Zukunft der Mobilität: Autos raus, Leben rein!

ITS-Kongress steht für Mobilität von gestern
Mitte Oktober findet der 27. ITS-Weltkongress in Hamburg statt – nach der IAA in München eine weitere PR-Show der Autoindustrie, kritisiert der Fahrradclub ADFC.

 

Vom 11. bis 15. Oktober 2021 lädt die Stadt Hamburg, die Firma ERTICO – ITS Europe und das Bundesverkehrsministerium (BMVI) zum 27. Weltkongress für „Intelligent Transport Systems“ (ITS) in Hamburg ein, laut Eigenwerbung eine „internationale Branchenplattform rund um intelligente Mobilität und vernetzten Verkehr von morgen“.

Automatisiert fahrende Autos, die digitale Vernetzung der Verkehrsarten und die Mobilität als privater Service der Auto- und Digitalkonzerne seien – anders als es die Strategie des Hamburger Senats zu diesen sogenannten Intelligenten Transportsystemen (ITS-Strategie) verheißt – das Gegenteil einer menschen- und umweltgerechten Mobilitätswende, kritisiert Tom Jakobi vom Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Hamburg. „Die Hamburger*innen erleben es schon jetzt beim Fahrdienst MOIA, der Vorhut für die autonomen Shuttles und privaten Wohnmobile von Volkswagen: Diese Strategien werden zu einer weiteren Verdichtung des Verkehrs führen und dieser Verkehr wird aus noch schwereren Fahrzeugen bestehen.“ Mit MOIA bekommt VW einen Brückenkopf für sein Kerngeschäft: den Verkauf, das Leasing und den Verleih von privaten Autos.

Statt auf automatisierte Autos zu setzen, könne Hamburg viel schneller zur Vorreiterin bei intelligenten, zukunftsfähigen Mobilitätslösungen in Deutschland werden, wenn die Stadt die bereits vorhandenen und bewährten Verkehrstechnologien und die gesetzlichen Möglichkeiten nutzen würde. Jakobi: „Wer zum Beispiel im Sinne der Vision Zero Abbiegeunfälle durch rechtsabbiegende Kfz oder Unfälle durch überhöhte Geschwindigkeiten verhindern will, muss nicht auf die Abschaffung des Lenkrads warten.“ Mehr Sicherheit wäre bereits jetzt durch eine einfache Verknüpfung der Motorendrosselung mit einem Navigationsgerät möglich. „Die Berücksichtigung des technisch Möglichen bei der Gesetzgebung wird aber von der Autolobby und ihrem politischen Personal seit vielen Jahre aktiv verhindert.“

Die Pläne des Senats, Hamburg bis zum Jahr 2030 für den Betrieb von vollautomatisiert fahrenden Fahrzeugen zu rüsten, seien dagegen ein schwer kalkulierbares Risiko hinsichtlich der Verkehrssicherheit, der Cybersicherheit und des Datenschutzes und stehen dem Ziel im Weg, Straßenraum für die Menschen zurückzugewinnen. Der Senat verschenke Hamburgs öffentlichen Raum als „Reallabor für Roboterautos“ an seine Mobilitätspartner aus der privaten Automobil- und IT-Wirtschaft, ohne die Einhaltung von Transparenz und Partizipation der Bürger*innen bei der Entwicklung der Systeme als Gegenleistung einzufordern.

„Der öffentliche Raum muss den Menschen in der Stadt zurückgegeben werden, indem Hamburg klimaschonender, ressourcensparender Mobilität und der Verkehrssicherheit Priorität bei der Verkehrsplanung einräumt“, fordert Jakobi. Straßen im Stadtgebiet müssten sukzessive für Kraftfahrzeuge ohne Assistenzsysteme gesperrt und die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten von Autos und Leichtfahrzeugen wie Elektroroller, Leichtkrafträder und S-Pedelecs angepasst werden, um die Verkehrssicherheit und den Anreiz für Pendler*innen zu erhöhen, auf klimafreundliche Verkehrsmittel wie das Fahrrad umzusteigen. „Die Einführung von verkehrsberuhigten, von privatem Autoverkehr befreiten Verkehrssicherheitszonen darf nicht mit dem Verweis auf eine ferne Zukunft des vollautonomen Verkehrs verschoben werden“, so Jakobi. „Die Experimentierklausel der Straßenverkehrsordnung und die verfügbaren Technologien erlauben es dem Senat schon jetzt, geeignete Maßnahmen für eine menschen- und umweltfreundliche Mobilitätswende umzusetzen.“ Wenn Hamburg zur Modellstadt für nachhaltige Mobilität werden will, müsse die Stadt Leichtfahrzeuge wie S-Pedelecs, E-Lastenräder und E-Velomobile massiv fördern, etwa durch eine Standardisierungs-Initiative bei den Wechsel-Akkumulatoren und den Aufbau eines Netzes von Akku-Tauschstationen. Die Förderung von Speed-Pedelecs im Straßenraum durch eine Anpassung der Geschwindigkeiten mit Tempolimits für Autos wird unmittelbar zu einer Entlastung der stellenweise bereits heute gefährlich überlasteten Radverkehrsinfrastruktur führen.

Jakobi: „Wie auf der IAA drehen sich die meisten Projekte des ITS-Kongresses ums Auto und um die Vorbereitung einer fahrerlosen Mobilität mit schweren und leistungsstarken Roboterautos für eine zahlungskräftige Minderheit. Hamburg und die Mobilitätswende brauchen aber keine Autos ohne Menschen, sondern mehr Menschen ohne Autos!“

ITS-Strategie und -Weltkongress
In seiner im April 2016 beschlossenen ITS-Strategie stellt der Hamburger Senat die Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr an oberste Stelle, neben der Reduzierung von Umwelteinflüssen, Effizienz des Gesamtsystems, guten und sicheren Informationsverteilung sowie Innovationsförderung. Der Senat glaubt, „nur unter Einsatz von modernsten Technologien und breit gefächertem Know-how“ das Ziel, „Mobilität in Hamburg für die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger zugänglich, sicherer, effizienter und leiser zu gestalten“, erreichen zu können. Aus den 172 ITS-Projekten, an denen jeweils mindestens „eine städtische Partnerinstitution“ beteiligt ist, wählte der Senat 42 sogenannte Ankerprojekte aus, die auf dem ITS-Weltkrongress im Oktober 2021 präsentiert werden. Darunter sieben Projekte zum automatisierten und vernetzten Fahren: HEAT (Testbetrieb von autonomen Kleinbussen), Medifly Hamburg (flugzeugtechnische Dienstleistungen), die Teststrecke Automatisiertes Vernetztes Fahren (AVF) in der Innenstadt Hamburg, TABULA-LOG (Personen- und Warentransport in automatisierten Shuttles), Digitale S-Bahn Hamburg, RoboVaaS (Roboter-Dienstleistungen in küstennahen Gewässern), Testfeld Intelligente Quartiersmobilität (TIQ).

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC)
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Hamburg setzt sich für eine umfassende und konsequente Mobilitätswende ein. Diese schafft Verkehrsbedingungen, die es allen Menschen jeden Alters ermöglichen, sicher und komfortabel in der Stadt mobil zu sein. Im Sinne der Mobilitätswende, der Verkehrssicherheit und des Klimaschutzes werden die Bedürfnisse klimaschonender Verkehrsarten – des sogenannten Umweltverbunds von Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und Nutzer:innen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) – bei der Verkehrsplanung vorrangig vor denen des individuellen Autoverkehrs behandelt. https://hamburg.adfc.de/

Pressemitteilung ADFC Hamburg

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