Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. November 2019 hat das Oberverwaltungsgericht die Freie und Hansestadt Hamburg verurteilt, den derzeit geltenden Luftreinhalteplan in der Fassung der 2. Fortschreibung vom 30. Juni 2017 unverzüglich fortzuschreiben (Az. 1 E 23/18, Pressemitteilung v. 5.12.2019). Den Beteiligten liegt nunmehr auch die schriftliche Urteilsbegründung zu dieser Entscheidung vor.
Die 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans vom 30. Juni 2017 diente der Umsetzung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 5. November 2014 (9 K 1280/13), mit dem die Stadt verpflichtet worden war, den seinerzeit gültigen Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 μg/m³ enthält. Zur Senkung der NO2-Belastung sieht der Luftreinhalteplan 10 gesamtstädtisch angelegte Maßnahmenpakete (u.a. Ausbau des ÖPNV, Förderung des Radverkehrs, Flottenmodernisierung Bus und Bahn) und mehrere lokale Einzelmaßnahmen vor. Als lokale Einzelmaßnahme legt der Luftreinhalteplan u.a. eine Durchfahrtsbeschränkung für Pkw und Lkw mit Dieselantrieb mit Ausnahme von Fahrzeugen der Abgasnorm 6/VI in der Max-Brauer-Allee bzw. nur für Lkw in der Stresemannstraße fest.
Von der Festsetzung weiterer Durchfahrtsbeschränkungen insbesondere in den Bereichen Habichtstraße sowie dem Straßenkomplex Högerdamm, Spalding- und Nordkanalstraße hat die Stadt dagegen abgesehen. Der derzeit gültige Luftreinhalteplan geht für diese Straßen von einer Einhaltung der NO2-Grenzwerte spätestens im Jahr 2025 aus. In der Habichtstraße lag die für das Jahr 2019 bis Oktober gemessene Stickstoffdioxidbelastung in der nach Auffassung des Gerichts maßgeblichen Messhöhe von 1,5 m bei durchschnittlich 49,1 μg/m³ sowie in den Jahren 2017 und 2018 im Jahresdurchschnitt bei 58 μg/m³ bzw. 55 μg/m³. Für den Straßenkomplex Högerdamm, Spalding- und Nordkanalstraße liegen keine Messungen vor. Nach dem Luftreinhalteplan ist für das Jahr 2020 eine durchschnittliche Stickstoffdioxidbelastung von 42,2 bis 45,1 μg/m³ für den Straßenkomplex Högerdamm, Spalding- und Nordkanalstraße sowie von 46,7 μg/m³ für die Habichtstraße prognostiziert.
Das Oberverwaltungsgericht hat nunmehr entschieden, dass die erneute Fortschreibung geboten ist. Aus den heute veröffentlichten Urteilsgründen geht hervor, dass das Gericht bei seiner Entscheidung aus prozessualen Gründen auf die Prüfung der Verpflichtung zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Straßenzüge Habichtstraße sowie Högerdamm, Spalding- und Nordkanalstraße beschränkt war. Es konnte die für seine Bewertung maßgeblichen Prognosen nicht selbst treffen, sondern hatte auf die dem Luftreinhalteplan zugrundeliegenden Prognosen und Gutachten zurückzugreifen. In der Sache hält das Oberverwaltungsgericht den Luftreinhalteplan für unzureichend, weil die bisher festgelegten Maßnahmen nicht sicherstellen, dass die NO2-Grenzwerte an den hier in Rede stehenden Straßen schnellstmöglich eingehalten werden. Insbesondere hat die Stadt rechtswidrig davon abgesehen, das nach den Prognosen des Luftreinhalteplans geeignetste Mittel zur Senkung der NO2‑Belastung, eine Durchfahrtsbeschränkung für Dieselfahrzeuge, festzusetzen. Angesichts des Umstands, dass nach einer fast 10-jährigen Übergangszeit der Immissionsgrenzwert seit dem 1. Januar 2010 zwingend einzuhalten ist, greifen die von der Stadt genannten Gründe für ein Absehen von Durchfahrtsbeschränkungen für ältere Dieselfahrzeuge nicht durch bzw. sind nicht hinreichend konkret dargelegt. Den nachteiligen Auswirkungen von durch Durchfahrtsbeschränkungen hervorgerufenen Verlagerungsverkehren ist primär durch entsprechende Gegenmaßnahmen bzw. zonale Durchfahrtsbeschränkungen zu begegnen.
Nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts muss die Stadt den Luftreinhalteplan unverzüglich fortschreiben. Bei der Fortschreibung wird sie sowohl streckenbezogene also auch zonale Durchfahrtsbeschränkungen für Dieselfahrzeuge in den Blick zu nehmen haben. Die Erforderlichkeit und Angemessenheit eines bestimmten Verkehrsverbots hängt allerdings von den Ergebnissen der von der Stadt im Zuge der Fortschreibung zu erstellenden Immissionsprognosen auf vollständig aktualisierter Datengrundlage und der Prüfung der verschiedenen Varianten denkbarer Verkehrsbeschränkungen ab. Die Stadt ist zudem verpflichtet, wegen der aus der Natur der Sache folgenden Unsicherheiten weitere Maßnahmen für den Fall festzusetzen, dass sich die Luftschadstoffwerte ungünstiger als im fortzuschreibenden Luftreinhalteplan prognostiziert entwickeln.
Das Gericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Die Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung dieses Urteils eingelegt werden.
Mehr Infos: http://justiz.hamburg.de/oberverwaltungsgericht/aktuelles
Pressemitteilung der Verwaltungsgerichte/Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Stickoxidbelastung: Gericht sieht weitere Durchfahrverbote als Mittel der Wahl
OVG Hamburg legt Urteilsbegründung vor / BUND fordert Maßnahmen statt weiteren Rechtsstreit
Das Oberverwaltungsgericht Hamburg (OVG) hat heute die schriftliche Begründung zum erfolgreichen Klageverfahren des BUND Hamburg zur Luftreinhaltung vorgelegt. Das Gericht hatte die Stadt Ende November 2019 verurteilt (Az. 1 E 23/18), einen neuen Luftreinhalteplan *unverzüglich“ zu erstellen und schnellstmöglich für die Einhaltung der Grenzwerte zu sorgen.
*Die Begründung des Gerichts stellt klar, dass die Stadt rechtswidrig Fahrverbote zum Beispiel an der Habichtstraße ausgeschlossen hat, um die Grenzwerte für Stickoxide einzuhalten. Das schafft Klarheit, jetzt muss die Stadt umgehend handeln, den Luftreinhalteplan überarbeiten und entsprechende Durchfahrverbote einführen“, so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg.
Der BUND Hamburg fordert, den gesamten Luftreinhalteplan umgehend zu überarbeiten. Das Gericht hat dafür maximal ein Jahr Zeit eingeräumt und legt eine komplette Überarbeitung, die sich nicht nur auf die vom BUND Hamburg beanstandeten Straßen Habichtstraße, Nordkanalstraße, Spaldingstraße und Högerdamm beschränkt, nahe. Nach zwei Verurteilungen gäbe es aus Sicht des Umweltverbandes keinen Spielraum und keine Ausreden mehr, die Fahrverbotskulisse für Dieselfahrzeuge auszuweiten. Dazu gehören zonale Fahrverboten, um entsprechende Ausweichverkehre auszuschließen. Diese zonalen Fahrverbote werden vom Gericht ausdrücklich als geeignetes Instrument zur Emissionssenkung benannt.
Das Gericht hat zudem klargestellt, dass der neue Luftreinhalteplan sogenannte Auffangmaßnahmen enthalten muss. Sollte sich abzeichnen, dass die prognostizierte Belastung nicht wie erhofft abnimmt, muss die Stadt mit diesen bereits festgelegten Auffangmaßnahmen umgehend nachsteuern. Das OVG Hamburg hat formal eine Revision zugelassen. Der BUND Hamburg fordert den Senat auf, dieses Rechtsmittel nicht auszuschöpfen. *Wir gehen davon aus, dass der Senat endlich die Sach- und Rechtslage akzeptiert und schnell für bessere Luft sorgt. Auch 2019 sind die Grenzwerte wieder überschritten worden. Die nächste Instanz anzurufen und auf Zeit zu spielen nutzt niemanden“, so Manfred Braasch.
Der BUND Hamburg wurde in der Klage von der Kanzlei Mohr Rechtsanwälte vertreten.
