Weniger Antibiotika – gemeinsame Strategie

Jährlich werden in Hamburg über 560.000 Rezepte für Antibiotika ausgestellt. Durch einen zu häufigen und unnötigen Einsatz des Medikaments erhöht sich das Risiko von Resistenzen. Wenn die „Lebensretter“ jedoch nicht mehr wirken, können harmlose Verletzungen, Standardoperationen und Infektionen zum Tode führen.

 

Nach Schätzungen sterben in Deutschland jährlich 10.000 bis 15.000 Menschen an den Folgen einer Infektion mit multiresistenten Keimen. Deshalb haben sich die Mitglieder der Hamburger Landeskonferenz zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung ein Jahr lang sektorenübergreifend mit dem Thema befasst. Im Ergebnis einigten sich u.a. die Gesundheitsbehörde, Krankenkassen, Ärzte-, Zahnärzte- und Psychotherapeuten-kammer, die Krankenhausgesellschaft, Apotheker und Patientenvertreter auf eine gemeinsame Strategie und Öffentlichkeitskampagne zur Eindämmung des Antibiotikaverbrauchs.

„Ich freue mich sehr, dass es in Hamburg gelungen ist, alle wesentlichen Akteure im Gesundheitswesen für diese wichtige Initiative zu gewinnen“, so Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks. „Einst als Wunderwaffe gegen Infektionen entwickelt, drohen Antibiotika durch unsachgemäßen Gebrauch ihre Wirksamkeit zu verlieren. Außerdem hat auch jedes wirkungslose Medikament seine Nebenwirkung und seinen Preis. Wir alle können – auch als Patientinnen und Patienten – dazu beitragen, dass Antibiotika nur dann eingesetzt werden, wenn sie wirklich helfen.“

Mit der gemeinsamen Strategie verpflichten sich die Akteure des Gesundheitswesens in Hamburg zu Maßnahmen in fünf Handlungsfeldern, um unnötige Antibiotikaverordnungen zu verringern und die Resistenzlage zu verbessern. Ein wichtiges Element ist die Aufklärungskampagne „Antibiotika gezielt einsetzen“, die sich an die Bevölkerung richtet und auf die Risiken von unsachgemäßem und unbegründetem Antibiotikagebrauch aufmerksam macht. Patientinnen und Patienten werden darüber aufgeklärt, dass z.B. bei 90 Prozent der Atemwegserkrankungen Antibiotika nicht helfen, weil sie durch Viren ausgelöst wurden, Antibiotika aber nur gegen Bakterien wirksam sind. Man sollte den Arzt also nicht zu einer unwirksamen Verordnung drängen. Ist ein Antibiotikum aber notwendig, dann sollte es auch bis zum Schluss der Behandlung eingenommen und nicht beim ersten Anzeichen einer Besserung abgesetzt werden. Übriggebliebene Antibiotika sollten nicht im häuslichen Medizinschrank verwahrt und nach eigener Verordnung eingenommen, sondern in den Restmüll gegeben werden.

„Wir müssen jetzt gemeinsam entschlossen handeln, um die Wirksamkeit von Antibiotika zu  bewahren“,  so Matthias Mohrmann,  Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg, für die gesetzlichen Krankenkassen. „Die Gesamtstrategie – getragen von Politik und Gesundheitswesen – umfasst die Senkung des Verbrauchs ebenso wie eine verbesserte Aufklärung der Bevölkerung durch Arztpraxen und Apotheken. Sehr gute Erfahrungen gibt es dabei in der Zusammenarbeit mit Arztnetzen, die Routinedaten der gesetzlichen Krankenkassen für Qualitätsberichte zu ihrer Antibiotika-Verschreibungspraxis nutzen.“

Gezielt an die Gesundheitsberufe richten sich andere Maßnahmen, um die Kenntnisse des Fachpersonals auf einen aktuellen Stand zu bringen und diese für den richtigen Einsatz von Antibiotika zu sensibilisieren. So sollen Ärzte dafür gewonnen werden, verstärkt einen Schnelltest zur Unterscheidung von viralen und bakteriellen Infektionen einzusetzen, der ab 1. Juli 2018 von allen gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Auch die gezielte Auswahl des richtigen Antibiotikums wird damit unterstützt. Zu häufig werden gleich Breitbandantibiotika eingesetzt, wodurch die Resistenzentwicklung gefördert wird.

Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg plant im Rahmen der Kampagne u.a. ihre Pharmakotherapie-Beratung für ihre Mitglieder zu deren individuellen Antibiotika-Verordnungen zu intensivieren sowie ein regelmäßiges Feedback ihrer Antibiotikaverordnungen für relevante Arztgruppen einzuführen. Auch wurde mit einer eigens eingerichteten Homepage eine Informationsplattform für die Gesundheits- und Pflegeberufe geschaffen. „Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg hat bereits in den vergangenen Jahren das Problem erkannt und mit der Etablierung des Bündnisses für gezielte Antibiotikatherapie, einer Patienteninformation und Fortbildungsmaßnahmen für unsere Mitglieder erste Erfolge erzielt“, sagt Dr. Andreas Walter, Abteilungsleiter Praxisberatung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. „Die vor einigen Jahren erreichten Ergebnisse können durch die jetzt beschlossenen Maßnahmen verstetigt werden. Sie sehen vor, dass neben den Ärzten auch die Patienten in die Pflicht genommen werden. Insofern begrüßen wir die Initiative ausdrücklich.“

Auch bereits bestehende Maßnahmen im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung sollen fortgesetzt, intensiviert und ergänzt werden. So soll das Thema Antibiotika in der Fort- und Weiterbildung durch die Ärzte-/Zahnärzte- sowie die Apothekerkammer regelhaft in anderen thematisch passenden Fortbildungen vorgesehen und die interdisziplinäre Fortbildung dazu ausgebaut werden. „Bereits jetzt ist das bestehende Angebot an Fortbildung in Hamburg zu diesem Thema sehr gut. Mit der Kampagne wird sich die Situation weiter verbessern, dass Ärztinnen und Ärzte ihren Patienten Antibiotika nur dann verordnen, wenn es notwendig ist“, so Christine Neumann-Grutzeck, Vorstandmitglied der Ärztekammer Hamburg. Die Aufklärung für Patientinnen und Patienten sei ebenfalls ein wichtiger Baustein.

Darüber hinaus soll der Austausch zwischen verschiedenen Berufsgruppen gefördert werden. Dabei soll beispielsweise auf dem bereits bestehenden „Bündnis für gezielte Antibiotikatherapie“ und dem MRE-Netzwerk Hamburg aufgebaut sowie die interdisziplinäre Vernetzung von Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Pflegeeinrichtungen mit gemeinsamen Veranstaltungen gestärkt werden.

Zur Beobachtung der weiteren Entwicklung in Hamburg haben sich die Beteiligten außerdem zu regelmäßigen, ggf. punktuellen Aktualisierungen der Datenlieferungen durch die Krankenkassen und Auswertung der Antibiotika-Datenanalyse durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK Nord) bereit erklärt. Durch dieses Monitoring soll der Erfolg der Kampagne überprüft und gegebenenfalls nachgesteuert werden.

„Ich hoffe, dass wir mit unserer Strategie den Antibiotikaverbrauch deutlich verringern können. Wenn wir immer mit ,Kanonen auf Spatzen‘ schießen, werden wir irgendwann keine wirksame Waffe mehr gegen Infektionen haben“, so Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks.

Für jeden sichtbar wird die Kampagne ab sofort durch Plakate in S- und U-Bahnen, Litfaßsäulen, den Stadtinformationsanlagen und durch kostenfreie Postkarten beworben. Zudem werden auch Hamburger Arztpraxen und Apotheken durch rund 16.000 Abreißblocks in der Information der Patientinnen und Patienten unterstützt. Diese Blocks helfen mit ihren mehrsprachigen Informationen in den Praxen auf einfache Art und Weise, wenn von Patientinnen und Patienten ein Antibiotikum verlangt, aber dieses nicht indiziert ist. Hinzu kommen spezielle Blätter für Apotheken, die individuelle Einnahmehinweise enthalten und zusammen mit dem verordneten Medikament ausgegeben werden können.

Hamburg liegt im Vergleich der Bundesländer bei den Antibiotika-Verordnungen im Mittelfeld. Antibiotika werden in den alten Bundesländern deutlich öfter verordnet als in den neuen, Frauen erhalten die Medikamente öfter als Männer. Auch innerhalb Hamburgs gibt es regionale Unterschiede, die noch weiter analysiert werden. Über 40 Prozent der Rezepte werden für Reserve-Antibiotika ausgestellt, die eigentlich nur im Ausnahmefall zum Einsatz kommen sollten.

Unter www.hamburg.de/antibiotika-gezielt stehen die Merkblätter, Kampagnenmotive und weiterführende Links, auch mit Informationen für Gesundheitsberufe, bereit.

Pressemitteilung der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz

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