Entscheidung zum Volksbegehren „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“ (HVerfG 4/22)
Nach dem heutigen Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts darf das Volksbegehren „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“ nicht durchgeführt werden. Der Entscheidung des Gerichts zufolge ist die Vorlage der Volksinitiative mit höherrangigem Recht nicht vereinbar.
Das Begehren sei darauf gerichtet, die Ausweisung neuer Baugebiete auf größeren Grün- und Landwirtschaftsflächen in Hamburg und damit bestimmte Festsetzungen in Bebauungsplänen generell auszuschließen. Das sei mit Bundesrecht nicht in Einklang zu bringen, denn danach müsse bei der Bauleitplanung eine gerechte Abwägung aller privaten und öffentlichen Belange stattfinden. Die Umsetzung der Vorlage würde demgegenüber unter Ausschluss dieser Abwägung bedeuten, dem Erhalt von Grün- und Landwirtschaftsflächen in Hamburg unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen einzuräumen.
Auf Antrag des Senats hatte das Verfassungsgericht über die Durchführung des Volksbegehrens zu entscheiden. Dessen Grundlage ist die Volksinitiative „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“, die ab September 2021 Unterschriften für eine Vorlage gesammelt hat, nach der „Senat und Bürgerschaft … unverzüglich alle notwendigen Schritte [unternehmen], damit in großflächigen Grün- und Landwirtschaftsflächen in Hamburg keine neuen Baugebiete durch Bebauungspläne ausgewiesen werden.“ Die Initiative kam Ende 2021 mit den Unterschriften von mehr als 10.000 Wahlberechtigten zustande. Die Hamburgische Bürgerschaft, die sich mit dem Anliegen anschließend zu befassen hatte, verabschiedete keinen der Vorlage entsprechenden Beschluss. Die Initiatoren und Initiatorinnen beantragten im Mai 2022, ein Volksbegehren durchzuführen, woraufhin der Senat das Hamburgische Verfassungsgericht mit dem Feststellungsziel angerufen hat, dass das Volksbegehren nicht durchzuführen sei.
Nach der heutigen Entscheidung des Verfassungsgerichts ist die Vorlage der Volksinitiative mit den bundesrechtlichen Vorgaben für die Bauleitplanung in den Ländern nicht in Einklang zu bringen. Diese Vorgaben seien als sonstiges höherrangiges Recht in die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Vorlage einzubeziehen. Nach dem Baugesetzbuch sind für die Bauleitplanung bestimmte Instrumente und Verfahren für die Plangeber in den Bundesländern zwingend vorgeschrieben. Dazu gehört das sog. Abwägungsgebot, nach dem bei der Aufstellung von Bauleitplänen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind. Hiervon umfasst sind beispielsweise die Wohnbedürfnisse und die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, Belange des Umwelt- und Naturschutzes, der Wirtschaft, der Verkehrsanbindung und der Infrastruktur.
Nach Auffassung des Gerichts stellt sich das Ziel der Vorlage, die Ausweisung neuer Baugebiete für bestimmte Flächen generell auszuschließen, als Vorabfestlegung späterer Bauleitplanung und damit als eine Vorwegnahme bebauungsplanerischer Entscheidungen über die Nichtfestsetzungen von Baugebieten in den betroffenen Bereichen dar. Anders als die Initiative geltend mache, beschränke die Vorlage sich nicht auf die Entscheidung, einen bestimmten Bebauungsplan nicht aufzustellen, da sie nicht jegliches, sondern nur ein bestimmtes bebauungsplanerisches Tätigwerden ausschließe. Von einem bloßen städtebaulichen Konzept unterscheide die Vorlage sich wegen der von ihr bezweckten Verbindlichkeit für die künftige Bebauungsplanung im Hamburger Stadtgebiet. Denn anders als von der Vorlage beabsichtigt, wäre ein städtebauliches Konzept lediglich ein abwägungsrelevanter Belang unter vielen, würde aber keine strikte Bindung für spätere Planverfahren entfalten.
Begreife man den Gegenstand der Vorlage als eine teilweise vorweggenommene Entscheidung für die Bauleitplanung, werde sie den Anforderungen des Abwägungsgebots nicht gerecht. Sie erfasse eine Vielzahl unterschiedlicher, im Wesentlichen abstrakt bestimmter Flächen im gesamten Hamburger Stadtgebiet und schließe für diese im Rahmen jedweder künftiger Bebauungsplanung mögliche Festsetzungen aus, obwohl die jeweils maßgeblichen Belange im Einzelnen noch gar nicht bekannt seien und auch gar nicht bekannt sein könnten.
Das Hamburgische Verfassungsgericht ist Verfassungsorgan neben Bürgerschaft und Senat. Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet es in Artikel 65 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (HV). Als höchstes Gericht der Freien und Hansestadt Hamburg ist es zuständig insbesondere für die in Art. 65 HV benannten Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen, für Entscheidungen über die Vereinbarkeit von Landesgesetzen und -rechtsverordnungen mit der Hamburgischen Verfassung, für Beschwerden gegen die Gültigkeit von Wahlen zu Bürgerschaft und Bezirksversammlungen sowie für Streitigkeiten über die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden.