Pressemitteilung BUND HH
Luftqualität: Der positive Trend setzt sich fort
NO2-Belastung sank 2019 deutlich – OVG-Urteil wird sorgfältig bewertet
Die Werte für Stickstoffdioxid (NO2) in Hamburg sind im Langfristtrend weiter rückläufig – auch an den vier verkehrsnahen Messstationen. Diese Entwicklung bestätigen die jetzt ausgewerteten Jahresmittelwerte für 2019. Die heute versendete Begründung des OVG-Urteils vom 29. November verlangt eine Überarbeitung des Luftreinhalteplans an zwei Stellen. Dies muss jetzt zunächst sorgfältig ausgewertet und geprüft werden.
An der Habichtstraße lag demnach die vorläufige NO2-Konzentration 2019 bei 48 Mikrogramm je Kubikmeter Luft (µg/m³; Vorjahr: 55 µg/m³), an der Max-Brauer Allee bei 41 µg/m³ (Vorjahr 46 µg/m³) und an der Stresemannstraße bei 40 µg/m³ (Vorjahr 45 µg/m³). Der Wert an der Kieler Straße (43 µg/m³, Vorjahr 44 µg/m³) ist ebenso rückläufig.
2018 | 2019 | Zum Vorjahr | |
Habichtstraße | 55 µg/m³ | 48 µg/m³ | -14 % |
Kieler Straße | 44 µg/m³ | 43 µg/m³ | -3 % |
Max-Brauer-Allee | 46 µg/m³ | 41 µg/m³ | -11 % |
Stresemannstraße | 45 µg/m³ | 40 µg/m³ | -12 % |
Jens Kerstan, Umweltsenator: „Der Trend bei der Luftverschmutzung geht zurück, das zeigen uns auch die aktuellen Ergebnisse aus 2019. Diese erfreulich deutlichen Werte zeigen, dass der Luftreinhalteplan wirkt. Über eine Aufhebung der Diesel-Beschränkung an der Stresemannstraße können wir im Januar 2021 entscheiden, sofern die 2020er Werte weiter stabil rückläufig sind. Die Begründung des OVG-Urteils müssen wir jetzt sorgfältig auswerten und die Luftreinhalteplanung an den betroffenen Stellen aktualisieren.“
Neben den gesamtstädtisch wirkenden Maßnahmen des Luftreinhalteplans für Hamburg tragen auch die Dieseldurchfahrtsbeschränkungen an der Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße zu den deutlichen Reduktionen der NO2-Konzentrationen bei. In der Stresemannstraße konnte erstmals der Jahresmittelgrenzwert für Stickstoffdioxid von 40 µg/m³ eingehalten werden. An der verkehrsnahen Luftmessstation der Max-Brauer-Allee lag der vorläufige Jahresmittelwert nur noch ein Mikrogramm über dem Grenzwert.
Beim Thema Feinstaub gab es 2019 wie in den Vergangenen Jahren an keiner Messstation eine Überschreitung der EU-Grenzwerte.
In der Habichtstraße hat sich der Jahresmittelwert von 55 µg/m³ auf 48 µg/m³ reduziert, was einer Reduktion von 14% entspricht. Neben der Verkehrsdrosselung hat sich in diesem Bereich allerdings auch eine lange Baustellensituation auf die NO2-Konzentrationen in diesem Bereich ausgewirkt.
Der Positivtrend wird auch an den anderen Stationen des Luftmessnetzes deutlich, wo die NO2-Belastung nach den vorläufigen Auswertungen ebenfalls rückläufig ist. In Neugraben sank die NO2-Jahresmittelkonzentration beispielsweise sogar um -18 Prozent, auf der Veddel und an der Messstation Sternschanze sank die Konzentration um jeweils -9 bzw. ‑7 Prozent. Hier wurde der Jahresmittelgrenzwert deutlich unterschritten. An der hafennahen Luftmessstationen „Kleiner Glasbrook“ beträgt der vorläufige NO2-Jahresmittelwert wie im Vorjahr 31 µg/m³.
Zusätzlich zu den Luftqualitätsmessungen an den Messcontainern wird die lokale NO2-Konzentration in Hamburg mit Passivsammlern erfasst. Seit Juli 2019 wird zum Beispiel an den Ausweichrouten der Dieseldurchfahrtbeschränkungen gemessen. Die bisher vorliegenden Messergebnisse dieses Messprogrammes zeigen an allen Messstandorten eine Unterschreitung des kritischen Wertes von 40 µg/m³.
Pressemitteilung der Behörde für Umwelt und Energie