Verkehrsministerium plant zu viele Straßen

Verkehrsszenario von Greenpeace und T&E zeigt wie Verkehrspolitik Straßen entlasten kann
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) plant weit mehr zusätzliche Straßen als nötig. Dabei könnten schon Änderungen an nur 17 von 123 Annahmen in der aktuellen Verkehrsprognose des Verkehrsministeriums zu deutlich weniger Straßenverkehr führen. Dazu zählen unter anderem die anhaltende Nutzung von Homeoffice, eine Pkw-Maut und ein steigender CO2-Preis. Das zeigt ein neues Verkehrsszenario des Hamburger Prognos-Instituts im Auftrag von Greenpeace und Transport & Environment (T&E).

Während der Straßenverkehr in der bisherigen Prognose von Wissings Ministerium bis zur Mitte des Jahrhunderts kontinuierlich zunimmt und 2051 um 6,8 Prozent über dem Wert von 2019 liegt, nimmt die Fahrleistung auf der Straße im alternativen Szenario im gleichen Zeitraum um 22 Prozent ab. Eine Entlastung des vorhandenen Straßennetzes ließe den Bedarf weiterer Bundesfernstraßen hinfällig werden. Der CO2-Ausstoß im Verkehr würde sinken, Natur vor weiterem Straßenbau geschützt.

„Volker Wissing fehlt jeder Gestaltungswille bei der Straßenplanung“, sagte Marissa Reiserer, Mobilitätsexpertin von Greenpeace. „Mit seinen Prognosen schreibt der Verkehrsminister den klimaschädlichen Status quo einfach fort. Dabei entlastet ein Stopp der Aus- und Neubauprojekte das Klima und den Bundeshaushalt. Es braucht keinen zusätzlichen Meter Autobahn, sondern einen Verkehrsminister mit dem Willen zur politischen Veränderung.“ Alleine im Haushaltsentwurf 2024 sind für den Neu- und Ausbau von Autobahnen 2,3 Milliarden vorgesehen. Bis 2035 würde ein Festhalten am Bau der priorisierten Straßenprojekte des Bundesverkehrswegeplans 153 Milliarden kosten.

Alternative Verkehrsprognose kommt mit deutlich weniger LKW-Verkehr aus

Das vorliegende Szenario zeigt, wie eine Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen oder eine Pkw-Maut den Personenverkehr von der Straße deutlich auf die Schiene verlagern. Auch beim Güterverkehr können ambitionierte Maßnahmen wie die Beseitigung des Dieselprivilegs oder ein höherer CO2-Preis die Straßen deutlich entlasten. Während das Verkehrsministerium bislang von einer massiv wachsenden Zahl an LKWs bis zum Jahr 2051 ausgeht (Straßengüterverkehr +54 Prozent), lenkt das alternative Modell den wachsenden Güterverkehr überwiegend auf die Schiene.

„Dass der Verkehr hierzulande immer weiter ansteigt, ist eine politische Entscheidung von Volker Wissing – keine wissenschaftliche Selbstverständlichkeit”, sagt Benedikt Heyl, Datenanalyst von T&E. „Das Verkehrsministerium ist dafür zuständig, unser Verkehrssystem an die heutige Zeit anzupassen und auf die Zukunft vorzubereiten. Ein erstrebenswertes Zielszenario auszuarbeiten wäre der erste Schritt.“ Als Verkehrsminister muss Volker Wissing regelmäßig prüfen, ob die Straßenpläne des Bunds an die Verkehrsentwicklung anzupassen sind. Diese Überprüfung ist seit zwei Jahren überfällig und soll nun in den kommenden Monaten veröffentlicht werden.

Pressemitteilung Greenpeace


Gutachten widerspricht Verkehrsprognose von Verkehrsminister Wissing – VCD fordert Investitionen in Bus und Bahn statt in Straßen

Das Institut Prognos hat im Auftrag von Greenpeace und T&E ein Gutachten zur künftigen Entwicklung des Verkehrs in Deutschland erstellt. Es kommt in zentralen Punkten zu deutlich anderen Ergebnissen als die im März 2023 veröffentlichte Prognose des Verkehrsministeriums. Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs VCD, kommentiert.

„Das Verkehrsministerium ging in seiner Prognose letztes Jahr von einem weiteren Wachstum auf der Straße aus – die Gutachter von Prognos kommen zu völlig anderen Ergebnissen. Zudem kritisieren sie einige Prämissen der letztjährigen Prognose und stellen einzelne sogar ganz in Frage: Das Ministerium orientiere sich zu sehr am Status Quo und zementiere damit Fehlentwicklungen. Wer nur wenige Annahmen ändere, könne mithilfe gezielter Maßnahmen das Wachstum von Auto- und Güterverkehr bremsen; große Teile könnten auf die Schiene, den ÖPNV und das Fahrrad verlagert werden.

Für den VCD ist klar: Wenn Herr Minister Wissing auf Basis seiner eigenen Prognose mehr Autobahnen fordert, dann ist das so unnötig wie verkehrs- und klimapolitisch falsch. Wir fordern ihn und seine Fachleute auf, das Prognos-Gutachten gründlich zu lesen – und es dann zum Anlass zu nehmen, die laufende Bedarfs-Überprüfung für Schiene, Straße und Wasserstraße zu überdenken. Statt weiterhin Milliarden Euro in den Asphalt der Autobahnen und Bundesstraßen zu versenken, sollte er überflüssige Projekte streichen. Das Geld muss stattdessen in die Sanierung der Schienen-Infrastruktur und in den Ausbau von Bus, Bahn und Radwegen fließen. Eine überfällige Maßnahme – gerade vor dem Hintergrund der geplanten Haushalts-Kürzungen, die nach dem Willen von Finanzminister Lindner vor allem den umweltschonenden Verkehr treffen sollen.

Mit etwas Gestaltungswillen kann Minister Wissing so auch endlich den Verkehr auf Klimakurs bringen und den im Koalitionsvertrag vereinbarten Zielen gerecht werden: Mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern und der Vision Zero, also null Verkehrstoten, näherzukommen.“

Der ökologische Verkehrsclub VCD ist ein gemeinnütziger Umweltverband, der sich für eine umweltverträgliche, sichere und gesunde Mobilität einsetzt. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Wünschen für ein mobiles Leben. Seit 1986 kämpft der VCD für ein gerechtes und zukunftsfähiges Miteinander aller Menschen auf der Straße – egal, ob sie zu Fuß, auf dem Rad, mit Bus und Bahn oder dem Auto unterwegs sind. Dafür arbeitet er vor Ort mit zwölf Landesverbänden und rund 140 Kreisverbänden und Ortsgruppen, bundesweit und europaweit vernetzt. Rund 55.000 Mitglieder, Spender und Aktivistinnen unterstützen die Arbeit des VCD für eine zukunftsfähige Mobilität.

Pressemitteilung VCD

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