Das Hamburgische Verfassungsgericht besteht aus der Präsidentin Birgit Voßkühler und acht Verfassungsrichterinnen bzw. -richtern. Die Bürgerschaft wählt die Mitglieder des Verfassungsgerichts auf sechs Jahre.
Nähere Informationen auf der Homepage des Hamburgischen Verfassungsgerichts: https://www.hamburgisches-verfassungsgericht.de.
Pressemitteilung Hanseatisches Oberlandesgericht
Entscheidung zum Volksbegehren
Lorenzen: „Netto-Null-Versiegelung ist unser ausdrückliches Ziel“
Am heutigen Freitag hat das Hamburgische Verfassungsgericht über die Durchführung des Volksbegehrens „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“ entschieden. Demnach ist die Vorlage der Volksinitiative nicht mit höherrangigem Recht vereinbar und in der Folge unzulässig. Hauptforderung der Initiative war es, alle Flächen, die als Gehölz, Wald oder Landwirtschaft sowie Sport-, Freizeit- oder Erholungsflächen ausgewiesen und einzeln oder im Verbund größer als einen Hektar sind, von der Bebauung und Versiegelung auszuschließen. Die Grüne Fraktion Hamburg verweist vor dem Hintergrund dieser Gerichtsentscheidung auf eine bereits 2019 erzielte Einigung mit einer Volksinitiative des NABU: Unter dem Titel „Vertrag für Hamburgs Stadtgrün“ wurde damals festgelegt, die bauliche Verdichtung der Hansestadt mit einer Verbesserung der Naturqualität und einem Erhalt von Grünflächen zu verknüpfen. Ebenso wurde als Ziel verankert, mindestens zehn Prozent der Landesfläche unter Naturschutz zu stellen.
Dazu Dominik Lorenzen, Vorsitzender der Grünen Fraktion Hamburg: „Aufgrund der Gesetzeslage ist es folgerichtig, dass der Vorschlag der Initiative nicht in der aktuellen Form zur Abstimmung kommt. In seiner Starrheit konnte er die Notwendigkeiten von Entsiegelung und Wohnungsbau, die es in unserer Stadt gibt, nicht vereinbaren. Klar ist für uns Grüne: Wir brauchen beides – die Klimakrise erfordert einerseits mehr Grün und Versickerungsmöglichkeiten, anderseits suchen viele Hamburger*innen bezahlbaren Wohnraum und eine Bleibe für sich und ihre Familien. Mit Blick auf diesen Zielkonflikt war das angemeldete Volksbegehren zu einseitig. Dennoch bedanken wir uns bei der Initiative für das Aufwerfen einer wichtigen Fragestellung, an deren Beantwortung wir als Stadt allerdings bereits arbeiten. Die 2019 mit dem NABU geschlossene Einigung ‚Vertrag für Hamburgs Stadtgrün‘ ist hierfür eine wichtige Grundlage, die ambitionierte Ziele hat und zugleich auf stadtentwicklungspolitische Notwendigkeiten Rücksicht nimmt. Das Erreichen einer Netto-Null-Versiegelung in Hamburg sowie eine stetige Aufwertung von Grün- und Naturflächen ist ausdrücklich das Ziel der Grünen Fraktion, auf das wir auch jetzt weiter konsequent hinarbeiten werden.“
Pressemitteilung Grüne Bürgerschaftsfraktion
Volksbegehren rechtswidrig: „Hamburg behält seine Handlungsfähigkeit“
Das Hamburgische Verfassungsgericht hat heute die Rechtswidrigkeit des Volksbegehrens „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“ festgestellt. Das Gericht verwies darauf, dass der Gegenstand der Volksinitiative nicht mit Bundesrecht vereinbar sei.
Dazu Dirk Kienscherf, Vorsitzender der SPD-Fraktion Hamburg: „Es ist gut, dass es mit der heutigen Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichtes Klarheit gibt. Das Gericht stützt mit seinem Urteil die Einschätzung, dass die Volksinitiative gegen höherrangiges Recht verstößt und mit verpflichtenden Abwägungen in der Bauleitplanung nicht vereinbar gewesen wäre. Hamburg behält damit weiterhin seine Handlungsfähigkeit im Sinne einer mit dem NABU 2019 vereinbarten nachhaltigen Stadtentwicklung. Der mit dem NABU verhandelte Vertrag für Hamburgs Stadtgrün ist eine umfassende und bundesweit einmalige Vereinbarung: Sie ermöglicht nicht nur die Förderung und den Erhalt von Hamburgs Stadtgrün, sondern zugleich auch eine soziale und wirtschaftliche Weiterentwicklung unserer Stadt.“
Hintergrund
Das Volksbegehren „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“ hatte sich dafür eingesetzt, die Ausweisung neuer Baugebiete auf größeren Grün- und Landwirtschaftsflächen in Hamburg generell auszuschließen. Das Gericht hat nun festgestellt, dass dies unvereinbar mit höherrangigem Recht ist, denn es müsse bei der Bauleitplanung eine gerechte Abwägung aller privaten und öffentlichen Belange stattfinden.
Pressemitteilung SPD Bürgerschaftsfraktion
Foto: Bleibt dann wohl weiter Bauerwartungsland: Landschaftsschutzgebiet in Hamburg