Wissenschaft sind eindeutig: Eine Bilanzierung der Nährstoffe in den Betrieben, bei der Zufuhren und Abfuhren von Stickstoff und Phosphor erfasst werden, ist das einzig sinnvolle Instrument, um Überschüsse zu identifizieren und zu begrenzen. Die Bundesregierung sollte das Düngerecht verlässlich, verursachergerecht und mit minimaler Bürokratie gestalten. Stattdessen schafft sie mit einer Gesetzgebung ohne Stoffstrombilanz nur Rechtsunsicherheit in der Landwirtschaft, riskiert neue EU-Vertragsverletzungsverfahren und sorgt dafür, dass die ohnehin erhöhte Belastung mit Nitrat und Phosphor weiter ansteigt.”
Pressemitteilung Greenpeace (23.6.)
Aufhebung der Stoffstrombilanz: Grund- und Trinkwasser brauchen mehr Schutz, nicht weniger
Zur geplanten Aufhebung der Stoffstrombilanz erklärt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):
„Die Qualität unseres Grund- und Trinkwassers ist durch steigende Nitratbelastungen gefährdet. Statt die notwendigen Schutzmaßnahmen zu stärken, droht die Bundesregierung mit der Streichung der Stoffstrombilanz und der Reduzierung der einzelbetrieblichen Verantwortung ein Rückschritt im Gewässerschutz. Das ist das falsche Signal – gerade jetzt braucht es ein nationales Düngerecht, das klare Verantwortlichkeiten schafft und Verursacher zu hoher Nitratüberschüssen in die Pflicht nimmt und gut arbeitende Betriebe von pauschalen Regelungen entlastet.
Wir fordern eine konsequente Neuausrichtung der Tierhaltung: weniger Tiere und besser verteilte Ställe. Für den Schutz unserer Wasserressourcen ist zusätzlich eine ambitionierte Reduktion des Pestizideinsatzes unverzichtbar. Besonders gefährliche Pestizide sollten umgehend verboten werden, um die negativen Auswirkungen auf unsere Ökosysteme zu begrenzen.
Die geplante Aufhebung der Stoffstrombilanz ohne parlamentarische Beteiligung wirft zudem rechtliche Fragen auf. Die mangelhafte Einbindung der Verbände – mit einer Frist zur Stellungnahme von weniger als zwei Werktagen – untergräbt notwendige demokratische Beteiligungsprozesse.“
Hintergrund:
Die Hauptursachen des hohen Nitrat-Eintrages in Grund- und Oberflächengewässer sind die konzentrierte Intensivtierhaltung sowie Überdüngung. In Deutschland gibt es weiterhin kein verursachergerechtes Düngerecht, der BUND fordert die neue Bundesregierung auf, das zuletzt im Bundesrat gescheiterte Düngegesetz schnellst möglich wieder in Angriff zu nehmen. Die geplante Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung ist aus BUND-Sicht der falsche Schritt. In der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) herrschte Konsens, dass es einzelbetriebliche Bilanzierung und verursachergerechte Regelungen braucht. Nun im Eilverfahren die Stoffstrombilanz aufzuheben, ohne gleichzeitig Alternativen auf den Weg zu bringen nutzt weder Umwelt noch Landwirtschaft
Pressemitteilung BUND (23.6.)